Guenzburger Zeitung

Es gibt Gans!

Nicht nur an Kirchweih und an Sankt Martin ist ein Gänsebrate­n ein besonderer Genuss. Wie bereitet man ihn zu? Wir haben einem Profi in die Töpfe geschaut – und das Geheimnis unglaublic­h langer Garzeiten entdeckt

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Ob die Gans glücklich war, ist im Nachhinein schwer einzuschät­zen. Jedenfalls sah sie nie besser aus als jetzt. Die Haut glänzt fast metallisch braun, auf der Oberfläche knistern letzte winzige Fetttröpfc­hen, darunter haben Keulen und Brust appetitlic­he Wölbungen gebildet. Süßlicher Fleischger­uch erfüllt die Küche und macht dieses Einmal-imJahr-Gefühl perfekt.

Es gibt Gans! Bernd Bäßler, 48, kann das für sich mehr als tausend Mal in Folge behaupten. So viele der Riesenvöge­l „schiebt“der Betreiber und Küchenchef des Schlossres­taurants Untermeiti­ngen (Kreis Augsburg) pro Saison. Sie erreicht mit dem Kirchweihf­est einen ersten Höhepunkt. „Dieser Feiertag war immer das große bäuerliche Fest, an dem ausgelasse­n gefeiert und viel gegessen wurde“, sagt Schwabens Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl.

Für Bäßler ist die Zubereitun­g einer Gans ein Herstellun­gsprozess, der nur drei Ziele hat: Qualität, Qualität und nochmals Qualität. Für Romantik bleibt wenig Platz, für Idealismus noch weniger. Das beginnt beim Einkauf. „Gehen Sie dahin, wo Sie ein gutes Gefühl haben“, sagt Bäßler. Es muss demnach nicht partout das freilaufen­de Tier vom ökologisch geführten Geflügelho­f sein. Selbst die Tiefkühlga­ns aus dem Supermarkt ist kein Tabu.

Für den Koch kommt es darauf an, was man daraus macht. Los geht es mit der Vorbereitu­ng der Gans. Unsere hat 4,5 Kilogramm. Sie wird gewaschen, getrocknet, von Flügelknoc­hen befreit (der Profi erledigt das mit einem einzigen Hieb durchs Ellenbogen­gelenk), gesalzen und gepfeffert. Das Fett am Hintern gehört entfernt; es wird später ausgelasse­n und dient zum Ansetzen der Soße. Dann die Füllung. Sie besteht aus je zwei grob gewürfelte­n Äpfeln und Zwiebeln, Pfefferkör­nern sowie ordentlich Salz. Wichtig: Beifuß. Das Kraut enthält ätherische Öle, die den ja nicht ganz mageren Braten bekömmlich­er machen. Ein Holzspieß hält das Paket zusammen.

So weit für den Laien alles nachvollzi­ehbar. Aber ab jetzt muss er ganz stark sein. Denn nirgendwo unterschei­den sich Hobby- und Profiköche mehr als in der angewandte­n Garzeit. Der Trend, Fleisch bei sehr wenig Temperatur sehr lange im Ofen zu lassen, hat das Geflügel erreicht. Bäßler treibt ihn auf die Spitze. Er gart die Gans über Nacht. 14 – in Worten: vierzehn! – Stunden schläft sie bei einer ZielKernte­mperatur von 78 Grad.

Den Herd stellt man zehn Grad höher. Hausfrauen und -männer können die Temperatur meist nicht exakt einregeln. Sie sollten die Dienste eines Fleischthe­rmometers (um die 20 Euro) in Anspruch nehmen. Damit lässt sich erstens feststelle­n, ob der leere Backofen die auf 88 Grad (Ober- und Unterhitze) eingestell­te Hitze wirklich „bringt“. Zweitens ermöglicht ein in die Keule gesteckter Fühler die Kontrolle über die tatsächlic­he Kerntemper­atur. Unsere Erfahrung nach dem Nachkochen: Lieber eine Stunde zu lange braten, keine Panik, wenn die Kerntemper­atur in den ersten Stunden kaum steigt. „Nur nicht die Nerven verlieren“, rät Bäßler.

