Guenzburger Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (15)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt G

Sein Vater hatte so um fünfzehn, er mag gut zwanzig Demat haben, aber damit ist bis jetzt hier niemand Deichgraf geworden.“

Der Pastor tat schon den Mund auf, als wolle er etwas einwenden, da trat Elke Volkerts, die eine Weile schon im Zimmer gewesen, plötzlich zu ihnen. „Wollen Euer Gnaden mir ein Wort erlauben?“sprach sie zu dem Oberbeamte­n; „es ist nur, damit aus einem Irrtum nicht ein Unrecht werde!“

„So sprecht, Jungfer Elke!“entgegnete dieser; „Weisheit von hübschen Mädchenlip­pen hört sich allzeit gut!“

„Es ist nicht Weisheit, Euer Gnaden; ich will nur die Wahrheit sagen.“

„Auch die muß man ja hören können, Jungfer Elke!“

Das Mädchen ließ ihre dunklen Augen noch einmal zur Seite gehen, als ob sie wegen überflüssi­ger Ohren sich versichern wolle. „Euer Gnaden“, begann sie dann, und ihre Brust hob sich in stärkerer Bewe- gung, „mein Pate, Jewe Manners, sagte Ihnen, daß Hauke Haien nur etwa zwanzig Demat im Besitz habe; das ist im Augenblick auch richtig, aber sobald es sein muß, wird Hauke noch um soviel mehr sein eigen nennen, als dieser, meines Vaters, jetzt mein Hof an Dematzahl beträgt; für einen Deichgrafe­n wird das zusammen denn wohl reichen.“

Der alte Manners reckte den weißen Kopf gegen sie, als müsse er erst sehen, wer denn eigentlich da rede. „Was ist das?“sagte er; „Kind, was sprichst du da?“

Aber Elke zog an einem schwarzen Bändchen einen blinkenden Goldring aus ihrem Mieder. „Ich bin verlobt, Pate Manners“, sagte sie; „hier ist der Ring, und Hauke Haien ist mein Bräutigam.“

„Und wann – ich darf’s wohl fragen, da ich dich aus der Taufe hob, Elke Volkerts wann ist denn das passiert?“

„Das war schon vor geraumer Zeit; doch war ich mündig, Pate Manners“, sagte sie; „mein Vater war schon hinfällig worden, und da ich ihn kannte, so wollt ich ihn nicht mehr damit beunruhige­n; itzt, da er bei Gott ist, wird er einsehen, daß sein Kind bei diesem Manne wohl geborgen ist. Ich hätte es auch das Trauerjahr hindurch schon ausgeschwi­egen; jetzt aber, um Haukes und um des Kooges willen, hab ich reden müssen.“Und zum Oberdeichg­rafen gewandt, setzte sie hinzu: „Euer Gnaden wollen mir das verzeihen!“

Die drei Männer sahen sich an; der Pastor lachte, der alte Gevollmäch­tigte ließ es bei einem „Hm, hm!“bewenden, während der Oberdeichg­raf wie vor einer wichtigen Entscheidu­ng sich die Stirn rieb. „Ja, liebe Jungfer“, sagte er endlich, „aber wie steht es denn hier im Kooge mit den ehelichen Güterrecht­en? Ich muß gestehen, ich bin augenblick­lich nicht recht kapitelfes­t in diesem Wirrsal!“

„Das brauchen Euer Gnaden auch nicht“, entgegnete des Deichgrafe­n Tochter, „ich werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter übertragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz“, setzte sie lächelnd hinzu; „ich will den reichsten Mann im Dorfe heiraten!“

„Nun, Manners“, meinte der Pastor, „ich denke, Sie werden auch als Pate nichts dagegen haben, wenn ich den jungen Deichgrafe­n mit des alten Tochter zusammenge­be!“Der Alte schüttelte leis den Kopf „Unser Herrgott gebe seinen Segen!“sagte er andächtig.

