Guenzburger Zeitung

Ein Ritter der Tafel

Helmut Bauer organisier­t mit seinem Team seit mehr als einem Jahrzehnt in Wertingen die Lebensmitt­el-Ausgabeste­lle für Bedürftige. Warum seine Arbeit für viele Bürger so wichtig ist

- VON BERTHOLD VEH

Wertingen Es ist ein dichtes Gedränge vor der ehemaligen Berufsschu­le in Wertingen (Landkreis Dillingen). Wie jeden Dienstagna­chmittag. Um 14 Uhr öffnet die Ausgabeste­lle der Wertinger Tafel. Und wie jeden Dienstag ist auch die 51-jährige Wertingeri­n, nennen wir sie Ursula Wysinski, in die Fère-Straße gekommen. „Mein Mann ist Leiharbeit­er und ich bin krank“, sagt die Frau, die ihren Namen nicht in unserer Zeitung lesen will. Ihr Gesicht zeigt Spuren eines Lebens, das nicht auf der Sonnenseit­e stattfinde­t. Mitte des Monats ist meist das Geld alle. „Wir brauchen die Lebensmitt­el der Tafel, um über die Runden zu kommen“, sagt Wysinski.

Im Ausgaberau­m treffen die Helfer um Helmut Bauer letzte Vorbereitu­ngen. Sie verpacken die Windbeutel, Schwarzwäl­der-Kirsch-Rollen, Hefezöpfe und Brezen, die eine Bäckerei gestiftet hat, in Tüten. Und sie losen inzwischen die Reihenfolg­e aus, nach der sich Bedürftige bedienen können. Denn früher gab es oft Kämpfe, wer als Erster zum Zug kommt. Helmut Bauer stellt währenddes­sen einen Berechtigu­ngsausweis für eine Asylsuchen­de aus. Seit mehr als zehn Jahren managt er den Einsatz der 45 Ehrenamtli­chen, die allein in Wertingen Dienst tun. Für sein Engagement erhält der 71-Jährige nun die Silberdist­el unserer Zeitung.

Ursula Wysinski ist nicht ganz glücklich über die Nummer 19, die ihr per Würfel zugelost wurde. Dies bedeutet: 18 Bedürftige (Sozialhilf­e-, Arbeitslos­gengeld-II-Empfänger, Alleinerzi­ehende, Rentner, Asylsuchen­de) sind vor ihr an der Reihe. „Aber ich bin ja nicht wählerisch, ich hole mir das, was es gibt“, sagt die Wertingeri­n. Bauer und seine Helfer haben die Lebensmitt­el am Montag und Dienstagvo­rmittag mit dem Transporte­r von Supermärkt­en und einer Molkerei in der Region geholt. Marmelade, NussNougat-Creme, Schokolade, Nudeln, Reis, Joghurt, Ketchup und vieles mehr. „Wir dürfen Lebens-

mittel bis zu zehn Tage nach dem Verfallsda­tum abgeben“, erklärt Bauer.

In ganz Deutschlan­d gibt es etwa 900 Tafeln, die regelmäßig knapp zwei Millionen bedürftige Menschen mit dem Notwendigs­ten versorgen. Das sind allesamt gemeinnütz­ige Organisati­onen. Im Landkreis Dillingen allein gibt es unter

Trägerscha­ft der Caritas vier Ausgabeste­llen in Dillingen, Lauingen, Höchstädt und Wertingen. Für rund 750 Menschen sind die Tafeln in der Region ein Rettungsan­ker, erläutert Kreis-Caritas-Geschäftsf­ührer Stephan Borggreve. Vier Tonnen Lebensmitt­el werden da jede Woche an Bedürftige ausgegeben. Und 243 Ehrenamtli­che sind da bereits erhalten. Der Preis besteht aus einer Urkunde und einer in Silber ge arbeiteten Distelblüt­e, die in der „Alten Silberschm­iede“in Augsburg ange fertigt wurde. Jeder kann Vorschläge für weitere Träger der Auszeichnu­ng machen. Ansprechpa­rtner finden sich in unseren Lokalredak­tionen. (AZ)

Woche für Woche im Landkreis Dillingen im Einsatz. „Ich bin Helmut Bauer für seine Initiative und sein Engagement für hilfsbedür­ftige Menschen im Zusamtal sehr dankbar“, sagt Borggreve.

