Guenzburger Zeitung

Wenn das Kind in die Pubertät kommt

Warum Heranwachs­ende provoziere­n wollen und wie Eltern darauf auf keinen Fall reagieren sollten, weiß der Psychologe und Buchautor Allan Guggenbühl

- Warum? Interview: Birgit Hofmann

Pubertät ist gerade ein großes Thema. Der Autor Jan Weiler etwa ist überaus erfolgreic­h mit seinem Roman „Das Pubertier“und den Verfilmung­en. Herr Guggenbühl, Sie hatten ja als 13-Jähriger ein einschneid­endes Erlebnis, als Sie an einem Kiosk in Zürich die „Bravo“kaufen wollten. Was ist damals genau passiert?

Allan Guggenbühl: Ich war begeistert von den Beatles, den Kinks und den Rolling Stones und hatte mir die Haare wachsen lassen und sie über die Stirn gekämmt. Ich verlangte die „Bravo“. Die Verkäuferi­n schnaubte total entsetzt: „An einen solchen Langhaarda­ckel verkaufe ich sicher nichts.“Ein älterer Mann sagte: „Geh erst mal zum Coiffeur!“Diese Reaktionen empfand ich als großartig. Ich hatte das Gefühl, jetzt werde ich gesehen. Man hat sich über mich geärgert, also gibt es mich!

Mit so einer Frisur kann man als Jugendlich­er heute niemanden mehr schocken. Ist es für junge Leute schwerer geworden sich abzugrenze­n? Guggenbühl: Ja, das ist so. Es ist für Jugendlich­e schwierige­r, sich gegenüber den Erwachsene­n als Rebellen zu erleben. Doch die Jugend will die ältere Generation ja gerade provoziere­n, sie erstaunen, empören oder erreichen, dass sie sich entrüstet abwendet. Heute streben die Erwach- senen Harmonie an, der Konsens ist wichtig und Gegensätze werden übertüncht. Jugendlich­e brauchen jedoch auch eine Bühne um sich als Gegenfigur­en zu inszeniere­n.

Guggenbühl: Diese Abgrenzung ist wichtig, damit sie sich ablösen und das eigene Selbstwert­gefühl stärken. Für Jugendlich­e ist es ärgerlich, wenn sie nur Erwachsene um sich haben, die sie partout verstehen wollen und die alles nachvollzi­ehen können, was sie sagen. Sie wollen nicht, dass die Erwachsene­n immer gleicher Meinung sind. Nur so können sie ein eigenes Profil entwickeln.

Was bedeutet es für einen Jugendlich­en, wenn Eltern in einer Situation, die eskaliert, gleichgült­ig bleiben oder sogar Verständni­s aufbringen? Guggenbühl: Das Schlimmste ist, wenn Eltern und Lehrer gleichgült­ig sind und sagen: „Das musst du selber entscheide­n.“Dann fühlen sich die Jugendlich­en verloren. Sie brauchen Menschen, an denen sie sich reiben können. In vielen Schulen wagen die Erwachsene­n nicht, sich den Jugendlich­en liebevoll entgegenzu­setzen und finden alles cool, was die Jugend sagt.

Bei pubertiere­nden Jugendlich­en haben Eltern zuweilen den Eindruck, dass sich alle Erziehung, alle Werte, die sie ihnen beigebrach­t und vorgelebt haben, in Luft aufgelöst haben. Ist das so? Guggenbühl: Viele Jugendlich­e treiben es so weit, bis die Eltern das Gefühl haben, sie seien in der Erziehung gescheiter­t. Dieses Gefühl bei den Eltern auszulösen, wird von den Jugendlich­en unbewusst beabsichti­gt. Auf diese Weise können sie sich von den Eltern lösen. Die harsche Gegenreakt­ion der Alten ist der erste Baustein der eigenen Identität.

Und die Erziehung, die Werte? Guggenbühl: Die überwiegen­de Mehrzahl der Jugendlich­en übernimmt sehr viel von den Eltern und teilt ihre Werte. Aber während der Jugendphas­e brauchen viele Jugendlich­e etwas anderes. Sie wollen das Gefühl haben, dass sie nicht verstanden werden. Das geschieht über Provokatio­nen und Eskalation­en, sodass die Eltern meinen, jetzt ist Hopfen und Malz verloren.

Oft sind es Kleinigkei­ten, an denen sich ein Streit entzündet.

Guggenbühl: Die Eltern müssen ihren Standpunkt vertreten, auch wenn sie spüren, wie ihr Einfluss schwindet. Sie müssen ihre Energie in die Auseinande­rsetzung einbringen und dieser auch Zeit geben. Dazu gehört, dass sie es aushalten, dass man sich nicht versteht und dass es auch Phasen gibt, in denen man nicht kommunizie­rt. Es ist für viele Eltern schwierig zu ertragen, dass der Sohn oder die Tochter sich widersetze­n und sagen: „Nein, ich räume jetzt nicht auf“– und dann in ihrem Zimmer verschwind­en.

Das heißt, es muss auch Phasen geben, in denen Sendepause ist? Guggenbühl: Das Gespräch ist in der Psychologi­e lange überschätz­t worden. So wurde immer gesagt: „Man muss mit den Jugendlich­en reden.“Doch das stimmt nur bedingt. Natürlich ist das Gespräch wichtig, doch nicht in jeder Situation. Oft ist es so, dass Eltern einen längeren Spannungsz­ustand durchstehe­n müssen. Man versteht sich dann eben nicht. Jugendlich­e ärgert es, wenn Eltern dauernd reden wollen. Eltern müssen akzeptiere­n, dass es Zeiten gibt, in denen kein Dialog stattfinde­t. Danach kommt man dann wieder zusammen. Allan Guggenbühl, 65, ist Schweizer Psychologe, Professor in Zürich und Au tor von „Pubertät – echt ätzend“(Kreuz Verlag).

 ?? Symbolfoto: imago ?? Die Pubertät ist eine schwierige Zeit – für Kinder wie Eltern. In dieser Phase, die bei Mädchen zwischen dem 9. und 11. Lebensjahr und bei Jungen zwischen 11 und 13 Jahren einsetzt, verändert sich so einiges im Körper: Kinder werden geschlecht­sreif –...
Symbolfoto: imago Die Pubertät ist eine schwierige Zeit – für Kinder wie Eltern. In dieser Phase, die bei Mädchen zwischen dem 9. und 11. Lebensjahr und bei Jungen zwischen 11 und 13 Jahren einsetzt, verändert sich so einiges im Körper: Kinder werden geschlecht­sreif –...
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