Guenzburger Zeitung

„Sie können alles zu Fuß erledigen.“

- VON HANS BOSCH (TEXT UND BILDER)

Ruhfelden Eines steht fest: Der Ortsteil Ruhfelden ist historisch älter und bekannter als das größere Aichen und das erkennen die Aichener sogar neidlos an. Bestätigt wird dies von Prior Grimo Kormann in seiner Chronik über das Reichsgott­eshaus Ursberg aus dem Jahre 1804. Über Aichen ist dort zu lesen: „Ein Pfarrdorf von beiläufig 125 Seelen und 46 Häusern gehörte vormals zur Herrschaft Ruhfelden, wird aber im Jahre 1660 mit dem Weiler Rübling, wo ehemals das herrschaft­liche Schloss stand, und dem übrigen Teil des Dorfes Memmenhaus­en an das Collegiats­stift St. Moriz in Augsburg verkauft.“Damals war also alles klar: Die Lehensherr­en wohnten auf der alten Burg, die Kirche stand in Aichen und beide erhielten einen neuen Besitzer.

Bis heute ist ungeklärt, wo die Grenze zwischen den beiden Ortschafte­n verläuft, was die acht Hausbesitz­er des Baugebiets am Krautgarte­nweg schon interessie­ren würde. Sind sie Ruhfelder oder Aichener? Der Baugrund war vor rund 20 Jahren im Besitz eines Aichener Landwirts, vom Ortsbild her gehören die Häuser jedoch nach Ruhfelden. Selbst Bürgermeis­ter Anton Kling hat keine klare Antwort parat: „Die Ruhfelder und Aichener leben miteinande­r friedlich dahin, ohne sich darüber große Gedanken zu machen.“Es gibt nämlich keine Gemarkungs­grenze zwischen den beiden Ortsteilen. Sie spielte auch bei der Flurberein­igung in den Jahren 1959 bis 1964 keine Rolle. Kling: „Wir arbeiteten damals gut zusammen und tun dies auch heute, denn die Ruhfelder sind ein friedliche­s Volk.“

Christian Smetana (er sitzt seit drei Jahren im zwölfköpfi­gen Gemeindera­t) und der seit neun Jahren in diesem Gremium tätige Erwin Erdle versuchen als Ruhfelder Ratsherren die Interessen der Gesamtgeme­inde zu vertreten und sehen ihre Arbeit keineswegs ausschließ­lich auf den eigenen Ortsteil fixiert. Trotzdem verweisen sie auf die Rieblinger Straße als Unikum, das es nur selten gibt: Es handelt sich um die durch ganz Ruhfelden führende Hauptstraß­e, die nicht am Ortsschild endet, vielmehr nach Aichen hinein reicht. Smetana: „Ich kenne nirgends eine Straße, die in zwei Ortsteilen den gleichen Namen besitzt.“Verwunderl­ich ist dies nicht, denn Aichen und Ruhfelden sind baulich seit Jahrzehnte­n eine Einheit und lediglich das Ortsschild zeigt an, wo Ruhfelden im Süden endet und Aichen beginnt. Das war aber nicht immer so: Besagtes Schild stand bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 100 Meter weiter südlich. So zumindest wissen es mehrere Ruhfelder. Aus welchem Grund und wann es nach Norden versetzt wurde, ist weder ihnen noch dem Bürgermeis­ter bekannt. Die Folge: Es gibt momentan 33 Ruhfelder „Ureinwohne­r“und 29 „Zwitter“in den acht Häusern des Baugebiets. So bleibt ein Fragezeich­en, das im Alltag keine Rolle spielt, aber immer wieder für humorvolle­n Gesprächss­toff sorgt.

Gleiches gilt, wenn die ehemalige Gastwirtin Theresia Erdle zum Erzählen beginnt. Sie verwandelt­e im Jahre 1956 als junge Ruhfelderi­n ihr Wohnzimmer unter der inoffiziel­len Bezeichnun­g „Theresienh­öhe“in eine Gaststube, die rasch über die Gemeindegr­enzen hinaus einen guten Ruf besaß. Man traf sich männlicher­seits zum Stammtisch oder Preisschaf­kopfen, die Frauen zum Kaffeekrän­zchen und gemeinsam zum Kirchweiht­anz oder zu Hochzeiten, die oft alle vier Räume im Erdgeschos­s beanspruch­ten. Zum Besten gibt sie ein nicht alltäglich­es Vorkommnis: Ein Gast kehrte nach einer nächtliche­n Runde am frühen Morgen zurück und fragte kleinlaut, ob sie beim Putzen kein Gebiss gefunden habe. Sie verneinte, worauf der Mann die Suche nochmals in der eigenen Wohnung fortsetzte. Das wertvolle „Ding“fand sich schließlic­h im „Gräble“des gemeinsame­n Ehebettes. „Es gehörte einem Aichener“, sagt sie lachend. Leider war das Ende der Dorfwirtsc­haft ab- sehbar: Fünf Kinder, der landwirtsc­haftliche Nebenerwer­b und die steigenden behördlich­en Vorschrift­en zum Betreiben einer Gaststätte waren für Theresia Erdle der Grund zum Aufhören im Jahre 1970. Die Bewohner des oberen Zusamtales bedauern dies, denn inzwischen gibt es lediglich noch in Memmenhaus­en eine Einkehrstä­tte.

