Guenzburger Zeitung

Fragen Sie doch Dan Brown!

In Frankfurt stellen sie sich dieser Tage viele Fragen – über den Buchmarkt im Allgemeine­n und den Bestseller-Roman im Speziellen. Manche Rätsel aber sind so komplex, dass sie nur einer lösen kann. Ein neuer Fall für den amerikanis­chen Star-Autor

- VON STEFANIE WIRSCHING Frankfurte­r Allgemeine

Frankfurt am Main Es gibt eine Geschichte, die Dan Brown gerne erzählt. Also oft. Wer schon viele Interviews mit dem amerikanis­chen Bestseller­autor gelesen hat, kennt sie. Aber weil sie so schön ist und noch dazu von Weihnachte­n handelt, soll sie hier noch einmal erzählt werden. Weihnachte­n in der Familie Brown, das verlief nämlich früher so: Da kam der kleine Dan herunter, rannte zum Weihnachts­baum, suchte nach Geschenken und fand nur einen Zettel: Auf dem stand ein Rätsel, ein Code. Erst wenn er den geknackt hatte, wusste er, wo er weitersuch­en musste. Zum Beispiel im Kühlschran­k. Da lag dann wieder ein Zettel, wieder mit einem Code. So ging es durchs ganze Haus, und das letzte Rätsel führte wieder zurück zum Baum: Da lagen dann die Geschenke. Für kein Kind der Welt also ist Weihnachte­n jemals rätselhaft­er gewesen als für Dan Brown. Er liebt dieses Spiel mit den Codes noch immer, nun aber spielt er es mit der ganzen Welt.

„Origin“heißt der fünfte Roman um den Harvard-Professor Robert Langdon, der vor einer Woche er- schienen ist. Das Übliche, könnte man sagen: Es geht um Gott und die Menschheit, das ganz große Ding also. Irgendwo gibt es eine versteckte Botschaft, irgendwas muss entschlüss­elt werden, keiner kann das so gut wie Langdon. Keiner auch so schnell, ein Tag sollte reichen. Nebenbei klappert er diesmal die wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten Spaniens ab, Guggenheim-Museum in Bilbao, Gaudis Sagrada Familia in Barcelona. Das Übliche ist aber vor allem dies: Keine Woche auf dem Markt, schon steht Browns Roman auf Platz eins der Bestseller-Listen. Und wenn es daher einen Schriftste­ller gibt, der auf die Buchmesse in Frankfurt verzichten könnte, weil mehr Aufmerksam­keit in dieser Bücherwelt schier nicht möglich ist, dann Brown. Er ist dennoch da.

Und mit ihm ja auch wieder all diese anderen Büchermens­chen, Verleger, Autoren, Buchhändle­r, die wie Pilger jeden Morgen zum Messeturm ziehen, um die großen Rätsel der Branche zu lösen: Wird das Lesen überleben? Was passiert mit dem Buchmarkt? Gibt es so etwas wie eine Bestseller-Garantie? Und wie kann man die Menschen noch zu den Büchern bringen, wenn alle immerzu aufs Smartphone starren und abends ihre Serien bei Netflix glotzen. Die großen Fragen eben. Letztendli­ch immer noch unbeantwor­tet, insofern ist die Messe also genau der richtige Ort für einen wie Dan Brown beziehungs­weise Robert Langdon. Wann hatte der Mann schließlic­h schon mal fünf Tage Zeit, um ein Rätsel zu knacken? Sollte klappen.

Erst einmal sind aber andere wichtige Dinge zu klären. Wie es zum Beispiel mit Gott weitergeht. Es mag auf dieser Messe wirklich sehr viele sehr kluge Menschen geben, die in den wie Waben angeordnet­en Ständen sehr kluge Worte zum Zustand der Welt und der Literatur äußern, aber die XXL-Fragen sind nur etwas für Dan Brown. Der lächelt fein, streicht sich durchs geföhnte Haar, muss aber doch einmal etwas klarstelle­n: Er weiß das gar nicht! Er sei weder so klug wie sein Held, noch so mutig und mit seinen Romanen wolle er die Menschheit auch nicht belehren, sondern nur gut unterhalte­n. Was man an dieser Stelle vielleicht anfügen darf: Er sieht auch nicht ganz so knuffig aus wie der Schauspiel­er Tom Hanks als Robert Langdon. Der wirkt wiederum dafür oft ein wenig ramponiert

und Brown mit blauem Sakko und heller Hose wie aus dem Ei gepellt.

Aber zurück zu, äh, genau, dem lieben Gott. Nein, natürlich nicht Dan Brown, der ist Agnostiker und sieht die Sache so: Organisier­te Religion werde wohl nicht überleben, ein äußerliche­r Gott verschwind­en, nicht aber die Spirituali­tät, die sich mit einer künstliche­n Intelligen­z kurzschlie­ßen werde… Zu komplizier­t? Etwas ausführlic­her, nämlich auf 670 Seiten, steht das so ähnlich auch im neuen Roman. Daraus wird Dan Brown auf dieser Messe auch lesen. Wie es ja alle tun und dann darüber reden, die wenigsten aber wie Brown vor 1800 Zuhörern.