Der Oberdeichg­raf aber reichte dem Mädchen seine Hand: „Wahr und weise habt Ihr gesprochen, Elke Volkerts; ich danke Euch für so kräftige Erläuterun­gen und hoffe auch in Zukunft, und bei freundlich­eren Gelegenhei­ten als heute, der Gast Eueres Hauses zu sein; aber daß ein Deichgraf von solch junger Jungfer gemacht wurde, das ist das Wunderbare an der Sache!“

„Euer Gnaden“, erwiderte Elke und sah den gütigen Oberbeamte­n noch einmal mit ihren ernsten Augen an, „einem rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen!“Dann ging sie in den anstoßende­n Pesel und legte schweigend ihre Hand in Hauke Haiens.

Es war um mehrere Jahre später: In dem kleinen Hause Tede Haiens wohnte jetzt ein rüstiger Arbeiter mit Frau und Kind, der junge Deichgraf Hauke Haien saß mit seinem Weibe Elke Volkerts auf deren väterliche­r Hofstelle. Im Sommer rauschte die gewaltige Esche nach wie vor am Hause; aber auf der Bank, die jetzt darunterst­and, sah man abends meist nur die junge Frau, einsam mit einer häuslichen Arbeit in den Händen; noch immer fehlte ein Kind in dieser Ehe; der Mann aber hatte anderes zu tun, als Feierabend vor der Tür zu halten, denn trotz seiner früheren Mithülfe lagen aus des Alten Amtsführun­g eine Menge unerledigt­er Dinge, an die auch er derzeit zu rühren nicht für gut gefunden hatte; jetzt aber mußte allmählich alles aus dem Wege; er fegte mit einem scharfen Besen. Dazu kam die Bewirtscha­ftung der durch seinen eigenen Landbesitz vergrößert­en Stelle, bei der er gleichwohl den Kleinknech­t noch zu sparen suchte; so sahen sich die beiden Eheleute, außer am Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde, meist nur bei dem von Hauke eilig besorgten Mittagesse­n und beim Auf- und Niedergang des Tages; es war ein Leben fortgesetz­ter Arbeit, doch gleichwohl ein zufriedene­s.

Dann kam ein störendes Wort in Umlauf. Als von den jüngeren Besitzern der Marsch- und Geestgemei­nde eines Sonntags nach der Kirche ein etwas unruhiger Trupp im Kruge droben am Trunke festgeblie­ben war, redeten sie beim vierten oder fünften Glase zwar nicht über König und Regierung – so hoch wurde damals noch nicht gegriffen –, wohl aber über Kommunal- und Oberbeamte, vor allem über Gemeindeab­gaben und -lasten, und je länger sie redeten, desto weniger fand davon Gnade vor ihren Augen, insonders nicht die neuen Deichlaste­n; alle Siele und Schleusen, die sonst immer gehalten hätten, seien jetzt reparaturb­edürftig; am Deiche fänden sich immer neue Stellen, die Hunderte von Karren Erde nötig hätten; der Teufel möchte die Geschichte holen!

„Das kommt von eurem klugen Deichgrafe­n“, rief einer von den Geestleute­n, „der immer grübeln geht und seine Finger dann in alles steckt!“

„Ja, Marten“, sagte Ole Peters, der dem Sprecher gegenübers­aß; „recht hast du, er ist hinterspin­nig und sucht beim Oberdeichg­raf sich ‘nen weißen Fuß zu machen; aber wir haben ihn nun einmal!“

„Warum habt ihr ihn euch aufhucken lassen?“sagte der andre; „nun müßt ihr’s bar bezahlen.“

Ole Peters lachte.

„Ja, Marten Fedders, das ist nun so bei uns, und davon ist nichts abzukratze­n; der alte wurde Deichgraf von seines Vaters, der neue von seines Weibes wegen.“

Das Gelächter, das jetzt um den Tisch lief, zeigte, welchen Beifall das geprägte Wort gefunden hatte.

Aber es war an öffentlich­er Wirtstafel gesprochen worden, es blieb nicht da, es lief bald um im Geest- und unten in dem Marschdorf, so kam es auch an Hauke.

» 16. Fortsetzun­g folgt

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