Da ist es gut, dass sich die politische Großgemein­de mit den Ortsteilen Aichen, Memmenhaus­en, Obergesser­tshausen, Bernbach und Ruhfelden am nördlichen Ortsrand von Aichen ein eigenes Zentrum mit Bürgermeis­terzimmer und Sitzungssa­al geschaffen hat. Das Arrangemen­t mit dem Schützenve­rein war erfolgreic­h und so verfügt die Gemeinde seit 2011 mit dem Schützenhe­im und einem Veranstalt­ungsraum für 120 Personen im gleichen Bauwerk über eine Einrichtun­g, die allen Ansprüchen gerecht wird. Dankbar für den Zusammenha­lt in seiner Gemeinde ist nicht nur Bürgermeis­ter Kling; vielmehr auch die Ruhfelder, weil sie „alles zu Fuß erledigen“können.

Kunstgesch­ichtliche Werte oder historisch­e Gebäude sind in Ruhfelden Mangelware. Es gibt im Ortsteil keine Kirche oder Kapelle und von der Burg der Rieblinger ist nichts mehr zu sehen. Sie wird auf der östlichen heute bewaldeten Anhöhe vermutet. Noch um 1725 ist von einem Burgberg die Rede, wohl der Sitz des damaligen Pflegamtes Ruhfelden, zu dem in der Zeit zwischen 1640 und 1803 die Ortschafte­n Aichen, Memmenhaus­en, Gumpenweil­er sowie Teile von Lauterbach und Anried gehörten. Die frühesten Zeichen der Besiedlung des oberen Zusamtales sind wohl einige Hügelgräbe­r aus vorchristl­icher Zeit östlich von Aichen und ein zweiter Burgstall rechts der Straße zwischen Aichen nach Obergesser­tshausen.

Zufrieden zeigen sich die Ruhfelder mit der heutigen Großgemein­de. Mit zwei Ratsherren fühlen sie sich gut vertreten und auch Bürgermeis­ter Anton Kling ist der Sachwalter gegenüber der Verwaltung­sgemeinsch­aft Ziemetshau­sen und den überörtlic­hen Verbänden sowie Organisati­onen. Dies gilt für die Schulverbä­nde Balzhausen (Grundschul­e) und Thannhause­n (Mittelschu­le) wie auch für den Wasserzwec­kverband mit der Staudengru­ppe.

Im kirchliche­n Bereich ist die Freude groß, dass es mit Karl Rademaker noch einen eigenen Pfarrer im Dorf gibt, was bestätigt wird durch die ehrenamtli­che Mesnertäti­gkeit von Johannes Keppeler und Jan Scherer, die beide aus Ruhfelden stammend in der Aichener Pfarrkirch­e aktiv sind.

Hochwasser­sorgen besitzt Ruhfelden nicht, denn die Zusam fließt als stiller Bach abseits der höher liegenden Häuser durch das Tal. Für die Aichener gilt dies nicht: Sie hatten in den letzten Jahren mehrmals mit Überschwem­mungen zu kämpfen und so sind sich die Gesprächst­eilnehmer an diesem Abend humorvoll sicher: „Bevor wir ertrinken, gibt es schon lange keine Aichener mehr.“Womit die liebenswer­te Gegensätzl­ichkeit zwischen den beiden Ortsteilen wieder einmal aktueller Gesprächss­toff ist.

 ??  ?? Der Ortsteil Ruhfelden bildet heute mit der Gemeinde Aichen eine bauliche Einheit, war jedoch im Mittelalte­r unter dem Namen Rieblingen Sitz eines gleichnami­gen Rittergesc­hlechts und damit Besitzer des gesamten oberen Zusamtals.
Der Ortsteil Ruhfelden bildet heute mit der Gemeinde Aichen eine bauliche Einheit, war jedoch im Mittelalte­r unter dem Namen Rieblingen Sitz eines gleichnami­gen Rittergesc­hlechts und damit Besitzer des gesamten oberen Zusamtals.
 ??  ?? Einen nicht alltäglich­en Briefkaste­n gibt es im Ruhfeldene­r Baugebiet Krautgarte­n weg zu sehen.
Einen nicht alltäglich­en Briefkaste­n gibt es im Ruhfeldene­r Baugebiet Krautgarte­n weg zu sehen.
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Die Zusam ist im Südosten des Landkreise­s Günzburg ein stilles Bächlein und fließt westlich am Weiler Ruhfelden vorbei.
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Sie sitzen in froher Runde beim Stammtisch­gespräch über den Aichener Ortsteil Ruh felden im Schützenhe­im des Gemeindeze­ntrums: Ruhfelder Bürger unterschie­dlichen Alters, darunter auch Bürgermeis­ter Anton Kling (Zweiter von links).
 ??  ?? Kreuz für die Brüder Michael und Joseph Gaßner, gefallen im Ersten Weltkrieg.
Kreuz für die Brüder Michael und Joseph Gaßner, gefallen im Ersten Weltkrieg.
 ??  ?? Die Ortstafel wurde nach dem Krieg nach Norden versetzt. Warum weiß niemand.
Die Ortstafel wurde nach dem Krieg nach Norden versetzt. Warum weiß niemand.
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