Auch im Netz gelten Regeln
Was Ahmet Baygül auf seiner Facebook-Seite geschrieben hat, geht gar nicht. Auch wenn er es nicht in aller Öffentlichkeit, sondern nur für seine dortigen Freunde verfasste. Sein Frust über lange Wartezeiten ist verständlich, die Wortwahl aber ist inakzeptabel – egal ob öffentlich oder privat geäußert. Natürlich hat auch er als Kommunalpolitiker ein Recht auf Privatsphäre und eine private Meinungsäußerung. Er bewegt sich hier jedoch in einer Grauzone.
Denn ihm, der in Burgau sehr bekannt ist, kommt gerade als Jugendreferent des Stadtrates eine besondere Verantwortung zu. Und auch wenn er auf einer nicht öffentlichen Facebook-Seite etwas schreibt, muss er angesichts seines Bekanntheitsgrads durchaus damit rechnen, dass es weiterverbreitet wird. Wirklich privat ist im Internet schließlich niemand.
Dass er sein Fehlverhalten eingesehen hat und sich dafür entschuldigt, ist gut und richtig. Die Freien Wähler machen sich die Sache allerdings etwas zu einfach, wenn sie darauf verweisen, dass es sich um private Äußerungen ihres Stadtratsmitglieds gehandelt habe. Zumindest sollten sie nach außen ganz klar deutlich machen, dass eine solche Wortwahl nicht gutgeheißen wird und es im Wiederholungsfall Konsequenzen geben muss.
So falsch Baygüls Wortwahl ist, so inakzeptabel ist aber auch die des anonymen Briefeschreibers, der ihn als „Drecks Türken“bezeichnet. Diese Person macht genau das, was sie dem Ratsmitglied vorwirft: gegen andere zu hetzen. Kritik ist angebracht und richtig, aber keinesfalls auf diese Weise. Auch hier zeigt sich wieder die schlechte Seite des Internet-Zeitalters: Viele meinen, anonym könnten sie alles schreiben. Aber auch hier gelten Regeln, nicht zuletzt des Anstands. Zumindest sollten sie das. Burgau Gegen das Burgauer Stadtratsmitglied Ahmet Baygül wird wegen Volksverhetzung ermittelt. Bei der Polizei waren anonyme Hinweise zu einem Eintrag auf seiner Facebook-Seite eingegangen, in dem er Bulgaren beschimpfte. Auch wenn keine Anzeige erstattet wurde, so gehen die Beamten Hinweisen auf Straftaten nach, wenn sie sie erhalten. Die Sache wurde inzwischen der Staatsanwaltschaft in Memmingen übergeben, sagt Burgaus Polizei-Vizechef Peter Hirsch auf Anfrage unserer Zeitung. Der stellvertretende Pressesprecher der Staatsanwaltschaft betont, dass es nicht heißen müsse, dass es auch am Ende des Verfahrens um Volksverhetzung geht. Das müssten die Ermittlungen erst zeigen, die erst einmal unter diesem Verdacht geführt werden.
Baygül, der für die Freien Wähler im Burgauer Rat sitzt und dort Jugendreferent ist, hatte auf seiner Facebook-Seite Anfang September unter anderem von „Drecks verschissenen Bulgaren“geschrieben. Es ging darum, dass er am Grenzübergang bei der Einreise in die Europäische Union viereinhalb Stunden für eine Strecke von 600 Metern warten musste. So schrieb er: „So was nennt sich EU-Mitglied.“Der Eintrag war nur für die sichtbar, die bei Facebook mit ihm befreundet sind, er war nicht öffentlich. Doch der Beitrag wurde anonym weiterverbreitet, auch unsere Zeitung erhielt ein Schreiben mit einem Bild davon.
Darin werden der Stadtrat und die Freien Wähler aufgefordert, Baygül den Rücktritt nahezulegen, weil er Hass schüre statt für europäische Werte einzustehen. Sollte er nicht sein Mandat niederlegen, hätten die Räte die Pflicht, ihn aus dem Gremium zu entfernen, steht dort.