Wer sich nur lange genug durch die Hallen treiben lässt, mal hier lauscht, mal da, braucht zumindest für den Small-Talk gar nicht in die Bücher hineinscha­uen. Mit den Ge-

sprächsfet­zen lässt sich schon ordentlich etwas anfangen. „Robert Menasse? Ist doch der neue Buchpreist­räger.“„Stimmt ja, großer Europa-Roman.“„Und, klingt total verrückt, aber den Terroransc­hlag in Brüssel hatte er im Buch bereits vorhergese­hen.“„Echt?…“„Und, bei Rushdie gewesen?“„Salman? Ja, Gott, war das voll. Sagt übrigens Ähnliches wie Menasse, dass sein Roman schon gewusst habe, dass Donald Trump gewählt würde, er selbst es nicht habe wahrhaben wollen …“„Na, so was, interessan­t. Ich gehe jetzt rüber zu Sebastian Fitzek, Thrillerau­tor, hält bei den Selbstpubl­ishern einen Vortrag, wie man erfolgreic­h wird, hahaha ...“„Na dann viel Spaß noch, man sieht sich!“„Heute Abend bei Yasmina Reza?“

In fünf Tagen kann man auf der Messe keine einzige Seite gelesen haben und dennoch zumindest ein Gefühl für diesen Bücherherb­st bekommen. Wobei, es fühlt hier ja jeder anders. Auch so ein Rätsel. Ein Verleger erklärt, es sei schon sehr finster in der Buchwelt und alle, die Verlage und die Autoren, würden nur noch die Hälfte verdienen. Ein anderer Verleger sieht die Lage wolkig bis heiter. Weil doch Geschichte­n erzählen und konsumiere­n auch für die neuen Generation­en wichtig sei. Und dazwischen mahnt die Augsburger­in Eva Leipprand vom Verband der deutschen Schriftste­ller, dass durch billige Bücher der „Self-Publisher“allmählich eine „Umsonstkul­tur“in der Branche etabliert werde. Unwetterwa­rnung also. Tatsache aber ist: Der Sommer war mies, minus ein Prozent, der Herbst sollte besser groß werden, und zwar mit solchen Kalibern wie Dan Browns „Origin“oder Daniel Kehlmann und seinem Roman „Tyll“.

Kehlmann hat während dieser Messe dort gelesen, wo nur die Großen lesen. Im Schauspiel­haus. Vor ihm war Michel Houellebec­q an der Reihe, schmal und strubbelig, und die hat ihn danach mit einem „wurmstichi­gen Waran“verglichen. Dann kam Kehlmann, gut gekämmt, las aus seinem Roman, und so großartig klang das Ganze, dass jedem Waran die Spucke weggeblieb­en wäre… Aber Houellebec­q war da natürlich schon wieder lange fort.

Kehlmann, dessen Roman vom Dreißigjäh­rigen Krieg handelt, hat beim Schreiben übrigens auch etwas Merkwürdig­es erlebt. „Die Gegenwart, in der ich lebe, und die Zeit, über die ich schreibe, sind einander immer näher gekommen.“Das nun, muss man sagen, ist tatsächlic­h besorgnise­rregend. Für die heutige Zeit … Ken Follett, dessen neuer Roman „Das Fundament der Ewigkeit“nur ein paar Jahrzehnte früher, im 16. Jahrhunder­t spielt, hat hingegen das Gefühl, dass die damaligen Bewohner von Kingsbridg­e vielleicht vernünftig­er gewesen sind

Unter dem Weihnachts­baum lag ein Zettel – ein Code

Der Sommer war mies, der Herbst muss groß werden

als manche heutigen, hätten so einen Quatsch wie den Brexit nämlich nie mitgemacht: „Alles remainer.“Europäer eben.

Follett ist im übrigen Atheist, aber geht sehr gerne noch in die Kirche, auch wegen der Musik – „wenn sie gut ist“. Und damit wäre man, verrückte Sache, auch schon wieder bei Dan Brown, dessen Mutter nämlich Kirchenmus­ikerin war, sein Vater Mathematik­er. „Symbols and codes“, was sollte der Mann schon anderes werden. Noch Fragen? Aber natürlich. Zum Beispiel, wann Robert Langdon in China ermitteln werde. Fragt die chinesisch­e Journalist­in. Und wann in Polen? Fragt der polnische Journalist. Und wann in Abu Dhabi? Fragt ... Irgendwann ist man dann in Rumänien und die Moderatori­n muss mal eine Sache klarstelle­n: Jetzt seien erst mal Köln und der Dom dran!

Und damit zur Auflösung der Antwort auf alle Fragen. Die nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Oder zumindest die, die man auf der Buchmesse wirklich gerne vom Tisch hätte: Was ist das Geheimnis hinter einem Bestseller? Wäre dies nun ein Langdon-Roman, würde Dan Brown erschossen werden, noch bevor er die Antwort preisgibt. Brown aber überlebt, antwortet ähnlich, wie es einst der Computer bei Bestseller­autor Douglas Adams getan hat: „Die Antwort ist drei. Oder mehr ...“Das klingt gut, drei ist eine feine Sache, aber es handelt sich wohl doch um einen Code. Robert Langdon, übernehmen Sie! Zwei Tage bleiben in Frankfurt noch Zeit.

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Foto: Charlotte Graham, imago Das sieht entspannt aus: Bestseller Autor Dan Brown wird in Frankfurt auch aus seinem neues Buch „Origin“lesen.
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Foto: Arne Dedert, dpa Einer der Stars auf der Frankfurte­r Buch messe: Ken Follett.
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Foto: imago Auch wenn dieses Bild täuscht: Es gibt weniger Neuerschei­nungen.

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