Ein Schluck auf den Dorfladen
Der Tante-Emma-Laden erlebt eine Renaissance, weil sich Bürger für ein Lebensmittelgeschäft an ihrem Ort starkmachen und aktiv werden. Worauf es ankommt, um damit Erfolg zu haben. Und wo demnächst Geburtstag gefeiert wird
Haldenwang Seit Montag ist Kesselfleisch im Angebot, heute gibt es zum Mittag warmen Leberkäs mit Kartoffelsalat. Und am Samstag haben Andrea Karsten-Arnold und ihr Mann Jürgen Karsten einen Grund, mit ihren Kunden zu feiern. Dann ist es fast auf den Tag genau ein Jahr her, dass ihr Dorfladen geöffnet hat. Karsten-Arnold findet: „Es läut gut. Wir sind wirklich zufrieden.“
Ohne Mithilfe der Familie wäre der Traum vom eigenen Laden aber nicht zu verwirklichen gewesen. Wenn es eng wird, sind die Tochter, die Schwiegertochter oder der Sohn im Einsatz. „So war das, als ich mal krank war“, erzählt die Chefin des Dorfladens. Jeden Samstag steht ihr Mann mit hinter der Verkaufstheke – beide im grünen T-Shirt, der selbst gewählten Farbe, die etwas von der Bodenständigkeit weitergeben soll, die die Betreiberin vermitteln will.
Grün ist ja auch die Farbe der Hoffnung. Die war nötig, um den Mut zu fassen, dieses Projekt anzugehen und erhebliche finanzielle Mittel aufzubringen. Auf 20000 bis 25000 Euro taxiert das Ehepaar die privaten Aufwendungen bisher. Die Bank, mit der Andrea Karsten-Arnold zu tun hatte, war nur wenig zuversichtlich und nicht bereit, dem Paar einen Kredit einzuräumen. Umsonst gab es den Rat, am besten die Finger davon zu lassen. Vor allem die Verkaufsfläche von nur 35 Quadratmetern betrachtete die Bank als Hindernis, überhaupt einmal in die Gewinnzone zu kommen: zu klein, zu unrentabel, viel zu hohes Risiko.
Das Ehepaar, das selbst in Haldenwang wohnt, ist angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Sie setzen auf ihre Fähigkeiten, „nicht branchenfremd“zu sein. Andrea Karsten-Arnold ist gelernte Köchin, war danach technische Zeichnerin und hat fünf Jahre im Einzelhandel gearbeitet – bei einem Discounter. „Das alles nützt mir für meine jetzige Tätigkeit“, sagt sie. Und Ehemann Jürgen Karsten übte vor dem Hausmeister-Job ebenfalls einen anderen Beruf aus: Das Metzgerhandwerk ist ihm vertraut.
Beide legen Wert auf frische, regionale Produkte: Die Backwaren kommen aus Jettingen. Wurst liefert ein Metzger aus Wettenhausen. Und der Käse reift im Oberallgäu – in Diepolz nahe Immenstadt. „Da sind wir lange herumgefahren, um die richtige Käserei zu finden“, sagt Karsten-Arnold.
Ein anderes, genossenschaftliches Modell wird in Deisenhausen bei Krumbach praktiziert. Noch zu D-Mark-Zeiten im Jahr 2000 wurde ein Dorfladen gegründet, erinnert sich der Vorstandsvorsitzende Philipp de Greiff. Die Anteilseigner (heute sind es 186) zahlten damals pro Beteiligungsschein 150 Mark – umgerechnet sind das knapp 77 Euro. Mit dem Geld wurde der Laden eingerichtet und die Mitarbeiterinnen bezahlt. Das sind aktuell sechs Hausfrauen aus dem Dorf, die auf 450-Euro-Basis arbeiten und die durch die Nähe „einen Bezug zur Kundschaft haben“, wie de Greiff sagt. Er sagt auch: „Eine Goldgrube ist das nicht.“Aber auf eine maximale Rendite komme es auch nicht an. „Wir können unsere Beschäftigten bezahlen und Reparaturen, die anfallen, und neue Einrichtungsgegenstände.“Das liegt auch am Engagement der Gemeinde, die die alte Schule zum Dorfladen umbauen ließ und laut de Greiff eher eine symbolische Miete verlangt.
Der eigentliche Gewinn liegt für den Chef der Dorfladen-Genossenschaft woanders: „Die Post hat damals zugemacht. Der Bäcker hat nur noch ein Rumpfprogramm angeboten. Und aus Altersgründen schloss auch der Metzgerladen. Wir sind dann in die Bresche gesprungen und zur örtlichen Institution geworden.“Und das gleich für verschiedene Personenkreise: für Ältere, die sich schwertun – ob gesundheitlich oder finanziell –, an anderen Orten einzukaufen; für junge Familien mit nur einem Auto, das unter der Woche für die Fahrt zur Arbeit gebraucht wird. Ohne Laden am Ort wäre man aufgeschmissen; und für Menschen, die die unpersönliche Atmosphäre in einem Discounter nicht unbedingt schätzen.
Seit über 20 Jahren begleitet der Unternehmensberater Wolfgang Gröll Dorfläden hauptsächlich im Süden der Republik. In Bayern gibt es seinen Angaben zufolge 168 solcher Geschäfte oder sie sind gerade im Entstehen. Neben Niedersachsen sei der Freistaat der Flecken, „wo sich am meisten rührt“. Neben Haldenwang sind im Landkreis weitere Laden-Standorte in Gundremmingen, Neuburg, Ellzee, Kötz und Konzenberg. Die Lebensmittelgeschäfte in Riedheim, Ettenbeuren und Deisenhausen hat er selbst begleitet. „Inzwischen“, sagt Gröll vom Beraterbüro New Way am Starnberger See, „mache ich nur noch Dorfläden“: ein Beleg für die gestiegene Nachfrage. Er kann aus seiner Erfahrung heraus einige Tipps geben, wie das Sortiment aussehen sollte: Regionale Produkte seien wichtig, ebenso sei es Bioware. Die Basisversorgung dürfe dabei nicht außer Acht gelassen werden – und als Teil davon auch nicht die sogenannten „HIV“-Artikel. Die drei Buchstaben stehen bei Gröll für „Hab’ ich vergessen“– und gemeint sind damit beispielsweise Zucker, Butter und Salz.
Je nach den örtlichen Gegebenheiten müssen laut Experten-Einschätzung zwischen 40000 und 150000 Euro Mindestkapital in die Hand genommen werden, um mit einem Dorfladen starten zu können. Gröll ist überzeugt davon, dass diese Ausdrucksform gelebter Solidarität an einem Ort eine gute Zukunft haben wird – vorausgesetzt, der Laden werde nicht zuallererst als Renditeobjekt betrachtet.
Dass etwas vorwärtsgeht, will Andrea Karsten-Arnold in Haldenwang beweisen. Zum ersten Geburtstag des Dorfladens denkt sie an Ressourcenschutz und beim „Coffee to go“an den Mehrwegbecher: Der „Becherheld“ist für Männer gedacht, die „Becherheldin“gibt es für Frauen zu kaufen – jetzt noch zum Vorzugspreis.