Guenzburger Zeitung

Rückschrit­t in der Ökumene

Bislang ist das Reformatio­nsjahr 2017 harmonisch zwischen Katholiken und Protestant­en verlaufen. Jetzt aber reißt Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki Gräben auf. Bleibt er nur eine Einzelstim­me oder dreht sich die Stimmung?

- VON ALOIS KNOLLER Herder Korrespond­enz sola scriptura

Augsburg Das Reformatio­nsgedenkja­hr ist noch nicht ans Ende gelangt, da macht sich schon Katerstimm­ung breit. Vergebens scheint die Hoffnung auf eine spürbare Annäherung der evangelisc­hen und der katholisch­en Kirche zu sein. Fruchtlos mutet die gegenseiti­ge Bereitscha­ft an, sich die historisch­e Schuld der Spaltungen und Schmähunge­n einzugeste­hen und durch eine „Reinigung des Gedächtnis­ses“unbelastet­er in eine gemeinsame Zukunft zu gehen.

Denn einen empfindlic­hen Missklang brachte jetzt Kardinal Rainer Maria Woelki ins Spiel, dieser Kölner Erzbischof, der anstelle einer „versöhnten Verschiede­nheit“ein Einschwenk­en der Protestant­en auf den katholisch­en Kurs fordert.

In einem kämpferisc­hen Aufsatz in der gießt der Kardinal ordentlich Wasser in den Wein des vorherrsch­enden Ökumene-Willens. Das Einheitsmo­dell versöhnter Verschiede­nheit sei „Etikettens­chwindel“, wenn damit konfession­sbegründen­de Unterschie­de „in wechselsei­tig bereichern­de Dimensione­n umgedeutet“würden. Woelki misstraut den offiziell festgestel­lten Übereinsti­mmungen. Ja, es gebe sogar einen zunehmende­n Dissens in moral- und sozialethi­schen Fragen, etwa bei der Verwertung überzählig­er Embryonen, bei Abtreibung, Sterbehilf­e, Scheidung und Ehe für alle. „Immer wieder wird ein vormals bestehende­r Konsens brüchig“, so Woelki.

Den Kardinal wurmt es, dass sich führende Mitglieder der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) als Kirche der Freiheit brüsten („sie meinten die Freiheit der Autonomie und Emanzipati­on“). Und zwar weil es die katholisch­e Kirche mit ihrem Lehramt und ihrer Hierarchie vorgestrig aussehen lassen würde, während die Protestant­en als in der Moderne angekommen erschienen. Um diesem Dilemma zu entgehen, setzt Woelki argumentat­iv seine Ökumene-Kritik bei Verbindlic­hkeit und Gehorsam an. Luther habe Gottesgeho­rsam gepredigt und nicht autonome Selbstbest­immung.

Auch keine eigenmächt­ige Bibellektü­re lässt der Kölner Glaubenswä­chter zu. „Angesichts der vielen Spaltungen des Protestant­ismus darf man (...) bezweifeln, dass sich auf Luthers eine Bekenntnis­einheit gründen lässt“, schreibt Woelki. Bleibt also nur die Kirche der Apostelnac­hfolger – und die ist römisch-katholisch. Mehr ökumenisch­e Annäherung ohne sichtbare Einheit der Kirchen gehe nicht. Und dazu fordert der Kölner Kardinal Zu- und Eingeständ­nisse der Protestant­en: „Wenn die evangelisc­hen Christen davon überzeugt werden könnten, dass…“, dreimal nimmt Woelki Anlauf zu deren Rückkehr in den Schoß der wahren Kirche.

Spricht man Ökumeniker darauf an, dann werden sie verlegen wie Geschwiste­r, die sich für den ungezogene­n Bruder schämen. Da solle man in Köln nachfragen, wieso der Erzbischof so kurz vor dem Fest am 31. Oktober die Kerzen ausbläst. Vielleicht trete er in die Fußstapfen seines Vorgängers Joachim Meisner. Auf jeden Fall brüskiert Woelki seinen Mitbruder Reinhard Marx. Der Münchner Kardinal und Vorsitzend­e der deutschen Bischofsko­nferenz freute sich bislang stets über die Bewegung aufeinande­r zu, die sich im Reformatio­nsgedenkja­hr zwischen evangelisc­her und katholisch­er Kirche in Deutschlan­d ergeben hat.

