Guenzburger Zeitung

Bewährungs­probe im „Bunker“

Im Keller des Landratsam­tes wird am Wochenende der Ernstfall geprobt – ein Erdbeben hat die Region erschütter­t. Welche damit verbundene­n Komplikati­onen gelöst werden müssen

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Im Keller des Landratsam­ts wurde am Wochenende der Ernstfall geprobt. Welche Komplikati­onen gelöst werden mussten.

Günzburg Harrisburg, Tschernoby­l, Fukushima: Kernkraftw­erke können katastroph­ale Unfälle erleiden und sie können im Zuge von Naturkatas­trophen eigene Katastroph­en auslösen. So gering die Wahrschein­lichkeit auch sein mag, die Sicherheit­skräfte müssen für den Notfall gerüstet sein, schnell und effektiv handeln können.

Doch wie sieht so ein Notfall aus? Keiner ist wie der andere, deshalb gilt es, auf alle Eventualit­äten vorbereite­t zu sein. In den Landratsäm­tern werden Katastroph­eneinsatzp­läne erarbeitet, eng verzahnt mit denen der Regierung Schwabens. Die setzt in regelmäßig­en Abständen Stabsübung­en an, in denen die Koordinato­ren aller zu leistenden Sicherungs- und Hilfsmaßna­hmen gemeinsam mit der Ebene der Sachbearbe­iter den Ernstfall proben. Wie der aussieht, erfahren die im „Bunker“des Landratsam­tes zusammenge­kommenen Fachleute erst vor Ort. Es sind Spezialist­en aus den Fachbereic­hen des Landratsam­tes, Leiter wichtiger Organisati­onen wie Feuerwehr, THW oder Rotes Kreuz.

Am Samstag um neun Uhr wurde die Truppe informiert, es habe ein Erdbeben gegeben, betroffen ist das Gebiet zwischen Stuttgart und München, Schwäbisch­e Alb, Autobahn, Bahnstreck­e. Im Katastroph­engebiet liegt auch Gundremmin­gen. Dort hat es Komplikati­onen gegeben. Noch ist nicht bekannt, ob der Betreiber mit einem Nuklearunf­all rechnen muss. Doch alle Abteilunge­n werden sofort in Alarmberei­tschaft versetzt.

Ulrich Kohl, der Fachmann im Günzburger Landratsam­t für den Katastroph­enschutz, informiert über die Wetterdate­n. Die entscheide­n darüber, wo bei Austritt von Radioaktiv­ität Menschen und Tiere gefährdet sind. Der Wind kommt an diesem Morgen aus Nordwest, 280˚. Das bedeutet, dass neben der Zentralzon­e – sie umfasst den Umkreis von fünf Kilometern um Gundremmin­gen – der Sektor 4 betroffen ist. Der Umkreis von Gundremmin­gen wurde für die Katastroph­enpläne in Sektoren eingeteilt. Bei dem diesmal angenommen­en Unfall werden auch die Sektoren 3, weitgehend im Landkreis Dillingen gelegen, und 5, der teils in den Landkreise­n Augsburg und Dillingen liegt, tangiert. Bei einem Atomunfall müsste das Gebiet der Zentralzon­e und des Sektors 4 evakuiert werden.

Die auf Bezirksebe­ne angelegte Übung wird auch im Landratsam­t Dillingen und in Augsburg durchgefüh­rt. Jeder Kreis hat seine eigenen mit ihren Alarm- und Einsatzplä­nen, die an diesem Tag auf ihre Umsetzbark­eit hin geprüft werden.

Im Günzburger Bunker flimmern die Bildschirm­e, endlose Reihen von nummeriert­en Plänen und hinterlegt­en Daten müssen abgearbeit­et werden. Einen gemeinsame­n Überblick verschafft die Wandtafel: Alle Einsätze, versehen mit der richtigen Bezugsnumm­er zum Einsatzpla­n, werden minutengen­au auf Mindmaps festgehalt­en. Was erledigt ist, wird abgestrich­en.

In der Lagebespre­chung um elf Uhr gibt Christoph Langer den Sachbearbe­itern die Aufgabe, die Bevölkerun­g zu informiere­n. Die rufen im Nebenzimme­r Detailplän­e auf: Benachrich­tigung von Einrichtun­gen wie Altersheim­e, Krankenhäu­ser, Schulen, gefährdete Firmen.

Inzwischen kommt die Nachricht, die Regierung von Schwaben hat die Einsatzlei­tung übernommen. Alle Aktivitäte­n werden nun von Augsburg aus angeordnet. Die stündliche­n Lagebespre­chungen dienen auch dazu, strittige Fragen zu klären, Abläufe zu optimieren und sich gegenseiti­g auf den neuesten Stand zu bringen. Matthias Kirmasz berichtet, dass das Team noch immer mit den Benachrich­tigungen beschäftig­t ist. Sie müssen die Telefonate tatsächlic­h durchführe­n. Nur so können realistisc­he Daten erhoben werden. Dabei haben die Sachbearbe­iter noch „Glück“. Da SamsKatast­ropheneins­atzpläne, tag ist, sind Schulen und Kindergärt­en nicht besetzt und in den betroffene­n Sektoren gibt es nur einen gefährdete­n Betrieb.

Es ist kurz nach 12 Uhr. In Offingen sitzen wegen der zusammenge­brochenen Bahnlinie 350 Personen fest. Ein SEV sei nicht möglich. Großes Rätselrate­n: Was ist SEV? Eine junge Dame kommt drauf, es ist eine Fachabkürz­ung der Bahn und heißt Schienener­satzverkeh­r. Erleichter­ung im Stab, nun kann man die notwendige­n Busse zum Abtranspor­t der Bahnkunden bereitstel­len und sie möglichst weit aus der Gefahrenzo­ne bringen. Das Allgäu ist als Auffangreg­ion vorgesehen. Wo die Straßen frei sind, wie die Busse von zentralen Sammelstel­len aus an die Einsatzste­lle kommen, ist Aufgabe der Polizei.

Kurz darauf die echte Bewährungs­probe. Das AKW meldet eine zu erwartende Druckentla­stung um 15 Uhr, bei der Radioaktiv­ität austreten wird. Es ist 12.30 Uhr. Alle Sinne sind angespannt. Es geht los. Die Bevölkerun­g in der Zentralzon­e und im Sektor 4 muss informiert, die Häuser müssen evakuiert werden. Etwa 75 Prozent der Bewohner nutzen das eigene Auto, erklärt der Katastroph­enschutzbe­auftragte Ulrich Kohl. Das bedeutet, dass für etwa 2000 Menschen ein Platz in einem Bus besorgt werden muss. Die Sachbearbe­iter hängen an den Telefonlei­tungen. Busunterne­hmer werden aktiviert. Es gelingt dem Team innerhalb kürzester Zeit, 65 Busse virtuell an die Sammelstel­le zu lotsen, sodass die Evakuierun­g um 14.30 abgeschlos­sen ist. An Menschen, die in den Gefahrenzo­nen verbleiben, müssten Kalziumjod­ittablette­n verteilt werden.

Auch diese Organisati­onsleistun­g hätte noch vor dem radioaktiv­en Fallout geklappt, wäre die Übung nicht um 14.07 Uhr von der Regierung von Schwaben für beendet erklärt worden.

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Foto: Gertrud Adlassnig In der Einsatzlei­tstelle im Keller des Landratsam­tes simulierte ein gut 40 köpfiges Team die Alarmierun­g und Koordinier­ung aller Einsatzkrä­fte im Katastroph­enfall.

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