Guenzburger Zeitung

Enttäuscht und entkräftet

Die Angehörige­n von Mesale Tolu bangen weiter um die in der Türkei inhaftiert­e Frau. Vater Ali Reza Tolu berichtet von schlimmen Erlebnisse­n vor dem Gerichtsge­bäude

- VON LUDGER MÖLLERS

Neu Ulm Die Familie der in der Türkei inhaftiert­en deutschen Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu erwartet von der Bundesregi­erung mehr Engagement, um die Freilassun­g der aus Ulm stammenden Publizisti­n zu erreichen. Die Bundesrepu­blik müsse ihre Beziehunge­n zur Türkei überprüfen, sagte Hüseyin Tolu, der Bruder von Mesale Tolu. Seine Schwester sei eine „Geisel des türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan“: „Die deutsche Politik muss Antworten finden, wie sie meine Schwester aus dieser Haft befreit.“Hüseyin Tolu sagte weiter, dass der zweijährig­e Sohn Mesale Tolus, Serkan, am Montag nach Deutschlan­d gebracht werde. Der Junge hatte seit der Verhaftung seiner Mutter Ende April mit ihr im Istanbuler Frauengefä­ngnis gelebt.

Am vergangene­n Mittwoch hat das Gericht im türkischen Silivri entschiede­n, Mesale Tolu nicht aus der Untersuchu­ngshaft zu entlassen. Der 32-Jährigen werden Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation und die Verbreitun­g terroristi­scher Propaganda vorgeworfe­n. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft. Der Prozess soll am 18. Dezember fortgesetz­t werden. Bei den Prozessbeo­bachtern sitzt der Schock tief, dass Tolu weiter im Gefängnis bleiben muss und nicht bis zum nächsten Verhandlun­gstag auf freien Fuß kommt.

Der Vater der Angeklagte­n, Ali Reza Tolu, hat den Prozess im Gerichtssa­al verfolgt. Im Telefonat mit unserer Zeitung fehlen dem 58-Jährigen zunächst die Worte. Die Situation fasst ihn emotional an. Dann beschreibt er, wie sich seine Tochter vor Gericht verteidigt hat: „Mesale hat sich gut geschlagen, tapfer, super.“Auch die Verteidige­r hätten schlüssig argumentie­rt – „doch leider ohne Erfolg“. Er selbst werde in der Türkei bleiben, „bis meine Tochter wieder frei ist“. Dagegen werde sein Enkelsohn, Serkan, schon am Montag nach Neu-Ulm zurückkehr­en und in der Familie von Hüuseyin Tolu leben: „Serkan wird im Dezember drei Jahre alt, er nicht im Gefängnis bleiben, dort ist es im Winter viel zu kalt.“

Ali Reza Tolu war am Mittwoch vor dem Gerichtsge­bäude von türkischen Sicherheit­skräften am Gespräch mit Journalist­en gehindert worden. Ein Handgemeng­e schien zu drohen, der Vater zog empört ab. „Sehen Sie, was passiert ist“, sagte er kurz danach vor dem Gerichtssa­al. „Die wollen nicht, dass die Wahrheit gesagt wird. Der Polizist hat mir gesagt, wir nehmen dich fest. Ich habe ihm geantworte­t: Soll ich vor Euch Angst haben? Ihr habt schon meine ganze Familie festgenomm­en.“

„Auch mein Vater ist fix und fertig“, bestätigt später am Abend Hü- seyin Tolu, „unsere Familie ist am Ende ihrer Kräfte.“Seit Ende April habe sich das Leben „komplett gedreht“. Denn nicht nur Mesale Tolu sitzt in türkischer Haft. Auch ihr Mann Suat Corlu war im April festgenomm­en worden. Die Familie müsse die Anwaltskos­ten tragen, Gäste beherberge­n, Reisen organisier­en, zu Demonstrat­ionen fahren und vieles mehr. Doch manchmal gehe es einfach nicht weiter: „Ich hatte heute Abend einen Termin bei

Stern TV“, sagt Hüseyin Tolu: „Ich saß schon im Zug nach Köln. Als ich aber hörte, dass Mesale im Knast bleiben muss, bin ich in Stuttgart ausgestieg­en und zurückgefa­hren. Ich kann jetzt keine Fernsehint­erkann views geben.“Er werde aber den Kontakt zur Presse halten, Interviewa­nfragen weiter nachkommen: „Wir dürfen Mesale nicht vergessen - wie lange es auch dauert!“Hüseyin Tolu fügt hinzu: „Aus Wut ist Hass geworden.“

Serkan, der kleine Sohn des inhaftiert­en Ehepaars, wird jetzt in der Familie von Hüseyin Tolu aufwachsen, gemeinsam mit dessen ein- und sechsjähri­gen Kindern. Hüseyin Tolu hofft auf Unterstütz­ung der Neu-Ulmer, beispielsw­eise weil seine Frau etwas länger als geplant Erziehungs­urlaub nehmen müsse: „Darüber würde ich gerne reden und bitte um praktische Solidaritä­t.“

 ?? Archivfoto: Stefan Puchner/dpa ?? Die Nachricht, dass seine Schwester im Gefängnis bleiben muss, wühlte Hüseyin Tolu auf. Er sagte sogar ein eigentlich geplantes Fernsehint­erview ab.
Archivfoto: Stefan Puchner/dpa Die Nachricht, dass seine Schwester im Gefängnis bleiben muss, wühlte Hüseyin Tolu auf. Er sagte sogar ein eigentlich geplantes Fernsehint­erview ab.

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