Himmlische Aufgaben
Das berühmte, mehr als 500 Jahre alte Chorgestühl soll von Schmutz befreit und auf Vordermann gebracht werden. Auch außen ist eine neue Baustelle geplant
Ulm Während die Baustelle in luftiger Höhe am Münsterturm langsam in die Winterruhe überführt wird, werden die Planungen für den Schatz im Inneren konkreter: Das Chorgestühl soll gereinigt und gegebenenfalls saniert werden. Eine heikle Aufgabe: Schließlich wurde das fragile Gestühl aus dunklem Eichenholz bereits in den Jahren 1469 bis 1474 gefertigt und gilt als eines der berühmtesten und schönsten seiner Art.
Münsterbaumeister Michael Hilbert rechnet mit mindestens zwei bis drei Jahren Arbeit und 250 000 Euro, die in das gotische Werk investiert werden müssen. „Das ist nur eine grobe Schätzung“, sagt Hilbert. Denn erst nach einer ausführlichen Kartierung stehe der wahre Zustand des Werks des Schreiners und Bildhauers Jörg Syrlin fest.
„Bitte das Chorgestühl nicht berühren“steht mehrfach an den 18 Meter langen Seitenteilen. Und das hat einen guten Grund: Jeder Kontakt schadet letztlich dem über 540 Jahre alten Gehölz. Nach der Kenntnis von Hilbert wurde das Gesamtkunstwerk mitsamt seinen Darstellungen zahlreicher griechischer und römischer Künstler und Gelehrter zuletzt vor 67 Jahren gereinigt. Seitdem hat sich eine teilweise deutlich sichtbare Dreckschicht auf dem Holz gebildet. Wie Hilbert erklärt, entstehe die insbesondere durch kleine Fussel und Staub, der auf dem Holz anhafte. Je feuchter die Luft, umso besser hafte der Schmutz. Ein Teufelskreis: Denn je dicker die Schmutzschicht, umso mehr Feuchtigkeit könne sie speichern. Die Folge: Risse.
Noch stecken die Planungen für die Sanierung der reich verzierten 89 Holzsitze in den Kinderschuhen. Möglicherweise werde sich die Ulmer Münsterbauhütte auch Experten für mittelalterliches Holz ins Boot holen müssen. Zwar beschäftigt die Hütte auch Schreiner, doch die Kernkompetenz liege eindeutig in der Steinbearbeitung. Diese Kompetenz wird Hilbert mit seinen Leuten bei der kommendes Jahr anstehenden Sanierung der Valentins- kapelle am südlichen Münsterplatz einsetzen. Das Dach werde komplett saniert und zudem müssen bis zu 40 Steine der Kapelle komplett ersetzt werden, was unter dem Strich etwa 220000 Euro kosten werde. Eigentlich hätte Ulm direkt neben dem Münster einen schicken, 1000 Quadratmeter großen Platz, nachdem die Renovierung der Chortürme abgeschlossen ist. Aber nach wie vor trennt ein brauner Bauzaun die 1458 als Grablege einer Patrizierfamilie gebaute Kapelle vom Ulmer Wahrzeichen.
„Eigentlich ist das ein sehr schöner Ort“, sagt Hilbert. Doch der unpassende Zaun bleibe vorerst bestehen, weil sich der Ulmer Gemeinderat
Seit Jahren nutzt die russisch orthodoxe Kirche die Kapelle.
noch nicht auf ein Beleuchtungskonzept verständigen konnte. Und ohne Beleuchtung, so befürchtet der Münsterbaumeister, werde der Platz am Abend zu einer öffentlichen Toilette. Wobei der Valentinskapelle eine weltliche Verwendung nicht fremd ist: 1809 wurde der Bau an einen Brauer verkauft, der dort Bierfässer lagerte. Längst ist das Geistliche jedoch wieder Herr im Haus: Seit Jahren nutzt die russischorthodoxe Kirche die Kapelle. Wann das Thema Beleuchtung am südlichen Münsterplatz auf der Tagesordnung im Gemeinderat stehen wird, war am Mittwoch von der Stadtverwaltung nicht zu erfahren. Seit Anfang der Woche erledigt ist die Sanierung der Bessererkapelle. Einer der bekanntesten Glasmalereibestände im süddeutschen Raum wurde für insgesamt 100000 Euro fachgerecht konserviert. Bekannt ist die Bessererkapelle nicht zuletzt durch eine der frühesten bildlichen Darstellungen einer Brille. Die 18 Millimeter große Sehhilfe von Petrus wird schon bald mit einem entstaubten Chorgestühl um die Wetter strahlen. Ins rechte Licht gerückt ist das Innere ohnehin: Seit einem Jahr illuminieren 1750 LEDs das Kirchenschiff.