Das Ende der Eiszeit
Ein Eiscafé hat seit heute geschlossen. Auch die andere Eisdiele in Günzburgs Innenstadt beendet bald die Saison. Von der Kunst des Eismachens und einem kleiner gewordenen Kuchen
Günzburg Es gibt Momente, da muss Antonio Micello die Zähne zusammenbeißen, um freundlich zu wirken. Zum Beispiel dann, wenn sich der Mann für wenige Minuten auf einen Stuhl seiner Eisdiele „Numero uno“in der Günzburger Innenstadt setzt und sich eine kurze Auszeit nimmt. Ein Kunde, der vorbeikommt, beurteilt die Szenerie mit der vielleicht witzig gemeinten Bemerkung: „Was ist das nur für ein Leben? Mit Dir würde ich gerne tauschen.“
Was der Mann vermutlich nicht wissen dürfte: Die wenigen Minuten Pause legt Micello irgendwann am Vormittag ein, nachdem er bereits mehrere Stunden gearbeitet hat.
Während der Eiszeit zwischen März und Oktober legt der Familienvater, der gerne Opernsänger geworden wäre, in der Regel zwischen 5 und 6 Uhr los mit dem Eismachen. 12, 13 oder 14 Stunden Arbeit am Tag liegen für Micello im Bereich der Normalität. Eine Erkrankung ist für den Italiener, der mit seiner Frau und den Kindern in Lauingen wohnt, kein Grund zu Hause zu bleiben. In dieser Saison hat Antonio Micello exakt an zwei Tagen gefehlt. „Ich arbeite durch und verliere irgendwann einmal jegliches Zeitgefühl. Ich kann nicht sagen, wel- chen Tag wir heute haben“, erzählt er. Und auf die Nachfrage, ob das ein Scherz sei, antwortet Ehefrau Silke: „Nein, das ist so.“Nur den Sonntag erspürt der Mann, denn an diesem Tag liegt die Zahl der Kunden um einiges höher als an den übrigen Tagen der Woche.
Seit 38 Jahren verfeinert Micello sein Handwerk der Eiszubereitung, das er zur Kunstform erhebt. Angefangen hat er als 14-Jähriger im Eiscafé seines Vaters in Lauingen, das heute so nicht mehr existiert. Die Eltern sind zurück nach Apulien und verbringen dort ihren Lebensabend. Experimentierfreudig ist Micello in all den Jahren geblieben. Das Ergebnis, das eine Mischung aus Neugierde und Erfahrung hervorbringt, ist durchaus schmackhaft.
Die Kunden kommen bis aus Augsburg und Ulm. Und wenn Opernstar Diana Damrau in ihrer alten Heimat Günzburg ist, dann gehört der Besuch von „Numero uno“zum festen Programm.
Die schönsten Opernarien liefert der Mann an der Eismaschine frei Haus, wenn ihm danach ist. Für ein Engagement an einer Bühne hat es allerdings nicht gereicht. „Beeindruckt war jeder“, sagt Silke Micello, „aber er hat kein Konservatorium besucht, hat den Gesang nicht studiert“. Ein Manko, das offenbar schwerer wiegt als die autodidaktischen Bemühungen. Und auch die Anfrage bei der „Das Supertalent“vor einiger Zeit hat sich als Irrweg erwiesen. EiscaféBetreiber zu sein war den Autoren der Sendung offenbar zu wenig: Die nicht gerichteten Zähne von Paul Potts konnte er nicht aufweisen, ein Leben als Hartz-IV-Empfänger führt er nicht. Micellos Brotberuf bleibt der des Speiseeisherstellers. Die weniger funktionsbetonte italienische Bezeichnung klingt da ganz anders: Gelatiere. Das geht runter wie eine feine Kugel seiner speziell entworfenen Komposition aus Macadamia-Nüssen und Pistazien.
Im Großen und Ganzen waren die Micellos zufrieden mit dem Jahr, wenn man mal vom September absieht, der zu kalt gewesen sei. März und Oktober sind für den Anlaufund den Auslaufmonat ohnehin nicht stark einzuschätzen, aber das sei grundsätzlich so.
Dennoch ist die – um im Bild zu bleiben – Eistorte für die Familie, die ihr Café gestern zum letzen Mal in diesem Jahr geöffnet hatte, kleiner geworden. Denn nur etwa 200 Meter entfernt hat Fernando Stangherlin heuer die „Boutique del Gelato“aufgemacht. Auch sein Eis ist selbst produziert und nicht etwa industriell vorgefertigt. „Wir haben ein sehr gutes Geschäft gehabt“, sagt der Mann, dessen Frau Rita Marques eine weitere Eisdiele in Leipheim betreibt. Die gibt es schon länger. Aber der Umsatz sei in Günzburg größer gewesen.
Stangherlin ist sie Hälfte seines Lebens mit Eismachen beschäftigt. Begonnen hat er damit als 18-Jähriger in Rüdesheim am Rhein. Geboren ist er nicht etwa in Italien, sondern in Santa Catarina, ein Bundesstaat im Süden Brasiliens, in den im 19. Jahrhundert verstärkt Italiener eingewandert sind. Weihnachten will der 36-Jährige mit seiner Frau und dem drei Monate alten Sohn in Südamerika verbringen. Doch jetzt wird die Pause nach den anstrengenden Sommermonaten erst einmal in Leipheim genossen, wo die Familie ein Haus hat.
Ein Dankeschön (und weil am 29. Oktober der letzte Arbeitstag anbricht) hat der Eismann übermorgen in Günzburg und Leipheim für die Kundschaft übrig. An diesem Sonntag kostet die Kugel nur 50 Cent, vespricht er. „Kleine Überraschungen“soll es zusätzlich geben.
Wer auf Eis nicht verzichten will, hat im Günzburger Altstadtbereich noch eine Möglichkeit. Am Marktplatz bietet das Eiscafé Rimini Vanille, Schokolade und Co. das ganze Jahr über an – allerdings ohne brasilianische Note und auch ohne Oper live.