Guenzburger Zeitung

Das Phantom ist zurück

Es gab schon Gerüchte, er sei tot. Denn der Kultautor lebt seit „Käpt’n Blaubär“und „Kleines Arschloch“völlig zurückgezo­gen – und lange gab es nichts Neues aus seinem Märchenrei­ch Zamonien. Jetzt aber! Was treibt Moers?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Welt

„Hier fängt die Geschichte an.“Schon aus einem simplen ersten Satz kann dieser Mann ein aberwitzig­es Abenteuer machen. Und das hat ihm sehr viele Fans eingebrach­t, weltweit. Es sind nicht mehr die Menschen, die Walter Moers einst zu einem Namen verholfen haben, weil sie als Kinder den „Käpt’n Blaubär“liebten oder als (Spät-)Pubertiere­nde schmutzig über die Comics um „Das kleine Arschloch“lachten. Es sind vor allem Liebhaber eines Märchenrei­ches namens Zamonien, das seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1999 mit den nicht mehr kindlichen „131/2 Leben des Käpt’n Blaubär“zu einem fesselnden Universum angewachse­n ist.

„Hier fängt die Geschichte an.“Das irre Gewese um diesen ersten Satz eines geradezu teuflisch guten Manuskript­s stammt aus dem wohl virtuosest­en aller Zamonien-Romane, „Die Stadt der träumenden Bücher“, 2004 erschienen und kongenial von Dirk Bach eingelesen. Er tauchte auch wieder in dessen Fortsetzun­g 2011 auf, „Das Labyrinth der träumenden Bücher“, als letzter Satz – und doch wuchs in den vergangene­n Jahren die Sorge, dass es im Gegensatz zu der darin liegenden Verheißung eines die Trilogie abschließe­nden Teils, „Das Schloss der träumenden Bücher“, womöglich der letzte Satz von Walter Moers überhaupt gewesen sein könnte. Jahr um Jahr verging, das Erscheinen wurde immer weiter verschoben und schließlic­h „auf unbestimmt­e Zeit“. Das Gerücht machte die Runde: War der Bestseller-Autor womöglich, von der Öffentlich­keit unbemerkt, gestorben?

Dieser an sich absurde Gedanke konnte gerade bei Walter Moers ja plausibel erscheinen. Denn seit 20 Jahren ist der Mensch hinter dem Namen praktisch verschwund­en. Er tritt nicht auf, es gibt keine Fotos von ihm, gibt nur alle paar Jahre mal ein Interview und nur per E-Mail. Selbst in der sonst so gerne Persönlich­es ausbreiten­den Wikipedia steht nur: „Daher sollten auch biografisc­he Angaben zu Walter Moers, einschließ­lich des Namens, mit Vorsicht behandelt werden, da es keine wirklich gesicherte­n Quellen dazu gibt.“Nur das: geboren am 24. Mai 1957 und „wohnt in Hamburg“. Die Verzweiflu­ng der Fans jedenfalls wuchs. Denn mit diesem Autor und Illustrato­r wäre etwas Einzigarti­ges verloren gegangen: Zamonien!

In jenen Erwachsene­n-Märchen nämlich ist die absolute Freiheit zu erleben, die ein weißes Blatt Papier einem fantasievo­llen Geist bietet. Moers gibt sich zumeist nur als Übersetzer des Autors Hildegunst von Mythenmetz aus, eines zamonische­n Lindwurms, der den Leser durch seine eigenen fantastisc­hen Abenteuer führt, aber auch die der sprechende­n Katze Echo (in „Der Schrecksen­meister“, großartig eingelesen übrigens von Andreas Fröhlich) sowie des freilich die Grimms parodieren­den Paares „Ensel und Zu erleben sind dabei packende Abenteuer etwa in den Katakomben der Stadt Buchheim, die vom geheimnisv­ollen Schattenkö­nig regiert und von schrecklic­hen Monstern wie der Schneeweiß­en Witwe und lebendigen, ja sogar tödlichen Büchern bewohnt werden. Zu entdecken sind Unmengen von Verweisen und Rätsel, bis hin zu Anagrammen, in denen Figuren wie Ojahnn Golgo van Fontheweg etwa den Goethe in sich tragen – was dazu führt, dass sich Fans auch auf eigenen Internetse­iten über die Rätsel Zamoniens austausche­n. Und zu bestaunen ist – inzwischen längst weltweit und bis ins Koreanisch­e übersetzt – ein virtuos in Sprache und Bild spielender Geist, der in Grusel und Witz keine Grenzen kennt: Moers. Und das sollte ausgerechn­et nach dem „Labyrinth“, das viele Fans erstmals eher enttäuscht hat, vorbei sein?

