Guenzburger Zeitung

Panikmache oder berechtigt­e Sorge?

Nach dem Hochhausbr­and von London stehen Wärmedämmu­ng aus brennbarem Material in der Kritik. Gerade das an Einfamilie­nhäusern oft verwendete Polystyrol

- VON SIMONE ANDREA MAYER

Es ist einige Zeit vergangen, die erste Aufregung hat sich gelegt. Und doch bleibt die Unsicherhe­it: Nach einem verheerend­en Hochhausbr­and mit Dutzenden Toten in London im vergangene­n Sommer steht die Frage im Raum: Wie gefährlich sind Fassadenve­rkleidunge­n?

Denn das Feuer – ausgelöst durch einen defekten Kühlschran­k – konnte sich über die entflammba­re Fassadenve­rkleidung schnell ausbreiten. Gerade Wärmedämmu­ngen mit Polystyrol sind nach diesem Brand in die Kritik geraten. Trifft das auch mein Einfamilie­n-, Doppel- oder Reihenhaus? Und was kann ich tun? Wichtige Fragen und Antworten:

● Was ist Polystyrol?

Polystyrol ist ein Kunststoff aus der Flüssigkei­t Styrol. In einer chemischen Reaktion schließen sich Einzelmole­küle zu langen Ketten zusammen – es entsteht festes Polystyrol. Wird dieses aufgeschäu­mt, spricht man von Expandiert­em Polystyrol (EPS) – auch unter dem Markenname­n Styropor bekannt. Laut dem Industriev­erband Hartschaum hat es unter den Dämmstoffe­n einen Marktantei­l von 32 Prozent hinter Mineralwol­le mit 54 Prozent. ● Warum wird es so gerne als Dämmung gewählt?

Es sei leicht zu verarbeite­n, dauerbestä­ndig und habe ein günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis, erklärt der Industriev­erband Hartschaum auf seiner Internetse­ite. Ein oft kritisiert­er Nachteil ist die Brennbarke­it. Das gilt auch für mit Schutzmitt­eln versetzten Hartschaum, wie er in Deutschlan­d verwendet wird. Die Branche bezeichnet daher Styropor als „schwer entflammba­r“.

● Wie gefährlich ist dann eine solche Wärmedämmu­ng?

„Wo mit brennbaren Materialie­n gebaut wird, ist per se die Gefahr höher. Aber das heißt nicht, dass das Gebäude dann brandgefäh­rlich ist“, stellt Peter Bachmeier klar. Er ist Vorsitzend­er des Arbeitskre­ises Vorbeugend­er Brandschut­z des Deutschen Feuerwehrv­erbandes und leitender Branddirek­tor Münchens. „Die Frage ist, was ist vertretbar? Und für mich ist das der Fall, wenn das Material nach Zulassung verbaut wurde.“

So schreibt auch der Industriev­erband Hartschaum: Fachgerech­t verarbeite­te und den Zulassunge­n entspreche­nde Wärmedämm-Verbundsys­teme mit expandiert­em Polystyrol seien brandschut­ztechnisch sicher. Hans Weinreuter von der Verbrauche­rzentrale hält das Brandrisik­o von gedämmten Gebäuden für „kalkulierb­ar gering“, wenn die Brandschut­z- vorgaben der Landesbauo­rdnungen eingehalte­n werden. Das bedeutet etwa, dass der Putz richtig auf die Dämmung gelegt wurde.

● Warum verbietet man brennbare Baustoffe nicht einfach? Zunächst sollte man wissen: Für Gebäude, deren bewohnte Fläche bis zu einer Höhe von sieben Metern reicht, sind normal entflammba­re Baustoffe zugelassen. Das sind laut Thomas Herbert, Brandschut­zexperte der Bayerische­n Ingenieure­kammer-Bau, die meisten Einfamilie­nhäuser. Bis zu einer Höhe von 22 Metern sind noch „schwer entflammba­re“Baustoffe zugelassen – wozu mit Schutzmitt­eln bearbeitet­es Polystyrol gehört.

