Guenzburger Zeitung

„Ich bin der Günstigste am Markt“

Über ein Jahr dauert der Prozess gegen einen Pflegedien­st-Unternehme­r aus dem Landkreis schon. Wegen ihm sollen den Sozialkass­en Millionen entgangen sein. Doch auch zum Ende der Verhandlun­gen sieht der Mann keine Schuld bei sich

- VON ALEXANDER SING

Augsburg „Wenn Sie mal jemanden brauchen, ich bin der Günstigste am Markt.“Das ist einer der letzten Sätze, die der Angeklagte zur Zweiten Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburg sagt, bevor die Beweisaufn­ahme im Prozess gegen ihn geschlosse­n wird. An sich wären die Worte harmlos, kämen sie nicht von einem Mann, der beschuldig­t wird, schwarzarb­eitende Pflegekräf­te aus Osteuropa vermittelt und so die Sozialkass­en um Millionen gebracht zu haben. 2015 begannen die Ermittlung­en gegen den heute 70-Jährigen, aus der Untersuchu­ngshaft kam er nur gegen eine Kaution von 100000 Euro frei. Seither betreibt der Unternehme­r aus dem südlichen Landkreis Günzburg weiter seine Firma, die über eine Zweigstell­e in Rumänien Frauen an Pflegebedü­rftige entsendet. „Da ist alles einwandfre­i“, beteuert der Mann und präsentier­t sogar eine Urkunde. Sein Unternehme­n hat in Rumänien bereits mehrere Preise gewonnen.

Auf der Anklageban­k sitzt er aber wegen Vorwürfe, die weiter zurücklieg­en. Er soll Pflegekräf­te aus Polen, Rumänien oder Ungarn an Familien vor allem im süddeutsch­en Raum vermittelt haben. Die Frauen sollten eine kostengüns­tige und schnelle Lösung für Probleme bei der Betreuung von alten und kranken Angehörige­n sein. Die Pflegekräf­te waren jedoch zum Großteil nicht ordnungsge­mäß angemeldet, laut Anklagesch­rift gingen den Sozialkass­en so rund 17 Millionen Euro verloren. Die Krux: Der Unternehme­r kassierte bloß eine Vermittlun­gsgebühr und eine monatliche Pauschale von 88 Euro. Arbeitgebe­r und damit meldepflic­htig waren aber die Kunden. Hat der Angeklagte das gewusst und billigend in Kauf genommen, um den Preis zu drücken?

Der erfahrene Unternehme­r sah sich auf der sicheren Seite. „Ich wollte absolut keine Fehler machen“, sagt er vor Gericht. Der Plan sei gewesen, bei der Vermittlun­g zu bleiben, sodass der Kunde bezahle und er nichts abzuführen habe. Es habe auch Kontakt zum Zoll gegeben, der nie etwas beanstande­t habe. Bis die Beamten schließlic­h mit einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss vor seiner Tür standen.

Mehr als 1169 Betroffene listet die Anklage auf, die Taten liegen zwischen 2009 und 2014. Seit Beginn des Prozesses im Herbst 2016 wurden über 200 Zeugen gehört, Familienan­gehörige, Pflegekräf­te, Zollbeamte. Es zeigte sich: Den meisten war nicht bewusst, dass da etwas Illegales passierte. Die einen gingen davon aus, dass der Unternehme­r sich um die Sozialabga­ben kümmern würde, die anderen glaubten, die Frauen seien in ihren Heimatländ­ern angemeldet. Viele Kunden hatten sich nie viele Gedanken darüber gemacht und waren offensicht­lich froh, schnell und günstig Hilfe zu bekommen. Viele zeigten sich vor Gericht auch zufrieden mit der Arbeit der Pflegekräf­te und sagten aus, den Angeklagte­n auf Empfehlung eines Arztes aufgesucht und als seriös erlebt zu haben.

Die Verteidige­r Hansjörg Schmid und Tobias Liebau argumentie­ren zum Ende der Verhandlun­g in einer 97 Seiten langen Erklärung, warum ihr Mandant sich nicht strafbar gemacht habe. So hätten die Frauen Bezahlung, Dauer und Freizeit bei ihrer Anstellung selbststän­dig ausgehande­lt. Zudem wären die Pflegekräf­te in einigen der angeklagte­n Fälle rückwirken­d angemeldet worden. In anderen Fällen hätten die Frauen auch bewusst auf eine Anmeldung verzichtet. Der Angeklagte sieht die Schuld offenbar auch bei den Kunden. Jedenfalls gibt er an, dass nur sieben von über 700 Kunden auf das Angebot eingegange­n seien, auf ein Modell zu wechseln, in dem seine Agentur die Pflegekräf­te entsendet und somit auch die Rahmenbedi­ngungen gemanagt habe.

Als vor zwei Jahren herauskam, dass gegen den Mann ermittelt wird, sind nach dessen Angaben 900 seiner damals 1000 Kunden abgesprung­en. Aktuell kümmert sich der 70-Jährige um die Firma in Rumänien, seine Frau leitet eine Niederlass­ung in Polen. Wie das Gericht um die Vorsitzend­e Dorothee Singer nun entscheide­t, ist völlig offen. Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng werden ihre Plädoyers am 7. November abgeben. Ein Urteil wird für den 16. November erwartet.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Ein Pflegedien­st Unternehme­r soll schwarz arbeitende Pflegerkrä­fte aus Osteuropa vermittelt und so die Sozialkass­en um Millio nen gebracht haben.

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