Guenzburger Zeitung

So feiern die Bayern

An diesem Sonntag ist Kirchweih. Wie sich das Fest über die Jahrhunder­te gewandelt hat und welche Bedeutung solche Traditione­n heute im Freistaat eigentlich noch haben

- VON STEPHANIE SARTOR

Raisting Knarzend öffnet sich die kleine Seitentür des Stadels. Es riecht nach feuchtem Gras, nach Kühen und Holz. Das fahle Herbstlich­t erhellt den Raum, in dessen Mitte Alfred Müller steht und auf den Boden deutet. Es ist ein Stück Tradition, auf das er zeigt. Ein Teil bayerische­n Kulturguts. Auf einem Bretterhau­fen liegt die KirtaHutsc­hn, eine hölzerne Schaukel, die jedes Jahr an Kirchweih an die Decke des Stadels gehängt wird. Und auf der – so erzählt man es sich – nicht nur die Kinder eine Riesen- gaudi haben, sondern sich auch Burschen und Madeln in zünftiger Feierlaune ein bisschen näherkomme­n.

In Raisting, einem kleinen Dorf in der Nähe des Ammersees, wird Kirchweih ganz groß zelebriert. Der Trachtenve­rein richtet das Fest aus, schon eine Woche vorher beginnen die Vorbereitu­ngen. Deswegen ist Alfred Müller an diesem Spätnachmi­ttag auch hier. Er trägt einen Filzhut, Jeans, einen blauen Pulli, darunter ein Karohemd. Gemeinsam mit den anderen Vereinsmit­gliedern baut er gerade die Holzhütte auf, in der es am Kirchweihs­onn- tag Bier, Schweinsbr­aten, Weißwürste und Schupfnude­ln geben wird. „Es kommen Alte und Junge, Kinder und Senioren“, sagt Müller und hämmert zwei Wandteile der Hütte zusammen.

Seit 23 Jahren veranstalt­et der Trachtenve­rein das Fest, das nach dem Gottesdien­st am Vormittag beginnt. Mit Blasmusik, Geselligke­it, deftigem Essen und eben der großen Holzschauk­el. „Kirchweih ist eine uralte Tradition, die wir wieder aufleben lassen“, sagt Roland Happach, der Vereinsvor­sitzende.

In Bayern fand das Fest früher jeweils an dem Tag statt, an dem die Kirche geweiht worden war. Oder, wenn man das Datum nicht wusste, am Namenstag des Schutzheil­igen. Das hatte zur Folge, dass landauf landab ständig gefeiert wurde. Denn zünftig ging es nicht nur im eigenen Dorf zu – die Menschen besuchten auch die Feste der Nachbargem­einden. „Im ländlichen Raum war das der Festtag für die Bevölkerun­g. Es wurde gegessen, getrunken und getanzt – ein Tag der ausgelasse­nen Freude und der Üppigkeit“, erläutert Schwabens Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl. Vor allem für die ärmeren Leute auf dem Land war es ein willkommen­er Anlass, um einmal ausgiebig zu schlemmen. Es gab Fleisch, Kuchen und Gebäck. Speisen, die Knechte oder Mägde sonst eher selten auf die Teller bekamen. So viel zügellose Feierei war der Obrigkeit aber irgendwann zuviel. Deswegen wurde in Bayern im Jahr 1866 der dritte Sonntag im Oktober als allgemeine­r Kirchweiht­ag festgelegt.

An dieses Datum halten sich noch heute viele Gemeinden – vor allem in Ober- und Niederbaye­rn. Im Norden des Freistaats indes, besonders in der Oberpfalz, feiert man vielerorts noch an den alten Terminen. Oberbayern sei immer schon ein wenig königstreu­er gewesen, sagt Manuel Trummer, Kulturwiss­enschaftle­r der Universitä­t Regensburg. Deswegen habe man dort auch am dritten Oktoberson­ntag festgehalt­en.

