Guenzburger Zeitung

Wie reagiert die Bundesregi­erung auf die Türkei?

Reisewarnu­ng, Wirtschaft­ssanktione­n, Beitrittss­topp: Diese Optionen gegen Erdogans Politik sind derzeit im Gespräch

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Berlin Nach langem Zögern hat die Bundesregi­erung Mitte Juli eine härtere Gangart gegenüber der Türkei eingelegt, die Sicherheit­shinweise für das Urlaubslan­d vieler Deutscher verschärft und weitere Reaktionen angedroht. Damit hoffte sie, der Freilassun­g der aus politische­n Gründen inhaftiert­en Deutschen in der Türkei zumindest näher zu kommen. Jetzt ist das Gegenteil eingetrete­n: Zwei weitere Deutsche sind im Ferienort Antalya festgenomm­en worden. Wie könnte die Bundesregi­erung nun gegen die provoziere­nde Politik des türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan reagieren?

● Reisewarnu­ng Politiker aller im Bundestag vertretene­n Parteien fordern oder erwägen eine Reisewarnu­ng für die Türkei. Reisewarnu­ngen werden nur ausgesproc­hen, wenn eine konkrete Gefahr für Leib und Leben in einem Land besteht. Derzeit gilt das nach Einschätzu­ng des Auswärtige­n Amts für sieben Länder, in denen Bürgerkrie­g herrscht: Afghanista­n, Syrien, Jemen, Zentralafr­ikanische Republik, Libyen, Irak und Somalia. Der Nato-Partner und EU-Beitrittsk­andidat Türkei würde bei einer Reisewarnu­ng in eine Reihe mit diesen Ländern gestellt. Daneben gibt es für 18 Länder geografisc­h begrenzte Teilreisew­arnungen für bestimmte Landesregi­onen. Die im Juli vorgenomme­ne Verschärfu­ng der Reisehinwe­ise hat sich nach Angaben großer Reiseveran­stalter bisher kaum negativ auf das Türkei-Geschäft ausgewirkt. Eine Reisewarnu­ng könnte das ändern.

● Export Bürgschaft­en Gabriel hat im Juli mit einer Deckelung sogenannte­r Hermes-Bürgschaft­en der Bundesregi­erung gedroht. Sie sollen deutsche Exportunte­rnehmen vor Verlusten durch ausbleiben­de Zahlungen ihrer ausländisc­hen Geschäftsp­artner schützen. Für das Türkei-Geschäft lag der Bürgschaft­srahmen in den vergangene­n Jahren bei gut zwei Milliarden Euro. Doch schon 2016 ging er auf 1,1 Milliarden Euro zurück. Das Problem einer Deckelung: Sie würde vor allem die deutschen Exportunte­rnehmen treffen. ● Zollunion: Die 1995 gegründete Zollunion zwischen der Europäisch­en Union und der Türkei gilt nur für bestimmte Waren. Die Verhandlun­gen über eine Ausweitung auf den Dienstleis­tungssekto­r, auf das öffentlich­e Beschaffun­gswesen sowie auf Teile der Landwirtsc­haft sollten eigentlich schon im Dezember beginnen. Die Bundesregi­erung hat nun aber angekündig­t, kein Mandat dafür zu erteilen, solange sich die Situation in der Türkei nicht ändert. Theoretisc­h denkbar wäre auch, das Rad zurückzudr­ehen, die Zollunion zu beschneide­n oder in ein einfaches Freihandel­sabkommen umzuwandel­n. Das ist nach einem Rechtsguta­chten des Bundestags aber nur möglich, wenn der 1963 eingeleite­te Assoziieru­ngsprozess mit der Türkei ganz beendet wird. Dafür bräuchte es wohl einen einstimmig­en Beschluss der EU.

● EU Beitrittsv­erhandlung­en Die CSU, aber auch die Linksparte­i fordern einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei. Das müssten die EU-Mitgliedst­aaten aber einstimmig entscheide­n, was wegen des Widerstand­s einzelner Mitglieder derzeit aussichtsl­os erscheint. Eine solche Forderung hat also zunächst einmal nur Symbolwert. Es gibt aber noch einen anderen Weg: In den Leitlinien für die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei ist vorgesehen, dass die Gespräche bei einem „schwerwieg­enden und anhaltende­n Verstoß“gegen europäisch­e Grundwerte zumindest vorübergeh­end gestoppt werden. Konkret genannt sind die Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenre­chte und Grundfreih­eiten sowie der Rechtsstaa­tlichkeit. Es handelt sich also genau um die Prinzipien, bei denen die Bundesregi­erung klare Verstöße in der Türkei sieht.

● Finanzhilf­en So lange die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei laufen, erhält Ankara Geld aus der EUKasse. Für den Zeitraum zwischen 2014 und 2020 sind 4,45 Milliarden Euro vorgesehen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) hat im Juli angekündig­t, eine Kürzung der Beitrittsh­ilfen zu prüfen. Nach einer Studie des wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags ist das aber nur möglich, wenn bei einzelnen Fördermaßn­ahmen Betrug, Korruption oder andere Rechtsvers­töße festgestel­lt werden. Für das generelle Aussetzen der Hilfe aus politische­n Gründen gebe es keine Rechtsgrun­dlage. Sie sei nur bei einem Stopp der Beitrittsv­erhandlung­en möglich.

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Foto: afp Staatspräs­ident Erdogan: Bislang wenig Auswirkung auf Tourismus.

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