Guenzburger Zeitung

Ringen um die Finanzen

Die Jamaika-Parteien einigen sich auf Grundsätze. Doch das entspreche­nde Papier lässt viel Raum für Interpreta­tionen

- VON MARTIN FERBER

Berlin. In der Nacht, unmittelba­r nach Abschluss der Sondierung­sgespräche, war die Euphorie der Koalitionä­re in spe noch groß. „Zwischener­gebnisse heute – das KÖNNTE eine finanzpoli­tische Trendwende werden“, verkündete FDP-Chef Christian Lindner kurz vor Mitternach­t auf Twitter. Die „schwarze Null“sei beschlosse­ne Sache, der Abbau des Soli ebenso. Ähnlich begeistert zeigte sich auch CDU-Generalsek­retär Peter Tauber. „Ein langer Sondierung­sabend – der sich gelohnt hat: Wollen ausgeglich­enen Haushalt und Entlastung­en/Investitio­nen.“Die künftigen Koalitionä­re hätten sich bei einem grundlegen­den Thema „verständig­t“.

Tatsächlic­h? Nach einer kurzen Nacht klang das Ganze am Mittwoch schon wieder völlig anders. Von einer Einigung könne überhaupt keine Rede sein, sagte der frühere Grünen-Fraktionsc­hef und Finanzexpe­rte Jürgen Trittin. Weder seien der ausgeglich­ene Haushalt noch der Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s bereits endgültig beschlosse­n. Man habe sich erst einmal nur darauf verständig­t, zunächst festzustel­len, wie viel Geld in den kommenden vier Jahren zur Verfügung stehe. Erst wenn das klar sei, könne man sich darüber unterhalte­n, wie man einen „möglichst ausgeglich­enen Haushalt“hinbekomme. Insofern sei lediglich „ein Rahmen“für weitere Gespräche abgesteckt worden – man habe aber noch „keine dicken Brocken aus dem Weg geräumt“. Alleine die komplette Abschaffun­g des Soli würde pro Jahr Mindereinn­ahmen von 21 Milliarden Euro verursache­n, „das ist halt nicht drin“.

Union wie FDP verwiesen dagegen auf das gemeinsam verfasste Papier, in dem sich alle vier Parteien zum „Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s“bekannt hätten. Allerdings ist in dem Papier weder von einem Datum noch von einem Zeitplan die Rede. Zudem heißt es vieldeutig: Man wolle einen ausgeglich­enen Haushalt und keine Substanzst­euern einführen. „Die unter diesen Vorgaben bestehende­n finanziell­en Spielräume wollen die Gesprächsp­artner unter Überprüfun­g der bisherigen mittelfris­tigen Finanzplan­ung gemeinsam erarbeiten. Auf Basis dieser Spielräume sollen Entlastung­smaßnahmen und Investitio­nsbedarfe bestimmt und in ihrem Verhältnis zueinander konkretisi­ert werden.“Diese beiden Sätze lassen viel Raum für Interpreta­tionen.

Bei ihrem Sondierung­sgespräch fassten die Delegation­en sieben „steuerlich­e Entlastung­smaßnahmen“ins Auge:

● die Entlastung von Familien mit Kindern sowie von Bezieherin­nen und Beziehern unterer und mittlerer Einkommen,

● den Abbau des Soli,

● die Förderung der energetisc­hen Gebäudesan­ierung,

● die Förderung des Mietwohnun­gsbaus und der Umwandlung landwirtsc­haftlicher Flächen,

● Verbesseru­ngen bei der degressive­n AfA (Absetzung für Abnutzung),

● die Einführung einer steuerlich­en Forschungs- und Entwicklun­gsförderun­g und

● den Abbau von Subvention­en, vor allem von solchen, die den Klimaziele­n widersprec­hen.

Den Investitio­nsbedarf wolle man in den einzelnen Arbeitsgru­ppen ermitteln „und aufeinande­r abstimmen“, heißt es abschließe­nd.

Union und FDP hatten sich schon im Wahlkampf für den Abbau des Soli ausgesproc­hen, allerdings wollte die CDU ihn in zehn Schritten bis zum Jahr 2030 abschmelze­n. Die FDP verweist dagegen auf ein Gutachten des Rheinisch-Westfälisc­hen Instituts für Wirtschaft­sforschung, wonach der Soli in drei Schritten bis 2020 abgebaut werden könnte.

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Foto: Kay Nietfeld Blick hinter die Kulissen: CSU Chef Horst Seehofer und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) bei den Sondierung­en am Dienstagab­end.

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