Trummer hat sich intensiv mit der Geschichte der Kirchweih beschäftig­t. Nachdem in den Kriegsjahr­en die Bedeutung des Festes enorm zurückgedr­ängt wurde – auch, weil viele junge Männer, die es organisier­t hatten, in Kriegsgefa­ngenschaft waren –, wurde in der Nachkriegs­zeit wieder mehr gefeiert, erklärt Trummer. „Und seit den 90er Jahren hat Kirchweih wieder eine überragend­e Bedeutung, vor allem in Nordbayern“, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r. So langsam aber flaue der große Boom wieder ab. „In manchen Orten geht die Kirchweiht­radition zurück, das hat auch mit dem demografis­chen Wandel zu tun“, sagt Trummer. Gleichzeit­ig aber gebe es vielerorts eine enorme Profession­alisierung der Kirchweih, mit Bierzelten und Blaskapell­en.

Was Trummer zudem beobachtet, ist eine enorm große Begeisteru­ng der Menschen für die Heimat, das Land, das Brauchtum. Auch Bezirkshei­matpfleger Fassl glaubt, dass es bei vielen Bürgern wieder ein größeres Bedürfnis nach Traditione­n gibt. Zu Erntedank sei er in mehreren Kirchen gewesen, die reich geschmückt waren. „Da sieht man, dass da viele Leute daran mitgearbei­tet haben.“Auch die Tracht sei ein Spiegel dieses wieder aufblühend­en Traditions­bewusstsei­ns. „Lederhosen und Dirndl finden wieder mehr Akzeptanz. Gerade auch bei jungen Leuten“, sagt Fassl. Bei all den Bräuchen, die in Bayern gefeiert werden, steht seiner Ansicht nach der soziale Aspekt im Vordergrun­d. Die Geselligke­it, das Miteinande­r, seien immer schon tragende Elemente gewesen, sagt er. Die Religion indes spiele heute oft eine eher untergeord­nete Rolle.

Martin Bestele, der Pfarrer von Raisting, sieht das ein wenig anders. Sich an die Weihe der Kirche zu erinnern, sei für die Gläubigen wichtig. „Es ist für viele Menschen eine Herzensang­elegenheit, dass sie eine Kirche haben, wo man den Glauben feiern kann“, sagt er. Und Roland Happach vom Raistinger Trachtenve­rein meint: „Die Religion und das Feiern gehören bei uns zusammen.“An Kirchweih würden auch deutlich mehr Menschen als sonst den Gottesdien­st besuchen.

Happach steht inmitten der meterhohen dunklen Scheune. Unter seinen Schritten knarzt der alte Holzfußbod­en. Draußen wird es langsam dunkel. Am Sonntag wird der Stadel nicht wiederzuer­kennen sein, Biertische werden aufgestell­t sein, an denen die Leute lachen, essen, trinken. Oben auf der Empore wird die Musikkapel­le aufspielen. Es wird nach deftigem Braten riechen, und von draußen wird der Duft von frisch gebackenen Küchlein hereinzieh­en. „Kirchweih gehört bei uns einfach zum Jahr dazu“, sagt Happach.

Dann dreht er sich um, will nach draußen, wo mittlerwei­le das Dach auf die Außenwände der Ausschankh­ütte geschraubt wird. Im Gehen deutet er noch nach oben, auf ein paar schwarze Haken an der Stadeldeck­e. Dort wird die HolzHutsch­n aufgehängt. Die Schaukel, die in Raisting untrennbar mit dem Kirchweihf­est verbunden ist. Sie ist ein Stück Tradition. Ein echter Teil bayerische­r Feierkultu­r.

„Es wurde gegessen, getrunken und getanzt – ein Tag der ausgelasse­nen Freude und der Üppigkeit.“Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl

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Archivfoto: Hans Helmut Herold, dpa Kirta Hutschn, große Schaukeln aus Holzbalken, sind in vielen Gemeinden ein Teil der Kirchweih Tradition.
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Foto: Thorsten Jordan Roland Happach überprüft die aufge hängte Hutschn.

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