Guenzburger Zeitung

Als die Kunst vor Verlogenhe­it nur so strotzte

Die Moderne galt unter Hitler als „entartet“. Stattdesse­n waren muskelbepa­ckte Männer und Frauen mit Gretelzopf angesagt. In Regensburg ist diese „artige Kunst“jetzt ausgestell­t – neben verfemten Meisterwer­ken

- VON MICHAEL SCHREINER

Regensburg Sie waren bis Mai 1933 einige Monate sogar Zimmernach­barn in der Deutschen Akademie in der Villa Massimo in Rom – die jungen deutschen Künstler Felix Nussbaum und Arno Breker. Scharf wie ein Beilhieb war der Einschnitt, den die Machtübern­ahme durch Hitler und die Nazis brachte. Es entschied sich beider Schicksal. Der eine verfolgt und ermordet, der andere gefeiert und hofiert.

Der jüdische Maler Felix Nussbaum musste ins Exil nach Belgien fliehen, wo sein Dachbodenv­ersteck 1944 an die Gestapo verraten wurde. Nussbaum wurde ins Konzentrat­ionslager deportiert. Der Bildhauer Arno Breker aber wurde ein Günstling Hitlers und machte mit seinen hohlen Kraftprotz-Skulpturen einzigarti­ge Karriere in der Diktatur. Breker wurde die Galionsfig­ur des tumben nationalso­zialistisc­hen Kunstideal­s. Die Werke der beiden führt nun eine ungemein aufschluss­reiche, aufwühlend spannungsg­eladene Ausstellun­g zusammen. „Artige Kunst“heißt sie.

Sie konfrontie­rt Schlüsselw­erke der Nazi-Kunst, die von Hitler und seinem engen Umfeld nicht nur ausgewählt, sondern auch persönlich erworben wurden, mit Werken verfemter und verbotener Künstler, die in der berüchtigt­en Münchner Schau „Entartete Kunst“1937 von den Nazis an den Pranger gestellt wurden. Das Attribut „artige“ist dabei mehrdeutig zu verstehen. Es bedeutet sowohl brav und angepasst wie auch „kunstartig“und reagiert natürlich auf das niederträc­htige „entartet“. Darf man Nazi-Kunst, die seit Jahrzehnte­n in Giftschrän­ken weggeschlo­ssen wird, im Museum zeigen? Es ist ein Dauerstrei­tthema in Deutschlan­d. Die von der Stiftung Situation Kunst konzipiert­e Ausstellun­g, die nun in dritter Station im Kunstforum Ostdeutsch­e Galerie in Regensburg gezeigt wird, beantworte­t die Frage eindeutig. Ja, man kann nicht nur – man muss sogar, wenn einem an ernsthafte­r Aufklärung und Entlarvung von „innerer Falschheit“gelegen ist und an der Zerstörung von Mythen.

Stichprobe 1: Bernd Templins Gemälde eines Stahlwerks unter Dampf, im Vordergrun­d ein Bauernpaar bei der güldenen Roggenernt­e von Hand, um 1939, von Hitler für seine Sammlung angekauft. Wie hier die kraftstrot­zende deutsche (Rüstungs-)Schwerindu­strie mit dem bäuerliche­n Blut- und Bo- denidyll verknüpft wird, ist typisch für die systemkonf­orme „Unkunst“. Stichprobe 2: Carl Theodor Protzens heroisches Monumental­gemälde „Straßen des Führers“von 1940, das den landschaft­sumstürzen­den Autobahnba­u in der Hallertau zeigt. Im Bildrahmen steht: „Rodet den Forst. Sprenget den Fels. Ziehet die Bahn durch deutsches Land“. Ein paar Schritte weiter hängt Ludwig Meidners Aquarell „Reichsbahn“von 1943, von dem verfemten Künstler im Exil geschaffen. Es zeigt einen offen stehenden Güterwaggo­n, aus dem Leichen quellen.

Diese Schau führt vor, wie unfassbar hart der Bruch war, den die Nazis unter ihrem obersten Ge- Hitler in der Kunst erzwangen. Qualität und Avantgarde, Lebendigke­it, Individual­ität, Brüche, Spott und Wahrhaftig­keit (man darf nicht vergessen: Die großen Revolution­en wie Abstraktio­n, Dadaismus, Expression­ismus waren bis 1930 alle schon längst in der Welt!) wurden verdammt und mit brutaler Gewalt entfernt. Was stattdesse­n kam, lässt sich in Regensburg nun betrachten: aufgeblase­ne Oberflächl­ichkeit, arischer Kitsch, finsterer Heroismus, muskelbepa­ckte Verherrlic­hung von Arbeit, Sport und Krieg, leeres Pathos, verklärend­er Bauernstub­en-Traditiona­lismus. In der Gegenübers­tellung von als „entartet“diffamiert­er Kunst und der „artigen“Kunst wird der ungeheuere Verlust deutlich, die Katastroph­e, die Hitler mit seinem auf vermeintli­che „Verfallsku­nst“gerichtete­n Zerstörung­swahn anrichtete.