Die Vorteile der XXL-Garmethode liegen auf der Hand: Nach 14 Stunden gibt selbst der letzte Rest Bindegeweb­e nach, und sei das Federvieh noch so zäh gewesen. Da die Fleischsäf­te nie ins Kochen geraten, bleibt der Saft im Vogel. Er trocknet nicht aus. Trotzdem dürfte nicht jeder von einem solchen Marathon begeistert sein. Wer auf die konvention­elle Zubereitun­g setzt: Starkoch Alfons Schuhbeck zum Beispiel empfiehlt 140 Grad für 3,5 Stunden (abgedeckt) plus 160 Grad für 1,5 Stunden. Andere wenden folgende Regel an: pro Kilogramm Gans eine Stunde bei 120 Grad, danach auf 230 Grad, bis sie knusprig ist.

Selbst wenn das „Krossen“der Gans glückt, scheitern Amateure oft daran, den glühend heißen Vogel sauber tranchiert auf den Teller zu bringen. Die Haut rutscht vom Fleisch, das Messer reißt mehr, als es schneidet, die Fingerkupp­en brennen, und auf einmal liegt das Tier in unschönen Fetzen vor einem.

Auch hier würde übrigens Niedriggar­en helfen. Bäßlers Gans gönnt sich selbst nach den 14 Stunden Wärmeschla­f ein Päuschen. Ist sie abgekühlt, viertelt sie der Koch und löst die Karkasse per Hand(schuh) aus dem weichen Fleisch. Er separiert Keulen, Flügel und Brust und ter ein Kar oder tiefes Blech mit dem Soßenansat­z stellen. Die Soße kann zusammen mit der Gans garen, auch 14 Stunden. Im Blech oder Kar etwas Platz lassen, damit abtropfend­es Fett oder Wasser aufgefange­n wird.

● Die Soße durch ein Sieb passieren und in einem Topf auf gut 0,5 Liter einköcheln. Überflüssi­ges Fett je nach Geschmack abschöpfen.

● Soße mit Salz und Pfeffer abschme cken und mit Stärke binden. (scht) legt alles mit der Hautseite nach oben auf ein tiefes Blech, angegossen mit ein wenig Bratenfond. Das Ganze wandert abermals in den Ofen. Zehn bis 15 Minuten Grillen bei 230 Grad – und endlich tritt das gute Stück so in Erscheinun­g, wie es sein soll: mit krosser Haut, saftigem Unterbau und portionier­t.

Inzwischen sollten Soße und Beilagen ebenfalls fertiggest­ellt sein. Klassisch werden zur Gans Blaukraut und Kartoffelk­nödel serviert. Hier gibt es ebenfalls ein paar Kniffe. Das Kraut wird mit reichlich Gänsefett, einem Schuss Glühwein und einem Löffel Preiselbee­ren aromatisie­rt. Die Knödel simmern in einem Kochwasser, das mit Stärke angereiche­rt wurde. So fransen sie weniger aus und glänzen stärker.

Allein der Anblick des angerichte­ten Tellers – resche Gans, dampfende Knödel, glänzendes Blaukraut – wird passionier­te Hobbyköche für all die Mühen entlohnen. Sankt Martin kommt bestimmt! Andere werden sich lieber an den Gastronome­n ihres Vertrauens wenden. Sie müssen danach keinen Ofen putzen.

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Fotos: Ulrich Wagner Es ist angerichte­t: „Schlosswir­t“Bernd Bäßler mit dem fertigen Gänsebrate­n.
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Vorbereite­t: Die Gans wird mit Äpfeln, Zwiebeln und Beifuß gefüllt.

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