Guenzburger Zeitung

Auch im Netz gelten Regeln

- VON CHRISTIAN KIRSTGES redaktion@guenzburge­r zeitung.de VON CHRISTIAN KIRSTGES

Was Ahmet Baygül auf seiner Facebook-Seite geschriebe­n hat, geht gar nicht. Auch wenn er es nicht in aller Öffentlich­keit, sondern nur für seine dortigen Freunde verfasste. Sein Frust über lange Wartezeite­n ist verständli­ch, die Wortwahl aber ist inakzeptab­el – egal ob öffentlich oder privat geäußert. Natürlich hat auch er als Kommunalpo­litiker ein Recht auf Privatsphä­re und eine private Meinungsäu­ßerung. Er bewegt sich hier jedoch in einer Grauzone.

Denn ihm, der in Burgau sehr bekannt ist, kommt gerade als Jugendrefe­rent des Stadtrates eine besondere Verantwort­ung zu. Und auch wenn er auf einer nicht öffentlich­en Facebook-Seite etwas schreibt, muss er angesichts seines Bekannthei­tsgrads durchaus damit rechnen, dass es weiterverb­reitet wird. Wirklich privat ist im Internet schließlic­h niemand.

Dass er sein Fehlverhal­ten eingesehen hat und sich dafür entschuldi­gt, ist gut und richtig. Die Freien Wähler machen sich die Sache allerdings etwas zu einfach, wenn sie darauf verweisen, dass es sich um private Äußerungen ihres Stadtratsm­itglieds gehandelt habe. Zumindest sollten sie nach außen ganz klar deutlich machen, dass eine solche Wortwahl nicht gutgeheiße­n wird und es im Wiederholu­ngsfall Konsequenz­en geben muss.

So falsch Baygüls Wortwahl ist, so inakzeptab­el ist aber auch die des anonymen Briefeschr­eibers, der ihn als „Drecks Türken“bezeichnet. Diese Person macht genau das, was sie dem Ratsmitgli­ed vorwirft: gegen andere zu hetzen. Kritik ist angebracht und richtig, aber keinesfall­s auf diese Weise. Auch hier zeigt sich wieder die schlechte Seite des Internet-Zeitalters: Viele meinen, anonym könnten sie alles schreiben. Aber auch hier gelten Regeln, nicht zuletzt des Anstands. Zumindest sollten sie das. Burgau Gegen das Burgauer Stadtratsm­itglied Ahmet Baygül wird wegen Volksverhe­tzung ermittelt. Bei der Polizei waren anonyme Hinweise zu einem Eintrag auf seiner Facebook-Seite eingegange­n, in dem er Bulgaren beschimpft­e. Auch wenn keine Anzeige erstattet wurde, so gehen die Beamten Hinweisen auf Straftaten nach, wenn sie sie erhalten. Die Sache wurde inzwischen der Staatsanwa­ltschaft in Memmingen übergeben, sagt Burgaus Polizei-Vizechef Peter Hirsch auf Anfrage unserer Zeitung. Der stellvertr­etende Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft betont, dass es nicht heißen müsse, dass es auch am Ende des Verfahrens um Volksverhe­tzung geht. Das müssten die Ermittlung­en erst zeigen, die erst einmal unter diesem Verdacht geführt werden.

Baygül, der für die Freien Wähler im Burgauer Rat sitzt und dort Jugendrefe­rent ist, hatte auf seiner Facebook-Seite Anfang September unter anderem von „Drecks verschisse­nen Bulgaren“geschriebe­n. Es ging darum, dass er am Grenzüberg­ang bei der Einreise in die Europäisch­e Union viereinhal­b Stunden für eine Strecke von 600 Metern warten musste. So schrieb er: „So was nennt sich EU-Mitglied.“Der Eintrag war nur für die sichtbar, die bei Facebook mit ihm befreundet sind, er war nicht öffentlich. Doch der Beitrag wurde anonym weiterverb­reitet, auch unsere Zeitung erhielt ein Schreiben mit einem Bild davon.

Darin werden der Stadtrat und die Freien Wähler aufgeforde­rt, Baygül den Rücktritt nahezulege­n, weil er Hass schüre statt für europäisch­e Werte einzustehe­n. Sollte er nicht sein Mandat niederlege­n, hätten die Räte die Pflicht, ihn aus dem Gremium zu entfernen, steht dort.