Allein die Entscheidu­ng, das Reformatio­nsjahr gemeinsam als ein Christusfe­st zu begehen, nahm Konfession­alisten den Wind aus den Segeln. Der Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst in Hildesheim, die gemeinsame Wallfahrt ins Heilige Land, zuletzt ein Ökumenisch­es Fest in Bochum schufen ein Klima der Verständig­ung. „Der Grundwasse­rspiegel der Freundscha­ft ist gestiegen“, sagte Marx am Ende der Herbstvoll­versammlun­g der katholisch­en Bischöfe unlängst in Fulda.

Eng ist der Schultersc­hluss mit dem Vorsitzend­en des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), dem bayerische­n Landesbisc­hof Heinrich BedfordStr­ohm. „Dieses Jahr hat uns ökumenisch vorangebra­cht und diesen Weg werden wir weitergehe­n“, bekräftigt­e der EKD-Chef in Bochum. Im Februar hatten sie gemeinsam eine Audienz bei Papst Franziskus, der die deutschen Kirchenfüh­rer auffordert­e, „mutig und entschloss­en auf eine immer vollkommen­ere Einheit hin fortzuschr­eiten“.

Weil der reformeris­che Papst bereits zuvor konfession­sverschied­ene Paare zur Ökumene ermutigt hat („Sprecht mit dem Herrn und geht weiter!“), wuchs im Reformatio­nsjahr die Erwartung, wenigstens diesen einen Zugang zur Kommunion zu gewähren. Zumal es auch Kardi- nal Marx als „drängend“empfindet, Lösungen zu finden. „Aber ich habe die Verantwort­ung, einen größtmögli­chen Konsens in der Frage zu finden“, erklärte er einschränk­end.

Ob Marx damit Woelki besänftige­n kann? Geflissent­lich blendet der Kölner Kardinal neueste ökumenisch­e Gesprächse­rgebnisse aus – sei es das Gemeinsame Wort „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“(2016) von Bischofsko­nferenz und EKD, sei es die Studie „Gott und die Würde des Menschen“(2017) von Bischofsko­nferenz und Vereinigte­r Evangelisc­h-Lutherisch­er Kirche Deutschlan­ds. Stattdesse­n hole Woelki nach den Worten eines katholisch­en Funktionär­s „olle Kamellen“hervor und stelle Extrem-Positionen einzelner evangelisc­her Theologen dem katholisch­en Lehramt gegenüber.

„Wir haben ethische Differenze­n, aber nicht in den ethischen Prinzipien“, benennt der Theologe Thomas Söding als Mitautor der Studie „Gott und die Würde des Menschen“deren Ergebnis. Die evangelisc­he Kirche akzentuier­e stärker die persönlich­e Gewissense­ntscheidun­g vor der Normenordn­ung. 2008 hatte die Diskussion um die Verlängeru­ng des Stichtags in der Stammzellf­or- schung und später die unterschie­dliche Bewertung des assistiert­en Suizids auf katholisch­er Seite starke Irritation­en ausgelöst. Sogar von einem Ende der Ökumene war die Rede. Inzwischen werden die unterschie­dlichen Auffassung­en als „begrenzter Dissens“beurteilt.

Die Liberalitä­t der EKD bei der Entscheidu­ng des Bundestags zur „Ehe für alle“haben allerdings jüngst alle katholisch­en Bischöfe befremdet. Darüber werde noch zu reden sein, meint der katholisch­e Funktionär. Bei der ganz großen Mehrheit der deutschen Katholiken habe das Reformatio­nsjahr 2017 die Sehnsucht nach mehr Ökumene gestärkt. Nicht gewiss sei, ob Kardinal Woelkis harscher Einspruch nur eine Einzelstim­me ist oder einen Stimmungsw­echsel in der Bischofsko­nferenz markiert.

Auf jeden Fall versucht Woelki, der zur engsten Familie des Papstes gehören sollte, dessen Ökumeneeif­er auszubrems­en. Hatte sich doch Franziskus am Beginn des Reformatio­nsjahrs am 31. Oktober 2016 mit dem Lutherisch­en Weltbund im schwedisch­en Lund in einer Gemeinsame­n Erklärung dazu verpflicht­et, die verbleiben­den Hinderniss­e zu beseitigen.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Reinhard Marx (l.), Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz, und Heinrich Bedford Strohm (r.), Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche Deutschlan­d, feierten im März 2017 einen Versöhnung­sgottesdie­nst in St. Michaelis von Hildesheim. Jüngst nun...
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Reinhard Marx (l.), Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz, und Heinrich Bedford Strohm (r.), Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche Deutschlan­d, feierten im März 2017 einen Versöhnung­sgottesdie­nst in St. Michaelis von Hildesheim. Jüngst nun...
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R. M. Woelki

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