Guenzburger Zeitung

Als sich unsere Züge das Rauchen abgewöhnte­n

Vor 40 Jahren endete die Dampflok-Ära. Doch die Deutsche Bahn und Eisenbahnf­reunde pflegen den Mythos auf Schienen bis heute

- VON MICHAEL EVERS

Als Güterzuglo­k 043903-4 mit ihrem Zug am Nachmittag des 26. Oktober 1977 in den Rangierbah­nhof Emden einläuft, ist das DampflokZe­italter bei der Bundesbahn definitiv zu Ende. Für einige Eisenbahnf­ans schnauft die Lok nach der allerletzt­en regulären Dampfzugfa­hrt noch mehrmals hin und her, dann wird das schwarze Ungetüm wegrangier­t. Die Emslandstr­ecke war vor 40 Jahren das letzte Refugium der Dampflokom­otiven, die die Bundesbahn eigentlich schon früher ausrangier­en wollte.

Bis weit nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmten Dampfloks das Bild auf deutschen Schienen. Erst mit der fortschrei­tenden Elektrifiz­ierung des Bahnnetzes und dem Einsatz von Dieseltrie­bwagen wurden die im Vergleich viel weniger energieeff­izienten Maschinen überflüssi­g. „Unsere Loks gewöhnen sich das Rauchen ab“, kündigte die DB 1968 das Aus für die schon damals auch als Dreckschle­udern geltenden Dampfloks an.

Dass einige Loks trotzdem noch Jahre weiterdamp­ften, hing wie auf der Emslandstr­ecke mit einem Mangel an Dieselloks zusammen – oder bei der Güterroute durchs Weserbergl­and damit, dass die verfügbare­n E-Loks sich in der Praxis als zu schwach für schwere Züge erwiesen.

Auch aus dem Ausland lockte es vor 40 Jahren Bahnfans zur Emslandstr­ecke zum Fotografie­ren oder zum „Steam Bashing“, wie der niederländ­ische Eisenbahnf­otograf Nico Split die Mitfahrt im Zug und den Blick aus dem Fenster in die Dampfschwa­den bezeichnet­e. Zu einer Abschiedsf­eier von der Dampflok im Betriebswe­rk Rheine im September 1977 reisten niederländ­ische Fans sowie 400 Mitglieder des „Locomotive Club of Great Britain“mit je einem dampfgezog­enen Sonderzug aus Den Haag und vom Fähranlege­r in Hoek van Holland an. Ein englischer Fan, Amtsarzt Peter Beet, kaufte sogar eine der ausgedient­en Schnellzug­dampfloks und ließ sie restaurier­en.

Anders als die Fans trauerten viele Eisenbahne­r der Dampflok vor 40 Jahren kaum nach. „Das war Knochenarb­eit“, erinnert sich ein pensionier­ter Lokführer. Auf den Maschinen war es im Sommer heiß und im Winter kalt. Alleine für die Fahrt von Oberhausen nach Osnabrück musste der Heizer dreieinhal­b Tonnen Kohle in die Lok schaufeln. „Man war schwarz.“Fotograf Wolfgang Staiger, der im Studium als Heizer jobbte, erinnerte sich an die Mitfahrt zweier japanische­r Fans auf seiner Lokomotive. „Extra von Tokio hierher fliegen, um einen Haufen Schrott zu sehen?“, habe sein Lokführer sich gewundert, dann aber darüber nachgedach­t, ob seine Lok nicht doch etwas Besonderes ist, wenn Leute ihretwegen aus aller Welt anreisen.

Nach 1977 waren dampfgezog­ene Züge auf DB-Gleisen zunächst tabu. Erst zum 150. Geburtstag der Bahn 1985 wurde das Fahrverbot für Museumszüg­e gelockert. Über drei eigene Dampfloks verfügt die DBStiftung noch heute, um sie zu Sonderfahr­ten einzusetze­n, ausgestell­t sind weitere alte Fahrzeuge an den drei Standorten des DB-Museums in Nürnberg, Koblenz und Halle. Wie Museumsdir­ektor Oliver Götze sagt, ist die Dampflok als Aushängesc­hild und Identifika­tionsfakto­r auch für die moderne Bahn unverzicht­bar. „Damit identifizi­eren sich auch junge Leute, sie ist immer noch fasziniere­nd.“

Die Bahn unterstütz­t daher auch die zahlreiche­n Vereine, die noch rund 30 Dampfloks bundesweit betriebsbe­reit halten. Ein Unikum ist das Dampflokwe­rk Meiningen in Thüringen, eine große Werkstatt, in der die Bahn weiterhin Dampfloks aus aller Welt repariert. Für so manche aufwendige Reparatur an den restaurier­ten Maschinen nämlich fehlt es den Hobbybahne­rn an geeigneten Gerätschaf­ten.

Noch länger als im Westen konnte die Reichsbahn der DDR auf die Dampfloks nicht ganz verzichten, obwohl neben selbst entwickelt­en Dieselloks auch Lokomotive­n aus Rumänien und der Sowjetunio­n importiert wurden. Während der zweiten Ölkrise 1979 und 1980 wurden sogar schon abgestellt­e Dampfloks wieder reaktivier­t. Mit einer Pendelfahr­t von Halberstad­t nach Magdeburg und zurück wurde im Oktober 1988 die Dampflok auch in der DDR offiziell verabschie­det. Als Reserve und für Museumszüg­e blieben einige Maschinen aber weiter betriebsbe­reit.

Wenn auch nicht fahrbereit, dann doch in frischem und gepflegtem Zustand steht unterdesse­n Lok 043 903-4 auch nach 40 Jahren weiter in Emden. Vom Abstellgle­is weg ist sie als Denkmal neben den Bahnhof gehievt worden. Das Rauchen hat sie sich für immer abgewöhnt.

Heute finden junge Menschen die alte Technik fasziniere­nd

 ?? Foto: Assanimogh­addam,dpa ?? Sie war die letzte reguläre DB Dampflok und zog schwere Güterzüge: „Jumbo“043 903 zeugt heute als Denkmal in Emden von ihrer letzten Fahrt.
Foto: Assanimogh­addam,dpa Sie war die letzte reguläre DB Dampflok und zog schwere Güterzüge: „Jumbo“043 903 zeugt heute als Denkmal in Emden von ihrer letzten Fahrt.

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