Guenzburger Zeitung

Auf Wählerfang im Netz

Facebook & Co. Der Wahlkampf rückt zunehmend in die sozialen Medien vor. Welche Rolle spielt das Internet für die Bundestags­wahl? Und welchen Einfluss haben Fake News? Wie Experten die unterschie­dlichen Strategien der Parteien beurteilen

- VON SANDRA LIERMANN

Augsburg Es gibt da diese Fotos: Angela Merkel im Zoo, Martin Schulz beim Tischkicke­rn und FDP-Chef Christian Lindner in der Imbissbude. Was nach Schnappsch­üssen klingt, ist in Wirklichke­it gut inszeniert­er Wahlkampf. Wo? Auf Instagram.

Auf der Social-Media-Plattform, die zum Facebook-Konzern gehört, können Nutzer Fotos plus einen kurzen Text veröffentl­ichen. Das nutzten bisher hauptsächl­ich junge, sport-, shopping- und reisebegei­sterte Menschen. Obwohl eine FotoPlattf­orm nicht direkt zur Diskussion politische­r Inhalte einlädt, entdecken vor der Bundestags­wahl immer mehr Politiker Instagram für sich.

Kulturwiss­enschaftle­r Wolfgang Ullrich, der Instagram-Kanäle von Politikern in seinem Blog verfolgt, erklärt: „Instagram ist vor allem in der jüngeren Generation extrem beliebt, auch bei Erstwähler­n. Insofern ist das für Politiker kein unattrakti­ver Ort.“Mit Bildern können Politiker den Eindruck erwecken, Menschen an ihrem Leben teilhaben zu lassen. „Damit kann sich auf Instagram besser erfüllen als auf anderen Plattforme­n, was sich Politiker er- hoffen: authentisc­h sein.“Im Ranking der meistgenut­zten Social-Media-Communitie­s liegt Instagram mit weltweit 700 Millionen Nutzern auf Platz zwei hinter Facebook mit mehr als zwei Milliarden Nutzern. In Deutschlan­d tummeln sich etwa 30 Millionen Facebook- und 15 Millionen Instagram-Nutzer. Den Kurznachri­chtendiens­t Twitter besuchen deutschlan­dweit jeden Monat zwölf Millionen Nutzer.

Doch hat Social

Media angesichts der hohen Nutzerzahl­en auch das Potenzial, den Wahlkampf zu entscheide­n? Politikexp­erte

Martin Fuchs, der unter anderem schon CDU, Grüne und Linke beraten hat, sagt: „Das ist die große Glaskugel-Frage.“Letztlich könne keiner sagen, was den Ausschlag gebe – ein Luftballon am Wahlstand, ein Plakat oder doch ein Video auf Facebook. „Fakt ist: Immer mehr Menschen verbringen ihre Zeit in sozialen Netzwerken. Die Politiker müssen dahin, wo Menschen sind. Und das tun auch immer mehr.“

Allerdings ist nicht jeder überall aktiv: So ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf Twitter überhaupt nicht und auf Instagram lediglich durch die offizielle­n Fotografen der Bundesregi­erung vertreten. CSU-Spitzenkan­didat Joachim Herrmann verzichtet ebenfalls auf einen Twitter-Account. Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch, Spitzenduo der Linken, haben keine Instagram-Accounts. Und Alexander Gauland, Teil der AfDSpitze, ist auf keiner der drei SocialMedi­a-Plattforme­n vertreten.

Haben diese Politiker einfach einen Trend verschlafe­n? „Nein“, meint Kulturwiss­enschaftle­r Ullrich: „Es gibt gute Gründe, warum die, die keine Accounts haben, sich so entschiede­n haben. Für Sahra Wagenknech­t zum Beispiel sind Facebook und Twitter wichtige Medien, da sie sich stark über das Wort und die Rede definiert.“Sich auf Instagram in Szene zu setzen, sei für linke Parteien schwierige­r als für wirtschaft­sliberale. Wolfgang Ullrich erklärt: „Instagram ist, salopp gesagt, ein Ort, an dem man damit angibt, wie cool man ist – Stichwort: Wettbewerb – und somit maßgeschne­idert für das Wahlprogra­mm der FDP.“

Dafür spricht der Account von Christian Lindner. Seine Fotos zeigen ihn in geräumigen Autos, als Redner vor großem Publikum, in Laufschuhe­n oder im Urlaub auf einem Motorboot. „Wer das sieht, bekommt das Gefühl: Da ist jemand immer auf Hochtouren unterwegs“, erklärt Ullrich. Die Botschaft: „Ich tue viel, habe aber auch ein tolles Leben.“SPD-Kandidat Martin Schulz hingegen stehe für soziale Gerechtigk­eit. „Wenn Schulz die Fotos posten würde, die Lindner postet, bekäme er ein Problem“, sagt Ullrich.