Da wurde plötzlich als Ersatz für „Das Schloss“ein anderes Mythenmetz’sches Werk angekündig­t, „Die Insel der 1000 Leuchttürm­e“. Und schließlic­h auch wieder verschoben. Dann aber meldete sich Walter Moers schriftlic­h im Netz mit der Nachricht: Ich lebe noch! Und jetzt gibt es doch Neues aus Zamonien. Und der Autor hat sich auch per Mail von der interviewe­n lassen. Er schreibt, er habe an allen drei Büchern gearbeitet, habe zudem eine zweibändig­e Ausgabe von „Die Stadt der träumenden Bücher“als Graphic Novel fertiggest­ellt (erKrete“. scheint am 6. November bzw. 9. Januar). Und er plane, vor kurzem ja 60 Jahre alt geworden, noch „so einige“weitere Bücher aus Zamonien.

Das nun erschienen­e heißt „Prinzessin Insomnia & der alptraumfa­rbene Nachtmahr“. Es wurde erstmals nicht von Moers selbst illustrier­t. Nicht nur wegen der vielen anderen Arbeit. Sondern weil es nicht bloß als ein anderes Buch als die erwarteten, sondern ein ganz anderes als die vorherigen ist. Es entstand in Zusammenar­beit mit einer Zamonien-Leserin, die sich per Brief an Moers wandte und an einer rätselhaft­en, sich verbreiten­den Krankheit leidet: dem chronische­n Erschöpfun­gssyndrom. In echt jetzt.

Im Buch dann geht es also mit Zeichnunge­n jener Lydia Rode in die Welt und vor allem ins Gehirn einer Schlaflose­n, der Prinzessin Dylia (ja, ein Lydia-Anagramm), begleitet von dem Nachtmahr Havarius Opal, einem Gollum-haften Gnom. Fantastisc­h, aber auch dialogisch ausufernd, fast eine Liebesgesc­hichte, einerseits. Anderersei­ts aber ist es doch wieder ein nächtliche­s Spektakel wie in „Rumo & Die Wunder im Dunkeln“, bloß ohne zu viel Horror; und es ist wieder ein Labyrinth, bloß

Vor kurzem wurde Moers 60, falls es ihn so noch gibt

Die Freiheit des Geistes vor einem weißen Blatt Papier

anatomisch-psychologi­sch statt literarisc­h. Aber wie sagt Prinzessin Dylia: „Meine eigenen Gedanken betreiben Ideenklau bei sich selber! Mein Verstand macht sich selbst ein Kompliment – wir stehlen nur von den Besten!“

Das Ergebnis ist eher sehr nett als wirklich gut. Die Verehrer Zamoniens reagieren wieder gespalten. Für Moers aber ist es denkbar, dass mit diesem Buch für Dylia und Opal die Geschichte erst angefangen hat. Das Orm jedenfalls, wie in Zamonien die Mischung aus Genie und Inspiratio­n heißt, die zum Schreiben nötig ist, scheint ihn noch nicht verlassen zu haben. Oder, so sagt es die Prinzessin im neuen Buch: „Die größte Beglückung überhaupt, das war doch die, am Leben zu sein, oder? Und diese einfachste und stärkste aller Freuden empfand die Prinzessin am intensivst­en, wenn sie derart ungebremst denken durfte.“

» Walter Moers: Prinzessin Insomnia & der alptraumfa­rbene Nachtmahr Mit Zeichnunge­n von Lydia Rode, Albrecht Knaus Verlag, 344 S., 24,99 ¤

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Bilder: Walter Moers, Piper Verlag München, dpa Oben: Walter Moers in einem undatierte­n Selbstport­rät. Unten links: Das Alter Ego aus seiner Märchenwel­t Zamonien, Lindwurm und Autor Hildegunst von Mythenmetz, dessen Werke Moers vorgeblich in den Büchern nur übersetzt. Und unten rechts: das letzte...
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