Baygül bezeichnet seinen Eintrag als „dumme Aktion“. Er habe ihn aus der Situation heraus aus Frust geschrieben. Jedes Jahr gebe es Probleme bei der Reise in die Türkei und zurück an der Grenze zu Bulga-
rien. Bei der Hinfahrt habe er sogar 15 Stunden warten müssen. Auf dem Rückweg habe er für 1000 Kilometer knapp achteinhalb Stunden gebraucht, um dann an der Kontrollstelle nicht mehr vorwärts zu kommen. Die Grenzbeamten hätten auch keinen auf die Toilette gehen lassen. Er bezeichnet das als Schikane, Bulgaren könnten Türken nicht leiden. Er habe nichts gegen Bulga-
ren, seine Äußerungen bei Facebook seien nichts Persönliches gegen irgendwen gewesen.
Schnell habe es dann kritische Reaktionen auf seinen Eintrag gegeben, woraufhin er ihn direkt habe löschen wollen. Er habe aber erst wieder in Kroatien eine Verbindung zum Internet bekommen, den Beitrag dann entfernt und sich entschuldigt. Nach Informationen un-
serer Zeitung war er aber noch vor wenigen Tagen sichtbar, was Baygül nicht nachvollziehen kann. Ihm tue es leid, was er geschrieben habe.
Er sieht sich nun auch „Hetze“ausgesetzt, sagt er. So hat er einen anonymen Brief bekommen, in dem steht: „Schmeist doch diesen Drecks Türken raus aus dem Stadtrat.“Es sei dieselbe Schrift wie in weiteren Briefen, die ebenfalls Rechtschreib- fehler enthielten. Baygül ging zur Polizei. Gegen den anonymen Briefeschreiber wird nun wegen Beleidigung ermittelt, sagt Peter Hirsch von der Inspektion Burgau.
Baygül betont, dass er nie Politisches auf Facebook geschrieben habe, seine Einträge seien privat. Er sage, was er denke. So hatte er etwa im Sommer zu den G-20-Krawallen in Hamburg geschrieben, dass er kein Verständnis habe, dass die Polizei nicht härter gegen Randalierer vorging beziehungsweise vorgehen konnte. Er würde jedem der Täter „ne Kugel ins Bein jagen“. In einem Eintrag vom März fordert er aber auch: „Lasst uns weiter friedlich leben wie bisher.“Man solle die Religion in der Kirche und die Politik im Rathaus lassen und keine Vorurteile gegenüber Andersdenkenden bilden. Er sei übrigens Deutscher und jeder könne offen mit ihm reden. Er sei gegen Gewalt und Hass und nur weil er im Stadtrat sitze, sei nicht jede Äußerung politisch. Er findet es nicht fair, dass er so behandelt werde. Seine Fraktion habe deutlich gemacht, dass er sich die Wortwahl hätte überlegen sollen, aber akzeptiert, dass er privat schrieb.
Fraktionschef Jürgen Pauer will gegenüber unserer Zeitung nichts dazu sagen. Der Burgauer FreieWähler-Vorsitzende Harald Stöckle erklärt nur, dass man auf anonyme Briefe nicht eingehe und in dieser Sache keine Stellung nehme, weil es sich um private Äußerungen Baygüls gehandelt habe. Bürgermeister Konrad Barm, ebenfalls Mitglied der Freien Wähler, hat den Eintrag Baygüls nicht gesehen, wie er sagt. Aber er betont, dass er die Äußerung „nicht richtig“findet. Auch bei der Stadt seien anonyme Schreiben eingegangen, aber die Verwaltung beschäftige sich nicht mit namenlosen Einsendungen, „da würden wir nicht mehr fertig“. Der Eingang werde erfasst und der Brief dann vernichtet. Von Ermittlungen gegen Baygül wusste der Bürgermeister bei der Anfrage unserer Zeitung noch nicht. » Kommentar