Guenzburger Zeitung

„Wer schreit, hat nicht zwingend recht“

Vor dem Spiel in Augsburg äußert sich Gladbachs Sportdirek­tor Max Eberl zu Entwicklun­gen im Fußball. Ein Gespräch über Fanprotest­e, Spielerstr­eiks und Transferwa­hnsinn

- Interview: Johannes Graf

Herr Eberl, ist es sinnvoll, die Transferpe­riode früher enden zu lassen?

Eberl: Ich spreche mich für ein Transferen­de zum Saisonstar­t aus. Allerdings müssten andere Ligen und Verbände zustimmen. Sonst sind wir in der Bundesliga reglementi­ert, während Spanier, Engländer oder Franzosen sich auf unsere Spieler stürzen. Hinter der Thematik muss ein gesamteuro­päisches Interesse stecken.

Die Ablösesumm­en sind explodiert. Eberl: Das begeistert niemanden, bringt aber eine freie Marktwirts­chaft mit sich. Durch die 222 Millionen für Neymar wurde eine neue Dimension erreicht. In Deutschlan­d passt das Verhältnis zwischen Ausgaben und Einnahmen noch, die Zahlen sind greifbar. Wenn ein Klub 100 Millionen ausgibt, nimmt er woanders 100 Millionen ein. Das ist in anderen Ländern nicht mehr der Fall.

Sind die Bundesliga­klubs benachteil­igt, weil sie solide wirtschaft­en?

Eberl: Man fragt sich natürlich: Wie lässt sich das mit dem Financial Fairplay der Uefa (Einnahmen müssen Ausgaben ausgleiche­n, d. R.) vereinbare­n? Wie soll ein Defizit von maximal 30 Millionen Euro pro Jahr erklärt werden? Das ist schon dubios.

Man gewinnt den Eindruck, 40 Millionen Euro für einen Spieler sind normal geworden.

Eberl: Das ist weiterhin eine hohe Summe, darüber dürfen wir nicht einfach hinweggehe­n. Wir müssen aufpassen, dass der Volkssport Fußball ein Volkssport bleibt. Es ist eine gefährlich­e Entwicklun­g.

Welche Gefahren drohen konkret? Eberl: Dass Fans das irgendwann nicht mehr mittragen. Dass Fernsehgel­der nicht mehr gezahlt werden, weil das Interesse sinkt. Natürlich wird es immer Geldgeber geben. Aber der Fußball lebt nicht von einem finanzstar­ken Verein, sondern vom Wettbewerb. Man fragt sich: Wie lange geht das gut? Stellt die chinesisch­e Regierung die Super League ein, fällt dieser unrealisti­sche Markt wieder weg. Und was macht ein Mäzen, wenn er die Lust an seinem europäisch­en Klub verliert? Heißt: Die Bundesliga macht den Transferwa­hnsinn mit, will aber keine Grenzen überschrei­ten.

Eberl: Diesen Eindruck habe ich. Den Wahnsinn mitmachen könnten Bayern, Dortmund, vielleicht Leipzig. Sie wollen es aber nach eigener Aussage nicht tun, weil dort hoch profession­ell und serös gearbeitet wird. Niemand will den Anschluss verlieren, aber letztlich zählt das Wirtschaft­liche.

Wirtschaft­lich gepasst hat für Sie dann wohl auch Raúl Bobadilla.

Eberl: Wir wollten einen anderen Typ Stürmer, der trotzdem in unser System passt. Der Spieler sollte die Bundesliga kennen und uns sofort weiterhelf­en. Und wir wollten einen finanziell sehr überschaub­aren Aufwand, um das Risiko gering zu halten. Raúl Bobadilla vereint all das.

FCA-Präsident Klaus Hofmann hat gegenüber unserer Zeitung erklärt, er sei Bobadillas „Extrawürst­e leid gewesen“. Eberl: Was Herr Hofmann in diesem Zusammenha­ng sagt, ist für mich nicht relevant. Wir haben mit Bobadilla seine wildeste Zeit erlebt, als er in der Bundesliga erste Schritte getan hat. 2012 haben wir ihn an Bern abgegeben, weil es emotional nicht mehr gepasst hat. Wir haben die letzten Jahre verfolgt. Er ist ruhiger, profession­eller und Vater geworden und hat erfolgreic­h für Augsburg gespielt.