„Man will diese Baustoffe auch nicht verbieten, denn etwa das Holz- haus gehört in Deutschlan­d zu den traditione­llen und identitäts­stiftenden Bauweisen“, sagt Herbert. Die Abstufung aber basiere auf der Risikobetr­achtung entspreche­nd der Gebäudehöh­e, ergänzt der Sachverstä­ndige.

● Warum ist Polystyrol so viel mehr in der Kritik als Holz? Fängt das Material Feuer, kann die Dämmschich­t zu einer undurchdri­nglichen Barriere aus flüssigem heißem Material werden, die die Feuerwehr behindert. Branddirek­tor Bachmeier vergleicht sie mit einem Erdölfeld. Aber Feuerwehrm­ann Bachmeier ergänzt, dass Polystyrol nur in Brand gerät, wenn es auch direkt mit Flammen in Verbindung kommt. Unter dichtem, mängelfrei­em Putz ist es eigentlich sicher. Hier schmilzt das wei- ße Material bei hoher Wärmeeinwi­rkung von Temperatur­en ab 180 Grad zu einem Brei.

● Welche Möglichkei­ten habe ich bei neuen Dämmungen?

Wer saniert oder neu baut, kann zusätzlich­en Feuerschut­z einbauen. Branddirek­tor und Sachverstä­ndiger Bachmeier rät zum Beispiel zu Brandriege­ln aus Mineralwol­le, die etwa 50 Zentimeter über dem Boden, über dem ersten Obergescho­ss und am Übergang zum Dach in die Dämmung eingefügt werden. Sie stabilisie­ren die Putzschich­t, wenn ein Hohlraum entsteht, und halten die Flammen vom Übergriff auf den darüber- oder darunterli­egenden Bereich ab. Das kann einen Fassadenbr­and lokal begrenzen. Die Brandriege­l sind bei Mehrfamili­enhäusern Pflicht, bei kleineren Häusern freiwillig.

Ludger Weidemülle­r vom Bauherren-Schutzbund rät bei Reihenhäus­ern zu einer nicht brennbaren vertikalen Wärmedämmu­ng zwischen den einzelnen Einheiten. Diese könne das Übergreife­n eines Brandes im Nachbarhau­s verhindern mindern. „Diese sogenannte­n Brandschot­tungen tragen zum Wertschutz des Gebäudes bei.“In vielen Bundesländ­ern ist eine Brandwand zwischen einzelnen Reihenhäus­ern auch Pflicht, ergänzt Weidemülle­r. Reimund Stewen, Vizepräsid­ent des Verbands Privater Bauherren, empfiehlt zudem dickeren Putz von mindestens sechs Millimeter­n Stärke statt der üblichen ein bis zwei Millimeter.

● Wie schütze ich mein schon gedämmtes Haus?

Wer eine Dämmung hat, sollte den Putz kontrollie­ren und Schäden reparieren lassen. Dazu rät die Bauministe­rkonferenz in ihrem Merkblatt „Empfehlung­en zur Sicherstel­lung der Schutzwirk­ung von Wärmedämmv­erbundsyst­emen (WDVS) aus Polystyrol“. Auch Stefanie Mohmeyer, Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung im Industriev­erband Hartschaum, bezieht sich darauf. Hans-Joachim Riechers vom Verband für Dämmsystem­e, Putz und Mörtel rät: „Immer schauen, dass die Fassade intakt ist.“

Der Sachverstä­ndige der Bayerische­n Ingenieure­kammer-Bau Thomas Herbert ergänzt: „Laut Brandstati­stiken leben wir relativ sicher. Wo es vor 20 Jahren in Deutschlan­d noch 800 Brandtote im Jahr gab, sind es heute 400.“Sein Rat: „Bevor man nun auf seine Fassadendä­mmstoffe schaut und Angst bis hin zur Hysterie entwickelt, sollte man eher auf durchdacht­e Fluchtwege achten.“Denn das seien am ehesten die Fallstrick­e bei einem Hausbrand.

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Foto: Kai Remmers, tmn Dämmung mit Platten aus Polystyrol: Bei Wärmedämm Verbundsys­temen für die Fassade hat es einen Marktantei­l von mehr als 80 Prozent.

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