„Im Kino gewesen. Geweint.“
Manchmal überkommt es mich einfach. Erst ist es nur ein wässriger Schleier über den Augen. Aber dann kullern die Tränen vor Rührung. Zum Glück ist es dunkel im Kinosaal, so sehen die anderen nicht so deutlich, wie ich mir verstohlen die Augen reibe und die Wangen abtupfe. Peinlich ist es mir jedes Mal. Aber was willste machen? Ich bin nun mal nah ans Wasser gebaut und lasse mir’s nahegehen, wenn sich zwei Liebende endlich finden. Oder für immer verlieren, weil ein böses Schicksal oder tragische Schuld sie trennt. Immerhin habe ich Franz Kafka zum Verbündeten. „Im Kino gewesen. Geweint“, notierte er.
Hundertmal sage ich mir: Das ist doch alles nur Fiktion, die Personen gibt es doch gar nicht wirklich! Aber hilft es etwas? Vorgestellte Menschen wirken auf der Leinwand genauso echt wie lebendige Menschen. Ich sehe sie doch. Ich höre doch, was sie einander sagen, welche Stimmung in ihren Dialogen mitschwingt. Ich werde doch Zeuge einer zärtlichen Annäherung, aber auch abweisender Gesten. Zumal der Cutter solche packenden Momente gern in herangezoomter Nahaufnahme zeigt.
Gutes Kino versetzt in andere Welten und die Filmmusik tut ein Übriges, dass ich emotional so gepackt werde: romantisches Klavierspiel, klangsatte Sinfonie, anregender Jazz. Aber bitte keinen Sound von der aufdringlich pathetischen Art, die in amerikanischen Romanzen und Kinderfilmen auf die Tränendrüse drückt. Bei ihm werde ich eher ärgerlich, dass die Klänge eine solche Macht über meine Gefühle gewinnen und mich förmlich im Empfinden vergewaltigen.
Kino soll mich sanft umlegen. Und dabei die steilste Klippe umschiffen, nämlich langatmig zu werden. Denn dann gibt’s bei mir allenfalls Tränen beim Gähnen.