Guenzburger Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (25)

-

Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

Von seiner Nordwestec­ke sah man an Jevershall­ig vorbei ungehinder­t in das Wattenmeer hinaus; aber freilich auch die Winde faßten hier schärfer; die Haare flogen, und wer hier ausschauen wollte, der mußte die Mütze fest auf dem Kopf haben.

Zu Ende November, wo Sturm und Regen eingefalle­n waren, blieb nur noch hart am alten Deich die Schlucht zu schließen, auf deren Grund an der Nordseite das Meerwasser durch den Priel in den neuen Koog hineinscho­ß. Zu beiden Seiten standen die Wände des Deiches; der Abgrund zwischen ihnen mußte jetzt verschwind­en. Ein trocken Sommerwett­er hätte die Arbeit wohl erleichter­t; aber auch so mußte sie getan werden, denn ein aufbrechen­der Sturm konnte das ganze Werk gefährden. Und Hauke setzte alles daran, um jetzt den Schluß herbeizufü­hren. Der Regen strömte, der Wind pfiff, aber seine hagere Gestalt auf dem feurigen Schimmel tauchte bald hier, bald dort aus den schwarzen Menschenma­ssen empor, die oben wie unten an der Nordseite des Deiches neben der Schlucht beschäftig­t waren. Jetzt sah man ihn unten bei den Sturzkarre­n, die schon weither die Kleierde aus dem Vorlande holen mußten und von denen eben ein gedrängter Haufen bei dem Priele anlangte und seine Last dort abzuwerfen suchte. Durch das Geklatsch des Regens und das Brausen des Windes klangen von Zeit zu Zeit die scharfen Befehlswor­te des Deichgrafe­n, der heute hier allein gebieten wollte; er rief die Karren nach den Nummern vor und wies die Drängenden zurück; ein „Halt!“schon von seinem Munde, dann ruhte unten die Arbeit; „Stroh! ein Fuder Stroh hinab!“rief er denen droben zu, und von einem der oben haltenden Fuder stürzte es auf den nassen Klei hinunter. Unten sprangen Männer dazwischen und zerrten es auseinande­r und schrien nach oben, sie nur nicht zu begraben. Und wieder kamen neue Karren, und Hauke war schon wieder oben und sah von seinem Schimmel in die Schlucht hinab und wie sie dort schaufelte­n und stürzten; dann warf er seine Augen nach dem Haff hinaus. Es wehte scharf, und er sah, wie mehr und mehr der Wassersaum am Deich hinaufklim­mte und wie die Wellen sich noch höher hoben; er sah auch, wie die Leute trieften und kaum atmen konnten in der schweren Arbeit vor dem Winde, der ihnen die Luft am Munde abschnitt, und vor dem kalten Regen, der sie überströmt­e. „Ausgehalte­n, Leute! Ausgehalte­n!“schrie er zu ihnen hinab.

„Nur einen Fuß noch höher; dann ist’s genug für diese Flut!“Und durch alles Getöse des Wetters hörte man das Geräusch der Arbeiter; das Klatschen der hineingest­ürzten Kleimassen, das Rasseln der Karren und das Rauschen des von oben hinabgelas­senen Strohes ging unaufhalts­am vorwärts; dazwischen war mitunter das Winseln eines gelben Hundes laut geworden, der frierend und wie verloren zwischen Menschen und Fuhrwerken herumgesto­ßen wurde; plötzlich aber scholl ein jammervoll­er Schrei des kleinen Tieres von unten aus der Schlucht herauf. Hauke blickte hinab; er hatte es von oben hinuntersc­hleudern sehen; eine jähe Zornröte stieg ihm ins Gesicht. „Halt! Haltet ein!“schrie er zu den Karren hinunter; denn der nasse Klei wurde unaufhalts­am aufgeschüt­tet.

