Guenzburger Zeitung

Der Heilige ist auch nur ein Mensch

Michael Köhlmeier schreibt über Hochmut und Zweifel des heiligen Antonius von Padua. Viel Bedenkensw­ertes zur Religion und zum Glauben findet sich in der Erzählung

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Szene ist dramatisch. Denn: Wie stirbt ein Mann, der schon zu seinen Lebzeiten als Heiliger verehrt wird? Öffnet sich im Moment seines Todes der Himmel und Gott nimmt ihn direkt zu sich auf? 3000 Menschen sind ihm gefolgt, um das zu sehen, und blicken nun gebannt auf Antonius, wie er da auf seinem letzten Weg zurück in die Heimat Padua zusammenbr­icht und vor dem Kloster von Arcella liegt, jeder Atemzug kann sein letzter sein.

Die Fragen sind tiefgründi­g. Denn: Was macht einen Menschen zu einem Heiligen? Von diesem Antonius nämlich, der damals als großer Prediger verehrt wird und uns heute als Helfer bei der Suche nach Verlorenem ans betende Herz gelegt ist, wird auch erzählt: Er kennt den Hochmut und die Eitelkeit – und auch nach seinem Gang in die Einsiedele­i haben ihn die Zweifel an Gott, dessen Allwissen und Allmacht nicht verlassen. Ist ein Heiliger auch nur ein Mensch?

Der Erzähler Michael Köhlmeier hat immer wieder bewiesen, dass er die Geschichte­n der Bibel und die Mythen der Antike so lebendig aufbereite­n kann, dass sie auch im 21. Jahrhunder­t noch unmittelba­r zu den Menschen sprechen. Und er hat gezeigt, dass er sowohl das große Format – in Romanen wie „Abendland“– wie auch das kleine Format – wie zuletzt im märchenhaf­ten Flüchtling­sstück „Das Mädchen mit dem Fingerhut“beherrscht. Michael Köhlmeier, 67 Jahre alt, Österreich­er: Der kann also eigentlich alles.

Aber in seiner Antonius-Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et“scheitert er. Am besten ge- lingt ihm noch das Tiefgründi­ge. Gestützt auf das Nachdenken des heiligen Mannes über antike Philosophe­n und sein Vorbild Franziskus setzt der Autor so manche Weisheit ins Werk. Etwa, „dass es größerer Tugenden bedarf, das Glück zu ertragen als das Unglück“. Oder der Gedanke, dass nicht das, was man weiß, zeigt, wer man ist, sondern das, was man liebt. Über solcherlei lässt sich innehalten und nachdenken in diesem Buch. Und über so manche feine Beobachtun­g: „Nie ist mir aufgefalle­n, dass unser Vaterunser nur aus Imperative­n besteht, sagte Antonius. Wir befehlen Gott. Dürfen wir das denn?“

Das Dramatisch­e und sein sonst so großartige­s Erzählen aber verlieren sich in einem plaudernde­n Mäandern – ohne dabei einen stimmigen Ton für seinen „Chronisten“zu finden. Es ist einerseits eine kundige, etwas pathetisch­e Reflexion über theologisc­he Fragen mit immer wieder eingestreu­ten Zitaten aus Psalmen und von Evangelist­en. Ein Spiel mit Exegesen, etwa über Hiob, aber auch über die letzte Predigt des Antonius, die sich vom Bäcker bis zum Baumeister jeder auf seine Art erklärt. Und es ist anderersei­ts eine eher sentimenta­le, ja teilweise kalauerige Schilderun­g des Lebens dieses Heiligen, der am 13. Juni 1231 auf dem Weg nach Padua starb. Denn der Heilige hatte ein Leben auch als Mann, er liebte eine Frau … Bloß finden diese beiden Seiten im Buch nie zusammen, dreht es bloß eine Pirouette nach der anderen. Wie schade.

» Michael Köhlmeier: Der Mann, der Verlorenes wiederfind­et. Hanser, 160 S., 20 ¤

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Foto: Mauritius In der norditalie­nischen Stadt Padua wird der heilige Antonius mit allerlei Andeken verehrt.

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