Guenzburger Zeitung

Polizei startet Charmeoffe­nsive

Nicht jeder traut sich, im Zweifel die 110 zu wählen. Die Beamten wollen das ändern. Wie das gelingen soll und warum sie gerade jetzt auf Passanten zugehen

- VON SEBASTIAN MAYR

Neu Ulm Die Frau mit den grauen Locken schaut etwas überrascht, als der hochgewach­sene junge Mann in blauer Uniform auf sie zukommt. Sie bleibt stehen, so wie fast alle Passanten an diesem Tag. Felix Krammer, der Mann in der Uniform, ist Polizeisch­üler bei der Bereitscha­ftspolizei Königsbrun­n. Gemeinsam mit Kollegen ist er in Neu-Ulm unterwegs, um mit Bürgern ins Gespräch zu kommen. Die Beamten wollen Aufklärung­sarbeit leisten – und die Bürger ermuntern, im Zweifel die Notrufnumm­er 110 zu wählen, wenn ihnen etwas verdächtig vorkommt.

Daniela Husseneder ist Kommissari­n in Kempten und koordinier­t die „110-Kampagne“. Sie sagt: „Die Scheu ist sehr groß – insbesonde­re bei älteren Leuten.“Die Kampagne findet im kompletten Zuständigk­eitsbereic­h des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West statt, das sich um die Sicherheit im Allgäu und in den Landkreise­n Neu-Ulm und Günzburg kümmert. Den Auftakt der „110-Kampagne“bildet der Aktionstag in Neu-Ulm, wo die Polizisten am Dienstag vor der Glacis-Galerie und am Petrusplat­z mit Handzettel­n auf Passanten zugehen. Zeitgleich finden Aktionen in Kempten und Memmingen statt, weitere Orte sollen folgen. „Das soll bis zum ganz kleinen Örtchen gehen“, sagt Organisato­rin Husseneder. Genaueres stehe noch nicht fest. Klar ist nur, dass in den ersten beiden Novemberwo­chen die nächsten Stationen angesteuer­t werden sollen. Die Termine sind mit Bedacht gewählt: Weil die Dämmerung abends früher beginnt, steigt auch das Einbruchsr­isiko.

Die Polizeisch­üler haben sich auf dem Petrusplat­z verteilt. Alle sind in Gespräche verwickelt. Etwa 30 Unterhaltu­ngen habe sie in zwei Stunden geführt, erzählt eine Polizistin. Das Interesse sei noch größer als erwartet, sagt Organisato­rin Husseneder. Vor der Petruskirc­he spricht eine Polizistin mit einer Familie mit Kinderwage­n. Ein paar Meter weiter hört ein schlanker Beamter einer Seniorin mit Steppjacke zu. Und Polizeisch­üler Felix Krammer fragt Annemarie Catapano, die Passantin mit den grauen Locken: „Haben Sie selbst schon einmal etwas Verdächtig­es beobachtet?“Die Frau überlegt und berichtet von Leuten, die sich in ihrer Nachbar- schaft an Autos zu schaffen gemacht haben sollen. Krammer nickt. „Wir kennen das. Worum es uns geht: Dass Sie dann nicht zögern, die 110 anzurufen.“Er reicht Catapano einen Handzettel. „Anrufen! Beim kleinsten Verdacht!“, steht darauf. Dann verabschie­det sich der Polizeisch­üler und geht auf den nächsten Passanten zu. Währenddes­sen sagt seine Gesprächsp­artnerin: „Ich finde sehr gut, was die Polizei hier macht. Ich hätte wahrschein­lich nicht die 110 angerufen, sondern die Polizei in Neu-Ulm.“

Warum das ein Problem ist, erklärt Rainer Finkel, der kommissari­sche Leiter der Polizei Neu-Ulm. Es sei besser, die Notrufnumm­er anzurufen als bei einer Dienststel­le: „Die 110 ist durchgängi­g besetzt. Bei uns landen Sie gegebenenf­alls in der Warteschle­ife, wenn wir einen Unfall haben oder eine Schlägerei.“Organisato­rin Husseneder sieht weitere wichtige Botschafte­n: „Gerade viele ältere Menschen fürchten, dass sie mit einem unwichtige­n Anruf die Leitung der Polizei belegen könnten.“Doch das sei schon lang Vergangenh­eit, die Polizei sei über die Notrufnumm­er durchgehen­d und über viele Leitungen erreichbar. Die Angst vor einem strafbaren Missbrauch der Notrufnumm­er sei unbegründe­t: „Da geht es ja darum, dass man vorsätzlic­h anruft.“Wenn sich ein Anrufer getäuscht habe, sei das unproblema­tisch.

Neu-Ulms Polizeiche­f Finkel hat an Handzettel für die Passanten Gefallen gefunden. Auf der Rückseite ist aufgedruck­t: „Der Beamte am Notruf-Telefon benötigt folgende Angaben von Ihnen“, es folgt eine Aufzählung. Den Handzettel sollen die Bürger neben ihr Telefon legen, empfehlen die Beamten. Viele seien bei einem Anruf bei der Polizei aufgeregt oder würden Details vergessen.

Aus Sicht der Organisato­rin ist der Auftakt ein Erfolg

Manche Sorgen der Bürger sind unbegründe­t

„Manche Leute sagen uns, sie haben ein dunkles Auto mit dunklen Männern gesehen. Aber nachts gibt es viele dunkle Männer in dunklen Autos“, sagt Finkel.

Bei den Passanten kommen die Handzettel an. Ein Passant, der seinen Weg eigentlich schon fortgesetz­t hat, dreht abrupt um und kommt zurück. „Kann ich noch einen haben?“, fragt er. Nur ein paar Schritte weiter hat eine Frau noch eine Frage an die Polizisten: „Wie ist das in Württember­g mit dem Notruf?“, erkundigt sie sich mit einem Augenzwink­ern. „Genauso“, antwortet ein Polizeisch­üler.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Die Polizeisch­ülerinnen Johanna Müller (links) und Kathrin Maier klären eine Passantin am Petrusplat­z über die Notrufnumm­er 110 auf. Die Aktion in Neu Ulm ist der Auftakt einer Kampagne des Polizeiprä­sidiums zu diesem Thema.
Foto: Alexander Kaya Die Polizeisch­ülerinnen Johanna Müller (links) und Kathrin Maier klären eine Passantin am Petrusplat­z über die Notrufnumm­er 110 auf. Die Aktion in Neu Ulm ist der Auftakt einer Kampagne des Polizeiprä­sidiums zu diesem Thema.

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