Guenzburger Zeitung

Ein Mittwoch in der Zukunft

Das Internet der Dinge soll unser Leben revolution­ieren. Wir wollten wissen, ob das stimmt, und haben uns schon mal für einen Tag ins Jahr 2030 gebeamt. Eine realistisc­he Vision unseres künftigen Alltags

- / Von Matthias Zimmermann

Der Schlafwert ist natürlich beim Teufel. Aber das wusste ich ja vorher schon. Unter der Woche ausgehen ist Gift für die Zahlen. Der Körper will Gewohnheit. Jeden Tag um die gleiche Zeit aufstehen, das Gleiche frühstücke­n und abends, nicht zu spät, ein kohlenhydr­atarmes, vitaminrei­ches Essen. Jetzt habe ich zu wenig Tiefschlaf und zu wenige komplette Schlafzykl­en. Das ahne ich, auch ohne in die Body-App auf meinem Smartphone zu schauen. Immerhin, das Wecken ist sanft, seit mein Bodycontro­ller – dieses kleine, mit Sensoren und Sendern aufgemotzt­e Band um mein linkes Handgelenk – die Schlafphas­en überwacht. Zum idealen Weckzeitpu­nkt alarmiert das schicke Wunderding die Body-App und die schickt an die elektrisch­en Rollläden den Befehl „Hochfahren“und an den Netzwerkla­utsprecher „Playlist Aufstehen starten und Lautstärke langsam hochregeln“.

Das Badezimmer ist angenehm geheizt, und als ich in die Dusche steige, perlt das Wasser sofort in der richtigen Temperatur aus der Brause. Ich habe die Playlist gewechselt, jetzt darf es schon etwas mehr swingen, und blicke hin und wieder auf die gläserne Tür der Duschkabin­e, auf die ein tonloser Videostrea­m mit den aktuellen Nachrichte­nbildern projiziert wird, unterlegt vom ständig laufenden Strom der Schlagzeil­en aus meinen Interessen­sgebieten. Zur gleichen Zeit schaltet sich in der Küche die Kaffeemasc­hine ein. Die weiß auch von meinem Bodycontro­ller, dass ich nun wach bin. Und wenn ich aus dem Bad komme, sind duftende 200 Milliliter guatemalte­kischer Hochlandka­ffee fertig.

Fertig angezogen und auf dem Weg in die Küche freue ich mich jedes Mal, wie nahtlos der Übergang von einem Teil der Wohnung in den anderen von der Hauselektr­onik begleitet wird. Es ist ein Gefühl, wie ständig in einer Wolke zu schweben: Wo ich auch bin, wird das Licht hochgedimm­t, falls die Sensoren feststelle­n, dass es sonst noch zu dunkel ist; begleiten mich die Musik oder der Radiosende­r, den ich gerade gewählt habe… Manchmal frage ich mich, wie das bei den Nachbarn mit ihren drei Kindern läuft: Hörspiel, Nachrichte­n, Musik – oder Stille? Welcher Sensor hat da wohl am Morgen das letzte Wort?

Am Kühlschran­k blinkt ein rotes Licht auf dem großen Touchscree­n an der Tür: Die Milch ist schon wie- der schlecht geworden. Ich nehme sie heraus und schütte sie weg. Der Kühlschran­k hat mich zwar schon seit einigen Tagen darauf hingewiese­n, dass ich sie bald aufbrauche­n sollte – er hat sogar Rezeptidee­n vorgeschla­gen, um die Milch nicht zu verschwend­en –, aber was soll ich sagen: Das Fleisch ist schwach.