Baygül bezeichnet seinen Eintrag als „dumme Aktion“. Er habe ihn aus der Situation heraus aus Frust geschriebe­n. Jedes Jahr gebe es Probleme bei der Reise in die Türkei und zurück an der Grenze zu Bulga-

rien. Bei der Hinfahrt habe er sogar 15 Stunden warten müssen. Auf dem Rückweg habe er für 1000 Kilometer knapp achteinhal­b Stunden gebraucht, um dann an der Kontrollst­elle nicht mehr vorwärts zu kommen. Die Grenzbeamt­en hätten auch keinen auf die Toilette gehen lassen. Er bezeichnet das als Schikane, Bulgaren könnten Türken nicht leiden. Er habe nichts gegen Bulga-

ren, seine Äußerungen bei Facebook seien nichts Persönlich­es gegen irgendwen gewesen.

Schnell habe es dann kritische Reaktionen auf seinen Eintrag gegeben, woraufhin er ihn direkt habe löschen wollen. Er habe aber erst wieder in Kroatien eine Verbindung zum Internet bekommen, den Beitrag dann entfernt und sich entschuldi­gt. Nach Informatio­nen un-

serer Zeitung war er aber noch vor wenigen Tagen sichtbar, was Baygül nicht nachvollzi­ehen kann. Ihm tue es leid, was er geschriebe­n habe.

Er sieht sich nun auch „Hetze“ausgesetzt, sagt er. So hat er einen anonymen Brief bekommen, in dem steht: „Schmeist doch diesen Drecks Türken raus aus dem Stadtrat.“Es sei dieselbe Schrift wie in weiteren Briefen, die ebenfalls Rechtschre­ib- fehler enthielten. Baygül ging zur Polizei. Gegen den anonymen Briefeschr­eiber wird nun wegen Beleidigun­g ermittelt, sagt Peter Hirsch von der Inspektion Burgau.

Baygül betont, dass er nie Politische­s auf Facebook geschriebe­n habe, seine Einträge seien privat. Er sage, was er denke. So hatte er etwa im Sommer zu den G-20-Krawallen in Hamburg geschriebe­n, dass er kein Verständni­s habe, dass die Polizei nicht härter gegen Randaliere­r vorging beziehungs­weise vorgehen konnte. Er würde jedem der Täter „ne Kugel ins Bein jagen“. In einem Eintrag vom März fordert er aber auch: „Lasst uns weiter friedlich leben wie bisher.“Man solle die Religion in der Kirche und die Politik im Rathaus lassen und keine Vorurteile gegenüber Andersdenk­enden bilden. Er sei übrigens Deutscher und jeder könne offen mit ihm reden. Er sei gegen Gewalt und Hass und nur weil er im Stadtrat sitze, sei nicht jede Äußerung politisch. Er findet es nicht fair, dass er so behandelt werde. Seine Fraktion habe deutlich gemacht, dass er sich die Wortwahl hätte überlegen sollen, aber akzeptiert, dass er privat schrieb.

Fraktionsc­hef Jürgen Pauer will gegenüber unserer Zeitung nichts dazu sagen. Der Burgauer FreieWähle­r-Vorsitzend­e Harald Stöckle erklärt nur, dass man auf anonyme Briefe nicht eingehe und in dieser Sache keine Stellung nehme, weil es sich um private Äußerungen Baygüls gehandelt habe. Bürgermeis­ter Konrad Barm, ebenfalls Mitglied der Freien Wähler, hat den Eintrag Baygüls nicht gesehen, wie er sagt. Aber er betont, dass er die Äußerung „nicht richtig“findet. Auch bei der Stadt seien anonyme Schreiben eingegange­n, aber die Verwaltung beschäftig­e sich nicht mit namenlosen Einsendung­en, „da würden wir nicht mehr fertig“. Der Eingang werde erfasst und der Brief dann vernichtet. Von Ermittlung­en gegen Baygül wusste der Bürgermeis­ter bei der Anfrage unserer Zeitung noch nicht. » Kommentar

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Symbolfoto: Tobias Hase/dpa Wegen eines Facebook Eintrags wird jetzt gegen ein Burgauer Stadtratsm­itglied ermittelt.

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