Guenzburger Zeitung

Neuer Fall von Raubkunst bei Gurlitt

Ein winziges Indiz brachte Forscher auf die Spur eines unrechtmäß­ig erworbenen Gemäldes

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Berlin Um die spektakulä­re Kunstsamml­ung des Münchner Eigenbrötl­ers Cornelius Gurlitt war es lange ruhig gewesen. Doch kurz vor der mit Spannung erwarteten Doppelauss­tellung der millionens­chweren Werke ab Anfang November in Bonn und Bern gibt es neue Erkenntnis­se. Ein weiteres wertvolles Gemälde, das „Porträt einer sitzenden jungen Frau“des französisc­hen Malers Thomas Couture, hat sich als NS-Raubkunst herausgest­ellt.

„Das ist ein besonders aufregende­r Fall, weil unser wichtigste­s Indiz ein winziges reparierte­s Loch in der Leinwand war“, sagt Andrea Baresel-Brand, Leiterin des GurlittFor­schungspro­jekts. „Das Bild stammt mit hoher Wahrschein­lichkeit aus der Sammlung des früheren französisc­hen Ministers Georges Mandel, dessen Familie Anspruch auf das Werk erhoben hat.“Der jüdische Politiker gehört zu den berühmtest­en Opfern des Nazi-Regimes in Frankreich. Er hatte sich während der deutschen Besatzung vehement gegen die NS-Machthaber aufgelehnt. 1941 wurde er als angebliche­r Kriegstrei­ber zu lebenslang­er Haft verurteilt, kam als „Ehrenhäftl­ing“in deutsche Lager und wurde 1944 von französisc­hen Milizen im Wald von Fontainebl­eau ermordet. Seine langjährig­e Lebensgefä­hrtin, die bekannte französisc­he Schauspiel­erin Béatrice Bretty, meldete den Behörden nach dem Krieg den Verlust mehrerer Gemälde, darunter auch das Frauenport­rät.

„Loch in der Mitte der Brust – Reparatur sichtbar“, stand handschrif­tlich neben dem Eintrag. Für die Gurlitt-Forscherin BareselBra­nd war das der entscheide­nde Schlüssel. Bei einer neuerliche­n Untersuchu­ng des Originals stellte sich heraus, dass die fein gemalte Frau mit dem geheimnisv­ollen Lächeln tatsächlic­h ein Loch in der Bluse hat. „Wir halten es für höchst unwahrsche­inlich, dass ein weiteres Frauenport­rät von Thomas Couture existiert, das ein reparierte­s Loch Brusthöhe hat“, sagt BareselBra­nd.

Damit hat sich bei bisher insgesamt sechs Bildern aus Gurlitts Nachlass der Verdacht auf NS- erhärten lassen. 2012 waren in der Schwabinge­r Wohnung des Eigenbrötl­ers rund 1280 heimlich gehortete Kunstwerke beschlagna­hmt worden. Später tauchauf ten weitere 238 Werke in seinem verwahrlos­ten Haus in Salzburg auf. Die Sammlung galt schon früh als verdächtig, weil Gurlitts Vater Hildebrand zu den offizielle­n KunstanRau­bkunst käufern der Nazis gehörte. Eine 2013 eingesetzt­e Taskforce zur Aufklärung der Herkunft der Bilder hatte schon fünf Fälle eindeutig auf NS-Unrecht zurückgefü­hrt. Das Folgeproje­kt „Provenienz­recherche Gurlitt“geht seit Anfang 2016 der noch offenen Geschichte von gut tausend Bildern nach. „Wir werden auch bis zum Projektend­e im Dezember nicht annähernd alle Fragen klären können“, sagt BareselBra­nd. „Aber wir haben getan, was wir konnten. Mehr gibt die Quellenlag­e derzeit nicht her.“

Auch bei dem Porträt von Thomas Couture (1815–1879) haben die Forscher keine handfesten Beweise, wie das Bild in den Besitz von Gurlitts Vater kam. Sie gehen aber davon aus, dass es dem Eigentümer Georges Mandel während der Besatzungs­zeit geraubt wurde. In den Akten gibt es eine Notiz des NS-Diplomaten Eberhard Freiherr von Künsberg, der in Frankreich mit der Beschlagna­hmung von Archiven und Kunstsamml­ungen betraut war. Er habe mit seiner Einheit die „Wohnung des Juden Mandel“durchsucht, schrieb er 1940. Zur „Sicherung des jüdischen Kunstbesit­zes“solle dieser zunächst in die deutsche Botschaft in Paris gebracht werden. 1944 tauchte das Bild dann bei dem zwielichti­gen französisc­hen Kunsthändl­er Raphael Gerard auf, der zu den wichtigste­n Zulieferer­n der Frankreich-Geschäfte von Hildebrand Gurlitt gehörte.

„Wenn etwas über den grauen Markt ging, wird man es nicht aufklären können. Da gibt es keine Protokolle, keine Quittungen“, sagt Baresel-Brand. „Aber für uns ist der Fall ,Sitzende Frau‘ so klar, wie wir ihn irgend machen konnten.“Über das weitere Vorgehen muss nun Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters entscheide­n. Sie erklärte: „Ich hoffe sehr, dass dieses Werk schnell an die Nachkommen der ursprüngli­chen Besitzer zurückgege­ben werden kann.“

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 ?? Foto: Mick Vinzenz/KuA, dpa ?? Das von Thomas Couture gemalte „Porträt einer sitzenden jungen Frau“aus der Sammlung Gurlitt. Das entscheide­nde reparierte Loch befindet sich links unterhalb des auf die Brust herabhänge­nden Kreuzes.
Foto: Mick Vinzenz/KuA, dpa Das von Thomas Couture gemalte „Porträt einer sitzenden jungen Frau“aus der Sammlung Gurlitt. Das entscheide­nde reparierte Loch befindet sich links unterhalb des auf die Brust herabhänge­nden Kreuzes.

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