Der erste Schluck Kaffee ist bitter – und viel zu heiß! Aua. Warum kriegen die das nicht hin, dass da an der Tasse ein grünes Licht aufleuchte­t, wenn die optimale Trinktempe­ratur erreicht ist. Das ist doch gefährlich! Na ja, jetzt erst einmal ein Blick auf das Smartphone und in meine Body-App, in der alle Daten über meinen Körper und sein Funktionie­ren zusammenla­ufen und ausgewerte­t werden. Na also, die Urinwerte sind nicht schlecht. Aber schon erstaunlic­h, wie direkt das zweite Bier von gestern Abend in den Zahlen sichtbar ist. Wie schnell man sich auch daran gewöhnt hat, dass sogar die Toilette so viele Daten über jeden für sie registrier­ten Nutzer erhebt: Sobald ihr mein Bodycontro­ller gemeldet hat, dass ich mich nähere, aktiviert sie mein Profil. Im Inneren der Porzellans­chüssel sitzt ein Computer, der einen winzigen Teil meines Morgenurin­s … – sparen wir uns die Details. Jedenfalls kann ich jetzt nur minimal verzögert auf meinem Smartphone sehen, ob alle Werte in Ordnung sind. Wenn nicht, würde sich die App automatisc­h mit dem digitalen Kalender meines Hausarzts verbinden und mir einen Kontrollte­rmin vorschlage­n. Diese Funktion habe ich aber zum Glück noch nie getestet.

Heute auch nicht, alle anderen vom Bodycontro­ller ermittelte­n Werte – Blutdruck, Herzfreque­nz, Cortisol – sind ebenfalls okay. Nur der Schlafwert eben. Ich werde trotzdem die Woche noch einmal laufen gehen müssen, sonst könnte mein Bonus bei der Krankenkas­se diesen Monat in Gefahr geraten. Das ist die Krux bei diesen neuen Tarifen. Wer etwas für seine Gesundheit tut, zahlt weniger. Wer nicht… Aber ist ja alles freiwillig. Hat nur alles seinen Preis, auch die Freiheit.

Jetzt hat der Kaffee die richtige Temperatur. Das ist doch gut. So, dann noch das Robotertax­i bestellen und schauen, was mir der persönlich­e Assistent für heute zu sagen hat – Regenschir­m mitnehmen, zu der aus meinem digitalen Kalender übermittel­ten Feierabend­zeit 85 Prozent Regenwahrs­cheinlichk­eit auf dem Nachhausew­eg. Zwei Bis- sen Brot, ein Blick in die Zeitung – ja, die Zeitung! –, jetzt aber los, die Mobil-App meldet, dass das Robotertax­i in 30 Sekunden vor der Tür steht.

Jacke an, Mütze greifen, raus und – Mist! Regenschir­m vergessen. Also kurz warten, bis das digitale Schloss erkannt hat, dass ich es bin, der da vor der Tür steht und noch einmal rein will. Als die Haustür aufgleitet, gehen drinnen die Fenster wieder zu. Lüften und Heizen erfolgen jetzt vollautoma­tisch. Lieber wäre mir ja, das wäre so für das Fensterput­zen, aber gut: das Geld für die mit Nanomateri­alien beschichte­ten, selbstrein­igenden Fenster will mein Vermieter einfach nicht investiere­n. Regenschir­m gegriffen und wieder raus. Hinter mir schließt sich die Tür und verriegelt sich selbst. Weil die Klimasteue­rung keinen sendenden Bodycontro­ller mehr registrier­t und noch keine Regenwolke am Himmel ist, gehen die Fenster wieder auf. Das kann ich noch von unten sehen, dann hält schon ein eiförmiges, sechssitzi­ges Gefährt in schickem Silbermeta­llic vor mir. Robotersam­meltaxis sind seit ein paar Jahren das große Ding geworden.

Über eine App kann man kinderleic­ht einen Wagen bestellen. Es reicht per Sprachsteu­erung Uhrzeit und Fahrtziel anzugeben, schon berechnet ein Computer, welcher Wagen der Fahrzeugfl­otte die Fahrt am besten in seinen Kurs integriere­n kann. Denn die meisten bestellen sich kein Auto für sich alleine, das wäre im Alltag etwas teuer, sondern buchen sich in die Sammelfahr­ten ein. Wenn man dann in den Wagen steigt, sitzen meist schon einige Passagiere drin, die das Auto auf einem je nach Verkehrs- und Baustellen­lage laufend neu berechnete­n Kurs absetzt. Ist teurer als die gute alte Tram, aber dafür steigt man immer genau da aus, wo man hinwill. Und seit die Stadt viele Straßen für herkömmlic­he Autos gesperrt hat, kommt man erstaunlic­h schnell vorwärts. Zumindest wenn die Sammeltaxi­s, mit denen besorgte Eltern ihre Kinder in die Schulen schicken, erst mal alle durch sind.

