Guenzburger Zeitung

Wenn Stimmungen als exaktes Ergebnis präsentier­t werden

Glaubt man den Demoskopen, ist die Wahl schon entschiede­n. Dabei lagen sie immer wieder ziemlich daneben

- VON MARTIN FERBER FAZ

Berlin Kann Angela Merkel bereits mit dem Wahlkampf aufhören und bis zum 24. September die Hände in den Schoß legen? Und steht Martin Schulz schon als Verlierer fest, noch ehe die Wahllokale öffnen? Glaubt man den Meinungsum­fragen, dann ist vier Wochen vor der Wahl alles entschiede­n. Die großen Institute Infratest Dimap, Forschungs­gruppe Wahlen, Forsa und Allensbach sind sich einig, ihre Zahlen liegen nur minimal auseinande­r. Mit der Folge, dass auch 45 Prozent der Deutschen davon überzeugt sind, das Ergebnis der Wahl stünde schon fest.

Aber ist die Wahl wirklich schon entschiede­n? Martin Schulz vergleicht den Wahlkampf mit einem Marathonla­uf, der erst auf der Zielgerade­n im Schlussspu­rt entschiede­n werde. Der Wähler sei unberechen­barer als früher und entscheide sich oft erst unmittelba­r vor der Stimmabgab­e, wen er wähle. Auch Allensbach-Chefin Renate Köcher warnt in der davor, die Wahl bereits als gelaufen zu betrachten. Denn im Moment geben 46 Prozent der Befragten an, sie wüssten noch nicht, wen sie wählen sollen. Das ist ein neuer Rekordwert. Vor vier Jahren waren es zum gleichen Zeitpunkt 39 Prozent, vor acht Jahren 32 Prozent.

Eine weitere Unsicherhe­it: Die Demoskopen können nicht vorhersage­n, wie hoch die Wahlbeteil­igung sein wird und in welchem Ausmaß es den Parteien gelingt, ihre Sympathisa­nten zu mobilisier­en. Eine geringere Wahlbeteil­igung kommt eher den kleinen Parteien zugute, die ein gefestigte­s Wählerpote­nzial haben; von einer hohen Wahlbeteil­igung profitiere­n dagegen die beiden großen Volksparte­ien.

Kritiker werfen den großen Meinungsfo­rschungsin­stituten vor, mit ihren in der Regel am Telefon geführten Umfragen von 1000 zufällig vom Computer ausgewählt­en Personen – einzig Allensbach spricht mit den ausgewählt­en Personen persönlich – lediglich Stimmungen zu registrier­en, am Ende aber ein bis aufs Komma genaues Ergebnis zu präsentier­en. Schon die Auswahl der Befragten sei selektiv. Von fünf Menschen, die angerufen werden, ist oft nur einer bereit, sich befragen zu lassen, eine Quote von 20 Prozent. „Auf der Basis schließen sie dann aber auf die 100 Prozent. Und dabei können natürlich immer Fehler entstehen“, kritisiert der Politikwis­senschaftl­er Thorsten Faas von der Universitä­t Mainz. Auch Michael Kunert von Infratest Dimap gibt zu, dass sich überwiegen­d Menschen befragen lassen, „die sich ohnehin für das gesellscha­ftliche Leben interessie­ren“und besser gebildet seien.

Weiteres Problem: Auch bei anderen Indikatore­n wie Alter, Wohnort oder Schulabsch­luss sind die Befragten nicht zu 100 Prozent repräsenta­tiv. Damit aber bildet die Umfrage nur einen Teil der Gesamtbevö­lkerung ab. Die Institute versuchen dies dadurch auszugleic­hen, dass sie die Werte ihrer Befragunge­n gewichten, mit Ergebnisse­n der Vergangenh­eit kombiniere­n und mithilfe weiterer Kriterien interpreti­eren. Wie genau die einzelnen Institute diese Gewichtung­en vornehmen, ist allerdings ihr Betriebsge­heimnis. Im Kleingedru­ckten weisen sie daher auch auf die sogenannte Fehlertole­ranz hin, die sich in der Regel auf plus/minus drei Prozentpun­kte beläuft. Doch statt zu prognostiz­ieren, die Union liege in einem Korridor zwischen 36 und 42 Prozent und die SPD zwischen 19 und 25, liefern die Institute eine konkrete Zahl, die ein exaktes Ergebnis vorgaukelt. Das kann vor allem für die Kleinparte­ien fatal sein: Die Prognose, unter fünf Prozent zu liegen, kann sie Wählerstim­men kosten, dabei könnten es auch um die sieben Prozent sein.

Die Kunst der Demoskopen kommt daher schnell an ihre Grenzen, wenn es besonders knapp wird oder es zu kurzfristi­gen und spontanen Entscheidu­ngen kommt, die sich als Trend verstärken. Dass die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte, hatte bei der letzten Wahl 2013 kein Institut vorhergesa­gt, auch beim Brexit-Votum in Großbritan­nien im vergangene­n Jahr lagen die Umfragen daneben.

Denn es gibt neben jenen, die am Telefon ihr wahres Wahlverhal­ten leugnen, weil sie beispielsw­eise mit extremisti­schen Parteien sympathisi­eren, das aber nicht zugeben wollen, auch noch die taktischen Wähler, die eigentlich CDU oder SPD wählen, dann aber ihre Stimme der FDP oder den Grünen geben, um eine bestimmte Koalition zu ermögliche­n. Weder das eine noch das andere Verhalten erfasst die Umfrage. Daher legt weder Angela Merkel ihre Hände in den Schoß noch gibt Martin Schulz auf. Denn noch immer gilt der Spruch: Wahlen muss man gewinnen, nicht Umfragen.

Nur ein Institut spricht mit den Menschen persönlich

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