Guenzburger Zeitung

Befreiungs­schlag für Enders

- VON STEFAN STAHL VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Augsburg Zwei Männer stehen vor zwei Flugzeugen auf einem Rollfeld in Toulouse. Beide lächeln ausgiebig, als wäre eine Zentnerlas­t von ihren Schultern abgefallen. Beide tragen zum Anzug keine Krawatte. Beide haben ihr Haupthaar eingebüßt. So glänzen ihre Schädel in der südfranzös­ischen Sonne. Wie Zwillinge wirken die Manager auf dem von Airbus im Internet ausgestrah­lten Video. Der eine, Thomas Enders, Chef des Airbus-Konzerns, wirkt noch glückliche­r als der andere, Bombardier-Boss Alain Bellemare. Der 58-jährige Deutsche ist ein Stück größer als sein kanadische­r Kollege mit der rauchigen Stimme.

Während des Interviews umfasst Enders mit seiner linken Hand die Schulter des 56-jährigen Bombardier-Lenkers. Dabei zieht er vor lauter Freude seinen Kollegen ein kleines Stück zu sich her. Die Szene soll sich später noch einmal wiederhole­n. Als die Herren schließlic­h den Ort wechseln und unter einem Flugzeug stehen, tätschelt nun Bellemare die Schulter des Deutschen. Auch wenn es in der Luftfahrti­ndustrie emotionale­r und lockerer als etwa im Maschinenb­au zugeht, sind das doch ungewöhnli­che Bilder.

Es ist aber auch ein ungewöhnli­cher Tag. Denn was vor zwei, drei Jahren noch nicht klappte, ist Wirklichke­it geworden: Der große europäisch­e Flugzeughe­rsteller Airbus – also der mächtigste Konkurrent des US-Konzerns Boeing – und der kleinere kanadische Rivale Bombardier schließen eine Allianz. Und die hat es in sich: Denn die Europäer übernehmen mit 50,01 Prozent knapp die Mehrheit an der interessan­ten C-Flugzeugse­rie der Kanadier. Diese Maschinen bieten Platz für 100 bis 150 Fluggäste. Die bisher kleinste Airbus-Reihe – also Flieger aus der stark nachgefrag­ten A320-Familie – fasst 150 bis 240 Passagiere. Dank des Bombardier-Deals rundet Airbus seine Produktpal­ette nun nach unten ab – und das, ohne mit hohem Kostenaufw­and selbst ein neues Flugzeug entwickeln zu müssen. So geht ein lang gehegter Traum der Europäer in Erfüllung.

Nun haben Spekulatio­nen ein Ende, Airbus würde irgendwann selbst einen Mini-Airbus bauen. Dieser kommt jetzt aus Kanada. Enders und Bellemare glauben, dass der Markt für solche Kurz- und Mittelstre­ckenflugze­uge stark wächst.

Manchmal steht man im Leben mit dem Rücken zur Wand. Ob nach einer verlorenen Wahl, einer gescheiter­ten Ehe oder der Pleite seines Betriebs. Menschen in solch misslicher Lage sind allergisch gegen dumme Sprüche wie: „Immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“Nur das Dumme ist, solche Sprüche stimmen oft.

Die nächste Wahl wird gewonnen, was selbst bei der SPD klappt. Ein neuer Partner tritt ins Leben. Und im zweiten Anlauf klappt es mit dem Unternehme­rsein. Der Glücksgott ist insgesamt stärker als der Unglücksgo­tt. Das kann AirbusChef Tom Enders bestätigen. Denn er kämpft derzeit gegen einen Korruption­sskandal im eigenen Haus, der den Konzern viel Geld und Reputation kosten kann. Wenn es dumm läuft, muss der Manager die politische Verantwort­ung für den Sumpf übernehmen und gehen. Doch wie SPDChef Schulz in Gestalt des niedersäch­sischen Politikers Weil ein Lichtlein aufging, leuchtet für den Airbus-Chef die Welt plötzlich in hellen Farben. Durch den Bombardier-Deal hat er zumindest vorübergeh­end die Sonne zurück in das verdüstert­e Airbus-Reich geholt.

Mit dem überrasche­nden Befreiungs­schlag stellt der Deutsche unter Beweis, dass er durch die Aufarbeitu­ng interner Schmutzele­ien alles andere als gelähmt ist. Die Allianz mit Kanada kann den AirbusKonz­ern wirtschaft­lich gegenüber Boeing noch stärker machen.

 ?? Foto: Ryan Remiorz, dpa ?? Bombardier Flugzeuge stehen in einer Fertigungs­halle in Kanada. Jetzt macht das Unternehme­n gemeinsame Sache mit Airbus.
Foto: Ryan Remiorz, dpa Bombardier Flugzeuge stehen in einer Fertigungs­halle in Kanada. Jetzt macht das Unternehme­n gemeinsame Sache mit Airbus.

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