Um die Wählerguns­t im Netz zu gewinnen, investiere­n die Parteien viel Geld. Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzend­e der Grünen, erklärte im Interview mit unserer Zeitung: „Unser Etat für Wahlwerbun­g liegt bei etwa zwei Millionen Euro. Rund die Hälfte davon geben wir für das Internet aus.“Die FDP investiere Martin Fuchs zufolge rund 20 Prozent ihres Etats in den Online-Wahlkampf, CDU und SPD je zehn bis 15 Prozent. Genaue Zahlen zu nennen, sei jedoch schwierig: „Es gibt keinen reinen Online-Wahlkampf mehr. Guter Wahlkampf funktionie­rt inzwischen integriert“, sagt Fuchs.

So zum Beispiel bei der Union, die für den Haustürwah­lkampf eine App nutzt, die große Datenmenge­n auswerten und so potenziell­e Wähler gezielt ausmachen kann. „Connect17“heißt das Programm. SPD, Grüne und FDP greifen laut Fuchs für die bevorstehe­nde Bundestags­wahl auf ähnliche Anwendunge­n zurück, auch die Linke habe kürzlich ein solches Programm in Betrieb genommen.

Trotz der verschiede­nen Kanäle, auf denen Politiker unterwegs sind, und hoher Summen, die die Parteien investiere­n, sieht Politikber­ater Fuchs immer noch Schwächen im Online-Wahlkampf: „Viele Parteien und Politiker gehen nicht dahin, wo Plattforme­n genutzt werden.“Zwar hätten die meisten Politiker und Parteien inzwischen Profile in den sozialen Netzwerken. Die Digital-NewsUmfrag­e des Hans-Bredow-Instituts zeigt aber, dass drei von vier erwachsene­n Facebook-Nutzern keinem Politiker und keiner Partei folgt. Fuchs rät Politikern beispielsw­eise, in Facebook-Gruppen einzutrete­n, in denen Nutzer sich über ihre Heimatstad­t austausche­n. „Sie müssen raus aus ihrer eigenen Blase. Dorthin, wo der Diskurs stattfinde­t.“

Doch nicht alles, was auf Facebook kursiert, ist auch wahr. Spätestens seit der Präsidents­chaftswahl in den USA stellt sich die Frage, ob auch die Bundestags­wahl von gezielten Falschmeld­ungen betroffen sein könnte. Politikber­ater Fuchs glaubt das nicht: „Seit dem US-Wahlkampf hat es in Sachen Fake News eine große Sensibilis­ierung gegeben. Unsere Parteikult­ur ist zudem eine ganz andere, nicht so polarisier­end.“Während es in den USA hieß „Trump oder Clinton“, treten hier in Deutschlan­d 42 Parteien an, von denen aktuellen Prognosen zufolge wohl sechs den Einzug in den Bundestag schaffen werden.

Fuchs sagt: „Fake News haben nicht das Potenzial, Meinungen zu verändern. Sie bestärken lediglich schon vorherrsch­ende Meinungen.“Zwar könnten Fake News dazu beitragen, Menschen zur Wahl zu mobilisier­en, „aber sie werden keinen SPD-Wähler zum CDU-Wähler machen“.

„Wenn Martin Schulz die Fotos posten würde, die Christian Lindner postet, bekäme er ein Problem.“Wolfgang Ullrich, Kulturwiss­enschaftle­r

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Beim Fußballspi­el, auf dem Fahrrad, in der Imbiss Bude, im Flugzeug oder im Zoo: Auf Instagram versuchen Politiker, möglichst authentisc­h rüberzukom­men – so auch die Spitzenkan­didaten vieler Parteien.
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Fotos: Screenshot­s Instagram/AZ
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