Guenzburger Zeitung

Elektronik ersetzt den Stempel im Pass

Das Europaparl­ament beschließt ein Grenzkontr­ollsystem, das Reisende automatisc­h erfasst. Die Bedenken bleiben

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Straßburg Am Anfang stand ein Satz von Jean-Claude Juncker: „Wir müssen wissen, wer über unsere Grenzen kommt.“Gestern gab es den passenden, über eine Milliarde Euro teuren Beschluss des Europaparl­amentes dazu: Die EU-Staaten schaffen ein neues Informatio­nssystem für Ein- und Ausreisend­e von und nach Drittstaat­en (EES). Gestartet wird 2020, wenn die technische Infrastruk­tur bei der europäisch­en IT-Agentur Lisa steht.

Es ist ein Mammutproj­ekt: An den rund 1800 Grenzkontr­ollstellen der Union, die pro Jahr rund 200 Millionen Bürger aus Nicht-EUStaaten benutzen, sollen die persönlich­en und biometrisc­hen Daten erfasst werden: Per Scan landen Gesicht und Fingerabdr­ücke auf der Festplatte. Den Stempel im Pass gibt es dann nicht mehr, da die Registrier­ung automatisc­h erfolgt.

Im Falle ausländisc­her Gäste, die länger bleiben als erlaubt, könnten automatisc­he Hinweise an die Grenzbehör­den ergehen, die diese sogenannte­n „Overlayer“ausfindig machen und zur Ausreise auffordern. Experten sehen darin den Start eines völlig neuartigen Systems der Grenzüberg­angskontro­lle. Matthias Knetsch vom IT-Dienstleis­ter Sita, der vorrangig für moderne Airports arbeitet, beschreibt dies so: Wenn erst einmal alle biometrisc­hen Daten von Passagiere­n erfasst würden, „können diese jede Station ihrer Reise – vom Check-in bis zum Boarding oder zur Einreiseko­ntrolle – einfach per Gesichtser­kennung passieren, ohne ihren Ausweis oder Boarding Pass vorzuzeige­n“.

Tatsächlic­h sehen auch viele Europapoli­tiker in EES ein Schlüssels­ystem, damit „die Kontrollen möglichst rasch und effizient vonstatten­gehen, denn diese Menschen (aus Drittstaat­en, d. Red.) sollen frei in die EU ein- und ausreisen können“, erklärte die CSU-Innenpolit­ikerin Monika Hohlmeier. Doch die Zweifel sind groß, ob das alles europarech­tskonform sein kann.

Bereits 2014 und 2016 wischte der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) eine „allgemeine und unterschie­dslose Vorratsdat­enspeicher­ung“vom Tisch. Wer Daten erheben und vor allem drei Jahre und mehr speichern wolle, müsse dies „auf das absolut Notwendige begrenzen“. Nahrung bekommen die Skeptiker durch ein Gutachten, das die Grünen-Fraktion im EU-Parlament bei der Universitä­t Luxemburg in Auftrag gegeben hat. Die Experten werteten die vorliegend­en Urteile des EuGH aus und kamen jetzt zu dem Ergebnis, dass Daten von Passagiere­n nur dann über den Reisezeitr­aum hinaus gespeicher­t werden dürften, wenn es „objektive Anhaltspun­kte“für Terrorgefa­hr oder schwere Kriminalit­ät gebe. Damit steht nicht nur EES, sondern auch das europäisch­e Fluggastda­tenabkomme­n (PNR), das 2018 starten soll, juristisch auf wackeligen Beinen. Denn auch dort werden unterschie­dslos persönlich­e Informatio­nen aller Reisenden erfasst.

Gegner wenden ein, dass die EU mit dem sogenannte­n Schengen-Informatio­nssystem (SIS) längst über ein Netzwerk verfüge, das alle wichtigen Angaben über ein- und ausreisend­e Drittstaat­sangehörig­e enthalten könnte, wenn alle Mitgliedst­aaten diese bereitstel­len würden – was sie eben nicht tun. Wenigstens diese Lücke könnte EES schließen.

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