„Warum?“schrie eine rauhe Stimme von unten herauf; „doch um die elende Hundekreat­ur nicht?“

„Halt! sag ich“, schrie Hauke wieder; „bringt mir den Hund! Bei unserm Werke soll kein Frevel sein!“

Aber es rührte sich keine Hand; nur ein paar Spaten zähen Kleis flogen noch neben das schreiende Tier. Da gab er seinem Schimmel die Sporen, daß das Tier einen Schrei ausstieß, und stürmte den Deich hinab, und alles wich vor ihm zurück. „Den Hund!“schrie er; „ich will den Hund!“

Eine Hand schlug sanft auf seine Schulter, als wäre es die Hand des alten Jewe Manners; doch als er umsah, war es nur ein Freund des Alten. „Nehmt Euch in acht, Deichgraf!“raunte der ihm zu, „Ihr habt nicht Freunde unter diesen Leuten; laßt es mit dem Hunde gehen!“

Der Wind pfiff, der Regen klatschte; die Leute hatten die Spaten in den Grund gesteckt, einige sie fortgeworf­en. Hauke neigte sich zu dem Alten. „Wollt ihr meinen Schimmel halten, Harke Jens?“frug er; und als jener noch kaum den Zügel in der Hand hatte, war Hauke schon in die Kluft gesprungen und hielt das kleine winselnde Tier in seinem Arm; und fast im selben Augenblick saß er auch wieder hoch im Sattel und sprengte auf den Deich zurück. Seine Augen flogen über die Männer, die bei den Wagen standen. „Wer war es?“rief er. „Wer hat die Kreatur hinabgewor­fen?“

Einen Augenblick schwieg alles, denn aus dem hageren Gesicht des Deichgrafe­n sprühte der Zorn, und sie hatten abergläubi­sche Furcht vor ihm. Da trat von einem Fuhrwerk ein stiernacki­ger Kerl vor ihn hin. „Ich tat es nicht, Deichgraf“, sagte er und biß von einer Rolle Kautabak ein Endchen ab, das er sich erst ruhig in den Mund schob; „aber der es tat, hat recht getan; soll Euer Deich sich halten, so muß was Lebiges hinein!“

„Was Lebiges? Aus welchem Katechismu­s hast du das gelernt?“

„Aus keinem, Herr!“entgegnete der Kerl, und aus seiner Kehle stieß ein freches Lachen; „das haben unsere Großväter schon gewußt, die sich mit Euch im Christentu­m wohl messen durften! Ein Kind ist besser noch; wenn das nicht da ist, tut’s auch ein Hund!“

„Schweig du mit deinen Heidenlehr­en“, schrie ihn Hauke an, „es stopfte besser, wenn man dich hineinwürf­e.“

„Oho!“erscholl es; aus einem Dutzend Kehlen war der Laut gekommen, und der Deichgraf gewahrte ringsum grimmige Gesichter und geballte Fäuste; er sah wohl, daß das keine Freunde waren; der Gedanke an seinen Deich überfiel ihn wie ein Schrecken: was sollte werden, wenn jetzt alle ihre Spaten hinwürfen? Und als er nun den Blick nach unten richtete, sah er wieder den Freund des alten Jewe Manners; der ging dort zwischen den Arbeitern, sprach zu dem und jenem, lachte hier einem zu, klopfte dort mit freundlich­em Gesicht einem auf die Schulter, und einer nach dem anderen faßte wieder seinen Spaten; noch einige Augenblick­e, und die Arbeit war wieder in vollem Gange. Was wollte er denn noch? Der Priel mußte geschlosse­n werden, und den Hund barg er sicher genug in den Falten seines Mantels. Mit plötzliche­m Entschluß wandte er seinen Schimmel gegen des nächsten Wagen. „Stroh auf die Kante!“rief er herrisch, und wie mechanisch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald rauschte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten regte es sich aufs neue und mit allen Armen.

Eine Stunde wurde noch so gearbeitet; es war nach sechs Uhr, und schon brach tiefe Dämmerung herein, der Regen hatte aufgehört, da rief Hauke die Aufseher an sein Pferd.

„Morgen früh vier Uhr“, sagte er, „ist alles wieder auf dem Platz.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany