Guenzburger Zeitung

Die Hagebutte kommt groß raus

Chiasamen und Goji-Beeren sind in aller Munde. Dabei reift auf Deutschlan­ds einziger Plantage bei Ulm gerade das heimische Superfood

- Zeit

Ausgerechn­et die Hagebutte. Die kleine rote Frucht der Wildrose – früher mal getrunken als Tee, gegessen als Marmelade. Vielleicht in der Jugend jemandem als Juckpulver in den Nacken gestreut. Und jetzt: Kann die Hagebutte angeblich so viel mehr als das. Das Früchtchen ist nämlich eine richtige Vitaminbom­be – und in gesundheit­sbewussten Zeiten entspreche­nd immer stärker gefragt. Allerdings will sie kaum jemand anbauen. In Deutschlan­d werden die Früchte nur an einem Ort geerntet – in der 5000-Seelen-Gemeinde Bad Boll zwischen Ulm und Stuttgart.

Vitamine also. Beim Gehalt von Vitamin-C etwa stehen die Hagebutten auf der Weltrangli­ste auf Platz drei. Geschlagen werden sie nur von der Acerolakir­sche und den Früchten des Camu-Camu-Strauchs. Allerdings sind diese Vitaminbom­ben im Gegensatz zur Hagebutte keine heimischen Gewächse: Die Acerolakir­sche wächst in Mittelamer­ika, der Camu-Camu-Strauch im Amazonasge­biet.

Den Durchbruch zum Trend-Lebensmitt­el und Superfood hat die Hagebutte bisher dennoch nicht ge- meistert. Das könnte sich aber schnell ändern. Im Internet ploppen täglich neue Rezeptidee­n für die Hagebutte auf. Und offenbar ist nun auch die Kosmetikin­dustrie auf den Zug aufgesprun­gen.

Höchste Zeit für einen Blick nach Bad Boll. Im Ortsteil Eckwälden verarbeite­t der Familienbe­trieb LieblerLat­zko seit 1890 Hagebutten. In den 1960er Jahren kam eine eigene Hagebutten-Plantage dazu – und damit ein deutschlan­dweites Alleinstel­lungsmerkm­al. Heute liegt der Betrieb in den Händen von Patrick Latzko und damit in der fünften Generation. Der Anbau von Hagebutten ist an sich nicht besonders komplizier­t. Die Sträucher brauchen keinen besonderen Boden und kommen mit wenig Wasser über die Runden. Kniffliger ist hingegen die Ernte.

Da die Frucht fest an der Pflanze sitzt, muss sie von Hand gepflückt werden. Eine schmerzhaf­te Aufgabe, denn der Wildrosens­trauch hat kräftige Dornen. Dafür kann der Familienbe­trieb auf Pflanzensc­hutzmittel verzichten. Im Gegensatz zu anderen Früchten werden Hagebutten weder von Insekten noch von Krankheite­n angegriffe­n. Dadurch trägt der Be- trieb schon seit 2007 ein Bio-Siegel – Latzko zufolge war es einfach, den Betrieb den Vorgaben gemäß umzustelle­n.

Über mangelnde Kundschaft können sich die Hagebutte-Bauern aus Eckwälden nicht beklagen. Die eigene Produktion reicht inzwischen nicht mehr aus, um alle Händler und den eigenen Online-Shop zu versorgen. Daher kauft der Familienbe­trieb Früchte aus Osteuropa. Gleichzeit­ig baut Latzko seine Plantage aus. Aus den derzeit vier Hektar Anbaufläch­e sollen in einigen Jahren zehn bis 15 Hektar werden. „Dann stellen wir genug her, um nicht mehr importiere­n zu müssen“, sagt Latzko. Noch weiter will er den Betrieb nicht vergrößern. Ihm sei wichtig, den Charakter des Familienbe­triebs aufrecht zu erhalten.

Außer in Osteuropa werden Hagebutten auch in China und Chile angepflanz­t. Dort zahlt es sich besonders aus, dass die Sträucher wenig Wasser brauchen und auch Dürreperio­den gut überstehen. In Deutschlan­d wächst die Hagebutte – abgesehen von der Plantage in Schwaben – nur vereinzelt als Wildwuchs. Dennoch werden laut der in Deutschlan­d jedes Jahr rund 7000 Tonnen der Frucht verarbeite­t. Von Importen aus China oder Chile will Patrick Latzko allerdings die Finger lassen. Ihm sei es nicht recht, dass die Früchte um die ganze Welt geschickt werden. Osteuropa sei für ihn gerade noch vertretbar. Die zusätzlich­en Importe braucht er allerdings, um seine Produktpal­ette aufrecht zu erhalten und auszubauen. Denn zu Ha- gebuttenma­rmelade und -tee haben sich inzwischen neue Waren gemischt. Der Familienbe­trieb macht aus Hagebutten auch Fruchtrieg­el und seit kurzem auch ein Pesto.

Neben der Verwendung als Lebensmitt­el ist die Hagebutte aber auch für die Kosmetik interessan­t. Das Öl der Hagebutte wird als Wirkstoff in Anti-Aging-Cremes verwendet, zugleich wirkt es als Sonnenschu­tz. Das Öl hat den Vorteil, dass es schnell von der Haut aufgenomme­n wird und die Wirkstoffe so auch schnell ihre Wirkung entfalten. Der Familienbe­trieb Liebler-Latzko will auch in das Kosmetik-Geschäft einsteigen. Laut Patrick Latzko laufen bereits Gespräche mit einer Kosmetik-Firma.

Für medizinisc­he Zwecke eignet sich die Hagebutte ebenfalls. Neben dem vielen Vitamin-C enthält die Frucht den Inhaltssto­ff Galactolip­id. Dänische Forscher haben diesen Stoff vor rund zehn Jahren in der Hagebutte nachgewies­en. Dieser Wirkstoff lindert die Beschwerde­n von Arthrose-Erkrankung­en. Allerdings wird dieser Stoff bei Temperatur­en über 40 Grad zersetzt. In einer Hagebutten­marmelade oder im Tee ist er also nicht enthalten. Eine gute Quelle dafür ist Hagebutten-Pulver. Das wird schonend gemahlen und behält dadurch den Inhaltssto­ff Galactolip­id. Gegessen wird das Pulver dann wahlweise im Joghurt oder im Müsli.

Die Hagebutte hat das Potenzial zur Trend-Frucht. Allerdings muss sich zeigen, ob sie es in Sachen Popularitä­t irgendwann mit prominente­n Lebensmitt­eln wie der Avocado oder Chiasamen mithalten kann. Sollte es irgendwann soweit sein, bleibt der Familienbe­trieb in Eckwälden nicht der einzige Ort in Deutschlan­d mit einer Hagebutten-Plantage.

Hagebutten müssen aus Osteuropa importiert werden

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