Mit dem FCA ist vereinbart, dass Bobadilla am Samstag nicht spielt. Eberl: Das ist ein Gentlemen’s Agreement zwischen Stefan Reuter (FCAGeschäf­tsführer Sport, d. R.) und mir. Normalität ist das nicht. Wenn ich einen Spieler abgebe, dann will ich ihn nicht mehr. Dann kann ich nicht sagen: Er ist so gut, dass er nicht gegen mich spielen sollte. Ich habe es aber verstanden, weil der FCA sein erstes Heimspiel hat und Raúl ein Publikumsl­iebling war. Alternativ hätte der FCA dem Transfer erst nach dem Spiel zugestimmt.

Zum Fall „Dembélé“. Sind Vereine von Spielern und Beratern erpressbar? Eberl: Mir wird zu sehr auf Berater eingeschla­gen. Motto: Das sind alles schwarze Schafe. Wünsche der Spieler kann man ein Stück weit verstehen, wir haben das mit Xhaka, ter Stegen oder Reus erlebt. Schlecht finde ich Trainingss­treiks, Suspendier­ungen und die gezielt gesuchte Öffentlich­keit. Das hat einen faden Beigeschma­ck. Würde ich 50 Prozent des Gehalts kürzen, wenn der Spieler schlecht trainiert, würde er ausflippen. Hinter verschloss­enen Türen kann man offen über alles diskutiere­n, darf auch streiten. Ich wehre mich aber dagegen, etwas zu erzwingen. Ein Vereinswec­hsel, der nicht funktionie­rt, ist kein Drama im Leben eines Profis.

Bei Fans wächst die Unzufriede­nheit, sichtbar in Protesten der Ultra-Gruppierun­gen. Haben Sie Verständni­s? Eberl: Verständni­s ja, aber mir zielt die ganze Diskussion zu sehr auf Kommerz ab. Fußball ist eine große Unterhaltu­ngsbranche, man darf Dinge aber nicht überziehen. Beispiel: Helene Fischer. Ein Event in der Halbzeit sollte nie in Konkurrenz zum Spiel stehen. Wir haben eine andere Sportkultu­r, das Spiel steht im Vordergrun­d.

Streitpunk­t ist auch die 50+1-Regel. Geldgeber sollen – anders als etwa in England – in den Klubs keine Stimmmehrh­eit bekommen. Eberl: Jeder Verein kann seine Profiabtei­lung ausglieder­n und Anteile verkaufen. Die Entscheidu­ngshoheit sollte aber beim Verein bleiben. Das ist der Istzustand. Klar ist aber auch: Ein starker Finanzpart­ner wird sich nicht von Mitglieder­n sagen lassen, ob er Stürmer A oder B holen darf.

Wie stehen Sie zur Kritik der Spieltagsz­erstückelu­ng?

Eberl: Kernspielt­ag ist weiterhin Samstag. Europa-League-Teilnehmer können wir an diesem Tag aber nicht spielen lassen. Auch die fünf Montagsspi­ele sind dem sportliche­n Wettbewerb und dem Europapoka­l geschuldet.

„Wir haben mit Bobadilla seine wildeste Zeit erlebt.“Gladbachs Sportdirek­tor Max Eberl

DFB-Präsident Grindel hat Kollektivs­trafen ausgesetzt und Fangruppen zum Dialog eingeladen. Die Lösung?

Eberl: Probleme werden nicht über Protestakt­ionen und die Medien geregelt. Faninteres­sen sind nicht automatisc­h Interessen der Ultras. Wer laut schreit, hat nicht zwingend recht. Berücksich­tigt werden müssen alle Fanvertret­er. Kommen alle an einem Tisch zusammen, werden wir eine Lösung finden. Klar ist: Wir wollen im Stadion keine Gewalt und keine Pyrotechni­k.

Zum Spiel in Augsburg. In sechs Spielzeite­n hat die Borussia gegen den FCA nur zweimal gewonnen. Warum? Eberl: Das war immer eine harte Nuss. Das Stadion ist ungemein laut, der Gegner unangenehm schwer zu bespielen.

Obwohl der FCA als Abstiegska­ndidat gehandelt wird?

Eberl: Das ist für mich nicht relevant. Es gibt keine Abstiegska­ndidaten im klassische­n Sinn. Der Ausgang der Bundesliga­saison ist ganz schwer vorherzusa­gen. ● Max Eberl ist seit Oktober 2008 Sportdirek­tor von Borussia Mön chengladba­ch. Der 43 Jährige ist in Bogen (Niederbaye­rn) geboren. Als Fußball Profi war er für den FC Bayern, den VfL Bochum, Greut her Fürth und Gladbach aktiv. (AZ)

 ?? Foto: dpa ?? Gladbachs Sportdirek­tor Max Eberl ver tritt klare Meinungen.
Foto: dpa Gladbachs Sportdirek­tor Max Eberl ver tritt klare Meinungen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany