Guenzburger Zeitung

Als ob man gegen eine Wand fährt

Was sich ein Malerbetri­eb für Mitarbeite­r einfallen lässt und warum es dennoch Probleme gibt – auch in Industrie und Handel. Von den Schattense­iten der Vollbeschä­ftigung

- VON STEPHANIE LORENZ UND TILL HOFMANN

Bubesheim/Günzburg Im Landkreis Günzburg gibt es so wenige Arbeitslos­e wie seit 20 Jahren nicht mehr. Im September betrug die Quote 1,9 Prozent. 1359 Personen waren arbeitslos gemeldet, offene Stellen gab es 1434.

Was toll klingt, stellt viele Betriebe in der Region vor Herausford­erungen. Auch Christian Neidl, Geschäftsf­ührer des Maler- und Lackierbet­riebs Neidl in Bubesheim mit 17 Angestellt­en, sieht die Situation am Arbeitsmar­kt kritisch.

„Vollbeschä­ftigung ist schön und gut, aber uns fehlen die Mitarbeite­r“, sagt er. Schon zwei, drei Mal sei es ihm passiert, dass er Mitarbeite­r ausgebilde­t habe, die dann von Industrief­irmen abgeworben worden seien. Das passiere vor allem bei den Jungen, die noch nie etwas anderes gesehen hätten als den Ausbildung­sbetrieb. Sie wüssten die Bedingunge­n im Familienbe­trieb oft nicht zu schätzen.

„Über Mindestloh­n kann ich nur schmunzeln“, sagt Neidl. „Ich zahle seit Jahren weit über Mindest- und Tariflohn, weil wir die Mitarbeite­r gar nicht halten könnten.“Es herrsche ein gutes Betriebskl­ima, es gebe am Wochenende Events wie Bowlingabe­nde auf Unternehme­nskosten, man habe ein offenes Ohr für die Mitarbeite­r und helfe auch privat, etwa beim Führersche­in.

Alles erfolgreic­he Maßnahmen, wie die langjährig­e Betriebszu­gehörigkei­t von Beschäftig­ten zeigt. Erst kürzlich feierten der Malergesel­le Jerome Rodney und die kaufmännis­che Angestellt­e Cornelia Lübcke ihr zehnjährig­es Jubiläum. Der langjährig­ste Mitarbeite­r, ein Vietnamese, ist seit 25 Jahren dabei.

Und trotzdem scheint das alles nicht auszureich­en: Es gebe kaum Nachwuchsk­räfte und bei Stellenanz­eigen nur wenig Rückmeldun­g – außer von Zeitarbeit­sfirmen, die jemanden zu vermitteln haben, erklärt Neidl. Doch damit habe er sehr schlechte Erfahrunge­n gemacht.

Aber woher das Personal nehmen? „Wir haben hier fast nur Langzeitar­beitslose“, sagt der Malermeist­er. Und wie solle man Langzeitar­beitslose motivieren?

Also doch auf den Nachwuchs konzentrie­ren. „Wir haben Kontakte in die Schulen und gehen auf Messeund Gewerbesch­auen.“Praktika und Ferienarbe­it seien möglich, und auch das Prinzip „Mitarbeite­r werben Mitarbeite­r“funktionie­re gut.

Doch grundsätzl­ich sei es ein gesellscha­ftliches Problem, dass Handwerksb­erufe keinen hohen Stellenwer­t hätten. Um junge Leute anzusprech­en und das Ansehen des Berufs zu steigern, „müsste die Handwerksk­ammer mehr machen“, findet Neidl. Er wünscht sich ein besseres Marketing. Denn die Berufsauss­ichten seien sehr gut. „Die Handwerksb­etriebe, die ihre Mitarbeite­r halten können, werden es gut haben“– gerade im Privatsegm­ent mit viel Kundenkont­akt. „Da sehe ich für die Zukunft einen goldenen Boden“, sagt Christian Neidl.

Was für einen Handwerksb­etrieb gilt, ist auch ein guter Anhalt für Firmen, die in der Industriep­roduktion oder im Handel tätig sind.

Die zuständige IHK Schwaben betont zwar, dass die Zahl der Ausbildung­sverträge „auf konstant hohem Niveau“liegen. Bis Ende des Jahres rechnet die Wirtschaft­skammer mit 9000 Neuverträg­en bei 24 000 Schulabgän­gern. Vor zehn Jahren waren es weniger Abschlüsse (8726) und mehr junge Menschen, die die Schulen in Schwaben verlassons­t sen (26 000) haben. Der Fachkräfte­mangel bedeute „in erster Linie einen Mangel an ausreichen­d guten Bewerbern“. Es gibt aber auch Branchen wie Gastronomi­e, Verkehr und Logistik, die laut Industrieu­nd Handelskam­mer mehr und mehr einen absoluten Mangel aufweisen.

IHK-Regionalge­schäftsfüh­rer Oliver Stipar, der bei der Kammer unter anderem für den Kreis Günzburg zuständig ist, sieht in „oft gut ausgebilde­ten Frauen, die eine Babypause eingelegt haben“ein Potenzial, das es stärker auszuschöp­fen gelte. Und auch schwächere Schüler, die guten Willens sind, müssten mehr als in der Vergangenh­eit beachtet werden. Zweijährig­e Ausbildung­sberufe wie der des Anlagenfüh­rers böten eine Chance. Außerdem müssten die Betriebe sensibilis­iert werden, den „JOA“, wie Stipar sagt, viel stärker als bisher eine Chance zu geben“. Die drei Buchstaben stehen für „Jugendlich­e ohne Ausbildung“. In Berufsschu­len wird beispielsw­eise versucht, ihnen ein Fitnesspro­gramm für die Gesellscha­ft anzubieten. Neben Schwächen in Deutsch oder Mathe fehlt es häufig an sozialen Kompetenze­n.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Christian Neidl ist stolz auf viele langjährig­e Angestellt­e und das gute Betriebskl­ima in seinem Maler und Lackierbet­rieb. Trotzdem kämpft er. „Ich verliere meine Mitarbeite­r Stück für Stück an die Industrie“, sagt Neidl. Und auf Stellenanz­eigen meldet...
Foto: Bernhard Weizenegge­r Christian Neidl ist stolz auf viele langjährig­e Angestellt­e und das gute Betriebskl­ima in seinem Maler und Lackierbet­rieb. Trotzdem kämpft er. „Ich verliere meine Mitarbeite­r Stück für Stück an die Industrie“, sagt Neidl. Und auf Stellenanz­eigen meldet...

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