Guenzburger Zeitung

Damit Erinnerung­en nicht verschwind­en

Der Künstler Gunter Demnig verlegt Stolperste­ine, die auf Holocaust-Opfer aufmerksam machen sollen

- VON SEBASTIAN MAYR

Neu Ulm/Ulm Zum dritten Mal kniet Gunter Demnig vor dem Haus in der Schützenst­raße 38 auf dem Bürgerstei­g. Zum dritten Mal verlegt der Kölner Künstler Stolperste­ine in Neu-Ulm. Zum dritten Mal erinnern sie an in der NS-Zeit verfolgte Juden, die in diesem Haus lebten.

Den ganzen Donnerstag ist Demnig in Neu-Ulm und Ulm unterwegs, um 32 Stolperste­ine an zwölf Orten in den beiden Städten zu verlegen. Über die 96 mal 96 Millimeter große Oberfläche der Betonquade­r sind Bleche gebogen, auf denen Namen von Menschen graviert sind, die von den Nazis verfolgt wurden.

In Neu-Ulm ersetzt Demnig zum dritten Mal Pflasterst­eine durch Stolperste­ine, in Ulm geschieht das zum fünften Mal. Doch in beiden Städten geht die Spendenber­eitschaft für das Projekt zurück: 120 Euro fallen für einen Stolperste­in an. In Neu-Ulm sprang die Hydraulikf­irma Stiefel auf Bitten der an der Initiative beteiligte­n Inge-AicherScho­ll-Realschule für zwei Steine ein. In Ulm drängt die SPD-Fraktion im Gemeindera­t Oberbürger­meister Gunter Czisch, die Initiative vehementer zu unterstütz­en.

An diese Opfer erinnern die Stolperste­ine in Neu-Ulm und Ulm:

● Alice und Ludwig Stoß Augsburger Straße 45, Neu Ulm

Die verwitwete Jüdin Pauline Elisabetha Stoß, genannt Alice, heiratete 1933 den anerkannte­n Neu-Ulmer Chirurgen Ludwig Stoß. Die beiden wollten vor der Hetze nach Großbritan­nien fliehen, scheiterte­n aber. Zurück in der Heimat unterstütz­ten Neu-Ulmer Würdenträg­er das Ehepaar. Ludwig soll zu führenden Nazis gesagt haben: „Wenn meiner Frau auch nur das geringste passiert, werde ich keinen mehr von euch operieren“.

Nach dem Luftbombar­dement im März 1945 kamen Alice und Ludwig Stoß im Wullenstet­ter Gasthaus Krone unter, später versteckte sich Alice aus Angst vor den Nationalso­zialisten in einer Mühle in Attenhofen. Nach dem Krieg übernahm Ludwig die Leitung der Chirurgisc­hen Klinik in Ulm. Die Ehe der beiden wurde 1954 geschieden. Alice starb im November 1979, ihr Grab auf dem Ulmer Friedhof besteht noch heute.

● Pauline und Arthur Strauß Insel 2, Neu Ulm

Das jüdische Ehepaar Pauline Landauer und Arthur Strauß heiratete im November 1902 in Mergenthei­m und zog kurz darauf nach Neu-Ulm. Im März 1919 kaufte Arthur das Bürgerrech­t für 60 Reichsmark und das Paar zog in das Haus Insel 4 (heute: Insel 2). Als das Entmietung­sgesetz der Nationalso­zialisten in Kraft trat, musste das Ehepaar die Wohnung räumen und ins sogenannte Judenhaus in der Hindenburg­straße 34 ziehen. Im Juli 1939 erhielten die beiden eine Unbedenkli­chkeitsbes­cheinigung für einen Reisepass, ein Jahr später reisten sie mit dem Schiff von der portugiesi­schen Hauptstadt Lissabon nach New York. Auf einer Registrier­karte ist die erste Adresse der beiden im Bundesstaa­t New York verzeichne­t, 1941 wird dem Ehepaar die deutsche Staatsbürg­erschaft aberkannt. Danach verlieren sich die Spuren.

● Paula und Emil Neumann Schützenst­raße 38, Neu Ulm

Auch das Ehepaar Paula und Emil Neumann musste zwangsweis­e ins sogenannte Judenhaus in der Hindenburg­straße 34 ziehen. Das Ehepaar hatte zunächst in Ulm gewohnt, wo Emil als Kaufmann arbeitete. Im Jahr 1910 zogen die beiden mit ihren drei Kindern nach Neu-Ulm. Siegfried, der einzige Sohn, wanderte 1937 nach Brasilien aus, die jüngste Tochter Ilse verließ Deutschlan­d zwei Jahre später in Richtung USA. Cilli, die älteste Tochter wanderte ebenfalls im Jahr 1939 in die Vereinigte­n Staaten aus. Weitere zwei Jahre später flüchteten Paula und Emil Neumann zu ihrem Sohn Siegfried nach Brasilien, wo sie bis zu ihrem Tod lebten.

● Cilli und Paul Schulmann Schützenst­raße 38, Neu Ulm

Cilli Schulmann kam im Oktober 1910 als älteste Tochter von Emil und Paula Neumann in Ulm zur Welt. Mit ihrem Mann Paul, den sie 1935 heiratete, lebte sie nach der Hochzeit zunächst bei ihren Eltern in der Schützenst­raße 38. Auch das Ehepaar Schulmann musste Ende April zwangsweis­e ins sogenannte Judenhaus ziehen. Bereits davor war Paul Schulmann verhaftet worden: Von November 1938 bis Januar 1939 war er im Konzentrat­ionslager Dachau interniert. Als die Einreisege­nehmigung für die USA eintraf, wurde Paul entlassen. Am 22. November verließen Cilli und Paul Deutschlan­d in Richtung USA. Dort lebten die beiden beim Ehemann einer Cousine Pauls. Als die Schulmanns US-Bürger wurden, änderten sie ihren Nachnamen in Schulman, Cilli auch ihren Vornamen in Celia. Ruth Feigenbaum, eine von zwei Töchtern der beiden, berichtet, dass Celia im Jahr 1991 ihre Geburtssta­dt Ulm besucht habe und gastfreund­lich empfangen worden sei. Celia Schulman starb 2011 mit fast 101 Jahren.

● Johann, Josef und Barbara Seibold Kapellenga­sse 25, Ulm

● Konrad Seibold senior und Konrad Seibold junior Uhrenmache­rgasse 23, Ulm

● Albrecht Vogt Heimstätte­nstraße 29, Ulm

● Rosa, Siegfried, Elly und Maja Kluger Hasslerstr­aße 42, Ulm

● Heinrich, Eda, Suse und Lottie Barth Ensingerst­raße 21, Ulm

● Julius und Dora Barth König-Wilhelm-Straße 35, Ulm

● Erich, August, Margarethe und Luise Nathan Heimstraße 29, Ulm

● Else Ehekircher Wengengass­e 18, Ulm

● Bela Pauline, Max und Resi Weglein Hans-und-Sophie-Scholl-Platz 2, Ulm

 ?? Foto: Andreas Brücken ?? Der Kölner Künstler Gunter Demnig säubert die vier Stolperste­ine, die er gerade auf dem Bürgerstei­g vor dem Haus in der Schützenst­raße 38 verlegt hat. Die Steine sollen an Juden erinnern, die unter der NS Diktatur litten.
Foto: Andreas Brücken Der Kölner Künstler Gunter Demnig säubert die vier Stolperste­ine, die er gerade auf dem Bürgerstei­g vor dem Haus in der Schützenst­raße 38 verlegt hat. Die Steine sollen an Juden erinnern, die unter der NS Diktatur litten.

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