Als ob man gegen eine Wand fährt
Was sich ein Malerbetrieb für Mitarbeiter einfallen lässt und warum es dennoch Probleme gibt – auch in Industrie und Handel. Von den Schattenseiten der Vollbeschäftigung
Bubesheim/Günzburg Im Landkreis Günzburg gibt es so wenige Arbeitslose wie seit 20 Jahren nicht mehr. Im September betrug die Quote 1,9 Prozent. 1359 Personen waren arbeitslos gemeldet, offene Stellen gab es 1434.
Was toll klingt, stellt viele Betriebe in der Region vor Herausforderungen. Auch Christian Neidl, Geschäftsführer des Maler- und Lackierbetriebs Neidl in Bubesheim mit 17 Angestellten, sieht die Situation am Arbeitsmarkt kritisch.
„Vollbeschäftigung ist schön und gut, aber uns fehlen die Mitarbeiter“, sagt er. Schon zwei, drei Mal sei es ihm passiert, dass er Mitarbeiter ausgebildet habe, die dann von Industriefirmen abgeworben worden seien. Das passiere vor allem bei den Jungen, die noch nie etwas anderes gesehen hätten als den Ausbildungsbetrieb. Sie wüssten die Bedingungen im Familienbetrieb oft nicht zu schätzen.
„Über Mindestlohn kann ich nur schmunzeln“, sagt Neidl. „Ich zahle seit Jahren weit über Mindest- und Tariflohn, weil wir die Mitarbeiter gar nicht halten könnten.“Es herrsche ein gutes Betriebsklima, es gebe am Wochenende Events wie Bowlingabende auf Unternehmenskosten, man habe ein offenes Ohr für die Mitarbeiter und helfe auch privat, etwa beim Führerschein.
Alles erfolgreiche Maßnahmen, wie die langjährige Betriebszugehörigkeit von Beschäftigten zeigt. Erst kürzlich feierten der Malergeselle Jerome Rodney und die kaufmännische Angestellte Cornelia Lübcke ihr zehnjähriges Jubiläum. Der langjährigste Mitarbeiter, ein Vietnamese, ist seit 25 Jahren dabei.
Und trotzdem scheint das alles nicht auszureichen: Es gebe kaum Nachwuchskräfte und bei Stellenanzeigen nur wenig Rückmeldung – außer von Zeitarbeitsfirmen, die jemanden zu vermitteln haben, erklärt Neidl. Doch damit habe er sehr schlechte Erfahrungen gemacht.
Aber woher das Personal nehmen? „Wir haben hier fast nur Langzeitarbeitslose“, sagt der Malermeister. Und wie solle man Langzeitarbeitslose motivieren?
Also doch auf den Nachwuchs konzentrieren. „Wir haben Kontakte in die Schulen und gehen auf Messeund Gewerbeschauen.“Praktika und Ferienarbeit seien möglich, und auch das Prinzip „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“funktioniere gut.
Doch grundsätzlich sei es ein gesellschaftliches Problem, dass Handwerksberufe keinen hohen Stellenwert hätten. Um junge Leute anzusprechen und das Ansehen des Berufs zu steigern, „müsste die Handwerkskammer mehr machen“, findet Neidl. Er wünscht sich ein besseres Marketing. Denn die Berufsaussichten seien sehr gut. „Die Handwerksbetriebe, die ihre Mitarbeiter halten können, werden es gut haben“– gerade im Privatsegment mit viel Kundenkontakt. „Da sehe ich für die Zukunft einen goldenen Boden“, sagt Christian Neidl.
Was für einen Handwerksbetrieb gilt, ist auch ein guter Anhalt für Firmen, die in der Industrieproduktion oder im Handel tätig sind.
Die zuständige IHK Schwaben betont zwar, dass die Zahl der Ausbildungsverträge „auf konstant hohem Niveau“liegen. Bis Ende des Jahres rechnet die Wirtschaftskammer mit 9000 Neuverträgen bei 24 000 Schulabgängern. Vor zehn Jahren waren es weniger Abschlüsse (8726) und mehr junge Menschen, die die Schulen in Schwaben verlassonst sen (26 000) haben. Der Fachkräftemangel bedeute „in erster Linie einen Mangel an ausreichend guten Bewerbern“. Es gibt aber auch Branchen wie Gastronomie, Verkehr und Logistik, die laut Industrieund Handelskammer mehr und mehr einen absoluten Mangel aufweisen.
IHK-Regionalgeschäftsführer Oliver Stipar, der bei der Kammer unter anderem für den Kreis Günzburg zuständig ist, sieht in „oft gut ausgebildeten Frauen, die eine Babypause eingelegt haben“ein Potenzial, das es stärker auszuschöpfen gelte. Und auch schwächere Schüler, die guten Willens sind, müssten mehr als in der Vergangenheit beachtet werden. Zweijährige Ausbildungsberufe wie der des Anlagenführers böten eine Chance. Außerdem müssten die Betriebe sensibilisiert werden, den „JOA“, wie Stipar sagt, viel stärker als bisher eine Chance zu geben“. Die drei Buchstaben stehen für „Jugendliche ohne Ausbildung“. In Berufsschulen wird beispielsweise versucht, ihnen ein Fitnessprogramm für die Gesellschaft anzubieten. Neben Schwächen in Deutsch oder Mathe fehlt es häufig an sozialen Kompetenzen.