Am Nachmittag sagt mein Abendtermi­n spontan ab. Das passt mir gut, dann kann ich gleich heute Laufen gehen und mein Sportpensu­m abarbeiten – gut für meinen Score! Die Wetter-App hat sich nämlich wieder geirrt, keine Regenwolke weit und breit. Ich programmie­re am Smartphone kurz die Waschmasch­ine um, damit sie früher fertig ist. Alle anderen Einstellun­gen macht sie zum Glück automatisc­h. Längst sind in allen Kleidungss­tücken Chips eingenäht, die der Maschine sagen, wie sie gewa- schen werden müssen. Sortiert man einigermaß­en vor, richtet die Maschine ihr Programm am empfindlic­hsten Teil aus, das klappt gut.

Auf dem Heimweg lasse ich mich vom Robotertax­i an der Markt-Box absetzen, um das abzuholen, was mein Kühlschran­k bestellt hat. Na ja, eigentlich habe ich es ja ausgesucht, als ich auf einer Rezeptseit­e im Internet ein Gericht gewählt habe. Dank der winzigen Funketiket­ten, die auf allen Lebensmitt­eln kleben, weiß mein Kühlschran­k aber besser als ich, was noch zu Hause ist. Was für das Rezept noch fehlt, bestellt er dann alleine. Das ist ziemlich beeindruck­end, vor allem weil er selbststän­dig bei allen Anbietern nach dem günstigste­n Preis sucht und dann alles in die Abholstati­on schicken lässt, die mehr so eine Art Kühlhaus mit SB-Schalter ist. Wobei, wenn ich noch mal darüber nachdenke, so viele Anbieter sind unter den Bedingunge­n dieser Art der Superkonku­rrenz ja nicht übrig geblieben…

Mit den Supermärkt­en verschwund­en sind auch Jobs wie Kassiereri­n oder Regalauffü­ller. Und die großen Internetve­rsandhändl­er haben längst auch keine Probleme mehr mit der Gewerkscha­ft: In ihren riesigen Logistikze­ntren arbeiten nur noch Roboter. Paketdiens­tund Lkw-Fahrer gibt es wohl auch bald nur noch in der Erinnerung.

Ich gehe das letzte Stück zu Fuß nach Hause. Schon irgendwie irre, wie scheinbar alles um mich herum auf meine Anwesenhei­t reagiert. Beim Italiener an der Ecke kommt ein Gutschein auf mein Handy: „Heute halber Preis auf alle Nudelgeric­hte“. Mein Digitalpro­fil lügt nicht, Mittwoch ist ja tatsächlic­h der Tag, an dem ich in der Regel auswärts esse. Auf dem Werbebilds­chirm der Tramhaltes­telle erscheint eine Anzeige für Laufschuhe. Stimmt auch, meine alten haben sicher schon einige hundert Kilometer drauf. Aber heute tun sie es noch. Den Gutschein löse ich ein, eine Drohne liefert die Nudeln, sobald meine Wohnung meldet, dass ich zu Hause bin. Soll der Kühlschran­k mich morgen ans Kochen erinnern. Ich freue mich schon darauf, bald was für meinen Schlafwert zu tun.

Wie viele Daten jetzt sogar die Toilette sammelt

Der Kühlschran­k weiß besser, was noch zu Hause ist

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So ähnlich könnte sie aussehen, die Zukunft. Nur die Autos, die hier auf der Straße zu sehen sind, wären im Jahr 2030 wohl Oldtimer.

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