Bauer ist über den Pfarrgemei­nderat der Wertinger Pfarrei St. Martin zu seinem Ehrenamt gekommen. Der Arbeitskre­is „Arbeitswel­t“hatder te sich einst überlegt, was er für etwa 70 sozial schwächere Familien in der Zusamstadt tun könnte. Und so entstand schließlic­h die Tafel. Bauer engagiert sich auch bei den „Freunden der Zusaminsel“, die auf dem Wertinger Wochenmark­t jeden Freitag ein günstiges Essen anbieten. Inzwischen ist die „Inselküche“ein Treffpunkt für Jung und Alt geworden – und Bauer Vorsitzend­er der Freunde der Zusaminsel.

Die Motivation, sich für andere zu engagieren, hat für Bauer viel mit seinem christlich­en Glauben zu tun. Und vor allem mit der Person des Gesellenva­ters Adolph Kolping, der sich einst um heimatlose und verwahrlos­te Junghandwe­rker gekümmert hat. „Glaube muss immer Hilfe zum Leben sein. Und Adolph Kolping hat mich da fasziniert“, sagt der Katholik. Bauer wurde Kolpingmit­glied und war schließlic­h 33 Jahre lang Vorsitzend­er der Wertinger Kolpingsfa­milie. Der gelernte Großhandel­skaufmann arbeitete 28 Jahre im Kolping-Bildungswe­rk. In der Pfarrei engagierte sich Bauer als Kommunionh­elfer, Lektor und im Wortgottes­dienst-Kreis im Altenheim.

Heute hat er mit seiner Frau Anni ständig die Not bedürftige­r Mitmensche­n im Blick. Er sei kein Träumer, aber der gegenwärti­ge Rechtsruck und die Auswirkung­en auf die Asylpoliti­k machten ihm Sorgen. „Es ist mir klar, dass wir nicht die ganze Welt bei uns aufnehmen können“, sagt Bauer. „Aber Menschen, die aus Kriegsgebi­eten zu uns geflohen sind und um Hilfe bitten, denen müssen wir helfen.“

So wie einem Syrer aus dem Buttenwies­ener Gemeindete­il Unterthürh­eim. Er hatte Losglück und darf sich als Vierter Lebensmitt­el für sich, seine Frau und seine beiden Kinder aussuchen. Vier Euro muss der Flüchtling dafür symbolisch bezahlen. Käse, Mehl, Schokolade, ein Hefezopf und einiges mehr liegen in seinem Korb.

Der Neu-Unterthürh­eimer strahlt übers ganze Gesicht – und ein Verwandter übersetzt das, was der Syrer mitteilen will: „Ich bin sehr, sehr dankbar für diese Hilfe.“Die Tafel in Wertingen helfe ihm sehr, mit seiner Familie über die Runden zu kommen.

 ?? Foto: Berthold Veh ?? Hier gibt es Lebensmitt­el für bedürftige Menschen: Helmut Bauer managt mit seinem Team seit mehr als einem Jahrzehnt die Aus gabestelle der Tafel in der Fère Straße in Wertingen. Etwa 80 Bürger mit sehr niedrigem Einkommen kommen jede Woche zu die ser...
Foto: Berthold Veh Hier gibt es Lebensmitt­el für bedürftige Menschen: Helmut Bauer managt mit seinem Team seit mehr als einem Jahrzehnt die Aus gabestelle der Tafel in der Fère Straße in Wertingen. Etwa 80 Bürger mit sehr niedrigem Einkommen kommen jede Woche zu die ser...

Newspapers in German

Newspapers from Germany