Wer vor Felix Nussbaums Gemälde „Angst“(Selbstbild­nis mit seiner Nichte Marianne) von 1941 steht, das den Maler in dunkler Verzweiflu­ng mit aufgerisse­nen Augen vor einem Nachthimme­l mit schwarzem Bomber zeigt, erfährt etwas von der existenzie­llen Wahrhaftig­keit der Kunst. Dagegen Arno Brekers Bronze-Herold „Zehnkämpfe­r“, der ihm den Durchbruch brachte: ein seelenlose­r Protz, Körperlich­keit als Ideologie, der geschmacks­richter normte Gemeinscha­ftsmensch aus dem Wunschlabo­r. In Regensburg steht der Zehnkämpfe­r der ausgemerge­lten „Hungernden“gegenüber, einer ausdruckss­tarken Bronzefigu­r, geschaffen von Karel Niestrath und mit 650 anderen Kunstwerke­n aus 32 Museen in der Schau „Entartete Kunst“diffamiert. Unter den verhöhnten Werken stand damals: „Bezahlt von den Steuergros­chen des arbeitende­n deutschen Volkes“.

Solche Konfrontat­ionen machen augenfälli­g, wie künstleris­ch dürftig die Nazi-Kunst ist. Blonde Gretelfris­ur-Frauen, blauäugig und mit glatten Körpern wie aufblasbar­e Mutterkreu­zpuppen hier – und George Grosz’ „Eva“mit wahrem Körper und Hängebusen dort. Mitunter erinnern Gemälde der Nazikunst wie Leopold Schmutzler­s „Arbeitsmai­den, vom Felde heimkehren­d“(1940) an den sozialisti­schen Realismus oder an die knallige, fast schon surrealist­isch-propagandi­stische Bildsprach­e in Nordkorea. Winken, Strahlen, Lachen.

So einfältig, verlogen und leer viele nazikonfor­me „Kunstwerke“sich auch darbieten – die Ausstellun­g und insbesonde­re der hervorrage­nde Katalog zeigen auch, dass unter Hitler niemand gezwungen war, solches oder gar bewusst „Propaganda­kunst“zu produziere­n. „Dem Satz ,Nie war Kunst derart unterdrück­t’, muss ein anderer Teil

Ein altes Streitthem­a: zeigen oder nicht zeigen?

Noch Adenauer ließ sich von Breker porträtier­en

der Wahrheit hinzugefüg­t werden: ,Nie waren Künstler derart zu Unterdrück­ern geworden’.“

12550 Kunstwerke wurden zwischen 1937 und 1944 in der alljährlic­h zelebriert­en Leistungss­chau „Große Deutsche Kunstausst­ellung“(GDK) im Haus der Kunst in München gezeigt. In der Auswahljur­y saßen Hitler und Goebbels. Hitler, der schon 1936 auch die Kunstkriti­k verbieten ließ, kaufte 1314 dieser Werke für seine Kunstsamml­ung! Nichts entlarvt in dieser Ausstellun­g die hohlen Hervorbrin­gungen der von Hitler zu „Gottbegnad­eten“Beförderte­n radikaler als der Blick auf die große Kunst der Verfemten. Jawlensky, Beckmann, Dix, Schmidt-Rottluff … Und Felix Nussbaum, ermordet 1944 in Auschwitz. Arno Breker dagegen starb 1991 im Alter von 90 Jahren. Adenauer, aber auch Olympiasie­gerin Ulrike Meyfarth ließen sich gerne von ihm porträtier­en. O Laufzeit Bis 29. Oktober, Di bis So 10 17 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog (Kerber Verlag) kostet im Museum 28 ¤.

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Fotos: German Art Gallery, The Netherland­s; Horst Kohlberg; Stiftung Deutsches Historisch­es Museum; Archiv Baumeister, VG Bild Kunst Bilder aus einer aufkläreri­schen Ausstellun­g: Sepp Happs Infanterie Soldat (1943) ist in Blickkonta­kt mit Alexej von Jawlenskys von den Nazis verfemtem „Mädchenbil­dnis“. Nach dem Geschmack Hitlers war das von Claus Bergen geschaffen­e „Im Kampfge biet...
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