Das spannende Rennen von Niedersachsen
Nicht nur der Wahlausgang ist offen. Auch die Koalitionsfrage der tief zerstrittenen Lager wird schwer lösbar
Hannover Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen sind am Sonntag sechs Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der in Hannover in einer rot-grünen Koalition regiert, wird von Bernd Althusmann von der CDU herausgefordert. Die Landtagswahlen im nach Bayern zweitgrößten Flächenstaat finden drei Monate vor dem ursprünglich angesetzten Termin statt, nachdem die Landtagsabgeordnete Elke Twesten von den Grünen zur CDUFraktion wechselte, wodurch die Einstimmen-Mehrheit von RotGrün dahin war.
Was sind die wichtigsten Themen im Wahlkampf?
In der Bildungspolitik ist die Inklusion, der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern, sehr umstritten. Weil möchte sie weiter ausbauen. Der CDU-Herausforderer will eine Atempause bei der Inklusion. Doch es war Althusmann, bis 2013 Kultusminister der Vorgängerregierung, der die Inklusion eingeführt hatte. Heiß diskutiert werden Fragen der inneren Sicherheit: Althusmann fordert 3000 zusätzliche Polizisten. Auch die Volkswagen-Diesel-Affäre spielt in den Wahlkampf hinein; am Wolfsburger Autobauer hängen zahlreiche Arbeitsplätze im Land. Und der auf rund 100 Tiere angewachsene Bestand an Wölfen macht vielen Niedersachsen Angst. Einig sind sich alle, dass Problemwölfe abgeschossen werden müssen.
Welche Rolle spielt die Bundespolitik?
Für die angeschlagene Bundes-SPD wäre ein Sieg von Stephan Weil ein Hoffnungsschimmer, nach dem Desaster bei der Bundestagswahl. Ein guter Wahlausgang würde die Entscheidung von Parteichef Martin Schulz rechtfertigen, in die Opposition zu gehen. Schulz könnte damit seine Chancen, im Amt zu bleiben, erheblich steigern. Auch CDU-Chefin Angela Merkel wäre auf ein Erfolgserlebnis angewiesen. Aus Angst, in den Sog des schlechten Bundestagswahlergebnisses zu geraten, ist Bernd Althusmann zuletzt sogar etwas von der Kanzlerin abgerückt. Es gab Fehleinschätzungen in der Flüchtlingspolitik, sagte er.
Was sagen die Meinungsumfragen? Vieles deutet auf ein Kopf-an-KopfRennen. Die SPD liegt laut dem
ZDF- Politbarometer bei 34,5 Prozent. Die CDU bleibt bei 33 Prozent – und damit deutlich hinter den August-Umfragewerten von 40 Prozent. Grüne und FDP kommen auf je neun Prozent, die AfD auf sieben, die Linke auf fünf Prozent. 49 Prozent der Befragten wünschen sich, dass Weil Regierungschef bleibt. Weder für eine rot-grüne Regierung wie bisher noch für eine schwarzgelbe Koalition würde es reichen. Die AfD in Niedersachsen kämpft mit heftigen Querelen im Landes- vorstand. Landes-Chef Armin-Paulus Hampel wurde gar verdächtigt, in die Parteikasse gegriffen zu haben. Die Staatsanwaltschaft stellte ihr Ermittlungsverfahrenes am Freitag aber ein.
Welche Koalition könnte es geben? Der Fall der abtrünnigen Grünen Twesten erschwert denkbare Koalitionen: Zwischen der CDU auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite ist die Stimmung vergiftet. Auch die Bildung eines Jamaika-Bündnisses aus CDU, FDP und Grünen dürfte in Hannover aufgrund der Twesten-Affäre äußerst schwer sein. Die FDP hat sich eindeutig auf die Seite der CDU geschlagen, deshalb scheint auch eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP so gut wie ausgeschlossen. Ein Bündnis von SPD, Grünen und Linke ist keineswegs unwahrscheinlich, wenn die Linke es in den Landtag schafft. Es wäre die erste derartige Koalition in einem westdeutschen Bundesland. SPD-Ministerpräsident Weil hat diese Möglichkeit nie eindeutig ausgeschlossen.