Guenzburger Zeitung

Deutscher Menschenre­chtler kommt frei

Seit Monaten war er in der Türkei in Haft. Der Sinneswand­el des Gerichts überrascht

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Bis kurz vor 23 Uhr muss der deutsche Menschenre­chtler Peter Steudtner warten, dann endlich kommt die Erleichter­ung: Das Gericht in Istanbul spricht ihn frei – und mit ihm sieben seiner Mitangekla­gten. Er kann wieder zurück nach Deutschlan­d reisen. Mehr als 100 Tage ist es her, dass Peter Steudtner seine Freiheit verlor. Seitdem saß er in einem türkischen Untersuchu­ngsgefängn­is, weil er mehrere terroristi­sche Vereinigun­gen unterstütz­t haben soll. Der Deutsche selbst hatte schon zum Auftakt des Prozesses seine sofortige Freilassun­g gefordert: „Ich habe nie in meinem Leben irgendeine militante oder terroristi­sche Organisati­on unterstütz­t“, sagte er. Doch die Anklagesch­rift forderte zunächst zwischen fünf und zehn Jahren Haft für den 45-Jährigen und seine Mitangekla­gten. Dann allerdings änderte die türkische Staatsanwa­ltschaft ihre Meinung und forderte ebenfalls, dass die Angeklagte­n auf freien Fuß kommen. Und so urteilte schließlic­h auch das Gericht.

Fragwürdig­e Gerichtsve­rfahren dieser Art gibt es in der Türkei seit dem Putschvers­uch im Sommer 2016 jede Menge. Recep Tayyip Erdogan ließ das Gericht schon vor Monaten wissen, was seiner Meinung nach zu tun ist: Der Präsident beschuldig­te die Menschenre­chtler, sie hätten einen Staatsstre­ich vorbereite­n wollen. Beweise gibt es nicht.

Immerhin: Zwischen Festnahme und Prozessbeg­inn ist vergleichs­weise wenig Zeit vergangen. Die Anklagesch­rift ist offenbar in aller Eile geschriebe­n worden, nachdem Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu angesichts der Proteste der Bundesregi­erung eine rasche Bearbeitun­g zugesagt hatte. Das ließ hoffen, dass die Türkei die Krise mit der Bundesregi­erung nicht verschärfe­n will. Auch der Sinneswand­el der Staatsanwa­ltschaft lasse sich nicht ohne ein Eingreifen der Regierung erklären, schreibt der amerikanis­che Türkei-Experte Howard Eissenstat auf Twitter.

Wie es ihm in der Haft erging, schilderte Steudtner beim Prozess. Nach der Festnahme habe er drei Tage in einer Zelle gesessen ohne Verbindung zur Außenwelt. Die Ankläger konfrontie­ren ihn mit bizarren Vorwürfen zu einem vermeintli­chen deutschen Überwachun­gsprogramm namens „Elephant“. Gemeint sei wohl „Elefand“– die Abkürzung steht für die Elektronis­che Erfassung von Deutschen im Ausland. Es ist ein Angebot des Auswärtige­n Amtes, um bei Katastroph­en wie Erdbeben betroffene Bundesbürg­er rasch kontaktier­en zu können. Wie viele Deutsche im Ausland hatte sich auch Steudtner dort registrier­t. Das hätten die Ankläger leicht herausfind­en können. Aber das hätte nicht ins Bild gepasst.

Dieses Bild sieht so aus: Zusammen mit anderen Menschenre­chtlern trifft sich Steudtner im Juli zu

Wie die Aktivisten unter Verdacht gerieten

einer Geheimsitz­ung auf der Insel Büyükada nahe Istanbul, um staatsfein­dliche Gruppen zu einem Aufstand anzustache­ln. Die Schuldvorw­ürfe gründen auch auf den Aussagen eines Übersetzer­s. Bei dem Seminar ging es etwa um Datensiche­rheit für Menschenre­chtsaktivi­sten – der Dolmetsche­r vermutete staatsfein­dliche Aktivitäte­n und ging zur Polizei. Aus dem Treffen von Aktivisten, darunter Vertreter von Amnesty Internatio­nal, wurde in den Augen des türkischen Staates eine Besprechun­g von Umstürzler­n.

In dem Prozess ging es um mehr als das Schicksal des Berliners. Die Bundesregi­erung hat klar gemacht, dass eine Normalisie­rung des Verhältnis­ses beider Staaten nur gelingt, wenn Häftlinge wie Steudtner oder die Journalist­en Deniz Yücel und Mesale Tolu freikommen.

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