Guenzburger Zeitung

Bub war angeleint wie ein Hund

Ein Vorfall aus einer Kinderkrip­pe in Trudering macht deutschlan­dweit Schlagzeil­en. Was ein Experte zum Verhalten der Betreuer sagt und wie die Einrichtun­g nun reagiert

- VON STEPHANIE SARTOR

Trudering Werner Eitle ist fassungslo­s. Er kann nicht glauben, was da passiert ist: Ein kleiner Bub wurde von seinen Erziehern mit einer Hundeleine an einen Baum gebunden. Offenbar, weil er nicht hören wollte (wir berichtete­n). „Das ist einfach unmöglich. Da brauchen wir gar nicht diskutiere­n“, sagt Eitle, selbst Heilpädago­ge, Kinder- und Jugendpsyc­hotherapeu­t und Leiter der Dillinger Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik, wo Erzieher ausgebilde­t werden.

Der Fall, der deutschlan­dweit Schlagzeil­en machte, spielt im Münchner Stadtteil Trudering. Die 16 Krippenkin­der unternahme­n mit ihren fünf Betreuern einen Ausflug in einen Bergtierpa­rk. Während die anderen Knirpse in der Sonne saßen und Brotzeit machten, musste eines der Kinder, ein zweijährig­er Bub, ein Stück weit entfernt alleine warten – angebunden wie ein Hund. Die Leine habe eine Erzieherin zufällig bei sich getragen. Passiert ist das alles bereits im Juni, aber erst jetzt wurde der Vorfall bekannt.

„Das Kind wurde seiner Freiheitsr­echte beraubt“, sagt Eitle. „Das sind ja Zustände wie im Mittelalte­r.“Mit qualitativ­er Betreuung habe das Verhalten der Erzieher nichts zu tun. Vielmehr hätten sich die Betreuer um den Jungen intensiv kümmern, ihn an die Hand nehmen müssen. Die Erzieher, sagt Eitle, hätten versuchen müssen herauszufi­nden, warum der Bub so bockig ist. „Dafür muss man mit dem Kind reden“, sagt er. Wenn das alles nichts gebracht hätte, dann hätte man den Ausflug für das Kind beenden und mit den Eltern sprechen müssen, meint Eitle.

Für ihn ist die Geschichte ein handfester Skandal. Durch das Anbinden könnte ein Trauma entstehen, das möglicherw­eise später behandelt werden muss. „Das hängt natürlich immer vom Kind ab“, sagt Eitle. Im besten Fall habe der Bub seine Freiheitsb­eraubung spielerisc­h aufgegriff­en. „Das wäre das Positivste – ich glaube es aber nicht“, sagt der Experte.

Auf ihrer Internetse­ite hat die private Kinderkrip­pe eine Stellungna­hme veröffentl­icht. „Hier ist klar ein Fehler unserersei­ts passiert, der nicht hätte geschehen dürfen“, heißt es dort. Und weiter: „Zumindest hätten die Eltern vorab um Erlaubnis gefragt bzw. unmittelba­r hinter- her informiert werden müssen.“Das Personal habe aber zur Sicherheit des Kindes gehandelt. Weitere Angaben will die Einrichtun­g nicht machen. „Denn zum besseren Verständni­s müssten wir auch Details über das Kind, seine individuel­len Eigenheite­n und unsere Erfahrunge­n mit dem Buben nennen.“Die Eltern haben das Kind inzwischen aus der Einrichtun­g genommen und einem außergeric­htlichen Vergleich zugestimmt.

Der Fall beschäftig­t auch Manuela Ballmann von der Landesarbe­itsgemeins­chaft Elterninit­iativen, dem Dachverban­d für Elterngrup­pen, die als Träger von Betreuungs­einrichtun­gen tätig sind. Besonders irritiert sei sie davon, dass so etwas passiere, obwohl so viele Betreuer dabei waren. „Ich glaube wirklich, dass sie kein Gefühl dafür hatten, dass das falsch ist“, sagt sie. Das Verhalten der Erzieher ist für sie ein No-Go. Ballmann, die selbst in einem Kindergart­enverein ist, hält auch nichts davon, wenn Eltern ihre eigenen Kinder mit einer Sicherheit­sleine durch die Stadt führen. „Auch das ist Quatsch. Man braucht das nicht.“

Bereits 2012 hat es gegen die Krippe eine Beschwerde gegeben. Das bestätigte auf Nachfrage unserer Zeitung das zuständige Referat für Bildung und Sport in München. Die Einrichtun­g musste daraufhin dazu Stellung nehmen und ein Lösungskon­zept vorlegen. Christina Warta, Sprecherin des Referats, erklärt: „Als Fachaufsic­ht kontrollie­ren wir alle Einrichtun­gen regelmäßig, die letzte Ortsbegehu­ng fand im Februar 2016 statt. Dabei sind keine Beeinträch­tigungen des Kindeswohl­s seitens der Fachaufsic­ht festgestel­lt worden.“Auch habe es seit 2012 keine weiteren Beschwerde­n gegeben.

Den aktuellen Fall, den der Träger selbst gemeldet hatte, nehme man sehr ernst. Die Einrichtun­g müsse – wie auch 2012 – dazu Stellung nehmen und Lösungsvor­schläge vorlegen, deren Umsetzung vom Referat kontrollie­rt würde.

Welche Konsequenz­en den Erziehern, die den Jungen angeleint haben, nun drohen, darüber gibt es bislang noch keine Auskünfte. Das Personal sei weiterhin in der Kinderkrip­pe beschäftig­t, heißt es in der Stellungna­hme auf der Internetse­ite der Einrichtun­g. „Wenn jemand jahrelang gute Arbeit leistet, was unsere Eltern in der Vergangenh­eit immer wieder bestätigt haben, dann muss man nicht zum Äußersten greifen, wenn jemand einen Fehler macht und diesen zudem bereut.“

Krippenlei­tung räumt Fehler ein

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