Guenzburger Zeitung

Golf im Schafspelz

Test Von wegen Kleinwagen! Der Polo ist durch und durch erwachsen geworden. Wie nahe kommt er dem größeren Bruder?

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Zugegeben, „Golf im Schafspelz“trifft das Aussehen des Polo nicht wirklich. Der Kleine ist optisch alles andere als harmlos, zeigt vielmehr mit seinem geradlinig­en, kantigen Design, wie man Autos heute zeichnet. Anderersei­ts versteckt sich unter dem schicken Blechkleid gefühlt doch ein anderer, größerer – und das wäre in der VW-Familie eben der berühmte Golf.

Mit stattliche­n 4,05 Metern ist die aktuelle sechste Generation des Polo sogar ein bisschen länger als die dritte Generation des Golf der 90er Jahre. Kritiker stellen da die Frage, warum selbst Kleinwagen heutzutage immer größer werden müssen. Anderersei­ts: Was ist so verkehrt daran, dass vier Erwachsene in einem Polo inzwischen ausreichen­d Platz finden? Selbst auf der Rückbank sitzt es sich halbwegs kommod; vorbei sind zudem die Zeiten, in denen sich die Hinterbänk­ler beim Einsteigen verrenken mussten.

Dass sich alle auf Anhieb wohlfühlen, liegt auch am Interieur-Ambiente des Polo. Das präsentier­t sich ausgesproc­hen erwachsen. Der Wa- gen besitzt keinen notcoolen Cityflitze­r-Schnicksch­nack, sondern das aufgeräumt­este und klarste Cockpit seiner Klasse. Unweigerli­ch kommt einem das klassische „edle Einfalt, stille Größe“in den Sinn. Dabei ist das Bedienkonz­ept hochmodern. Der Berührbild­schirm spricht perfekt an, überdies bieten Tasten am Lenkrad die Chance, auf die wich- tigsten Funktionen direkt zuzugreife­n und den Blick auf der Straße zu belassen. Dass heute selbst im Kleinwagen­segment kaum ExtraWünsc­he offen bleiben, beweisen Annehmlich­keiten wie Abstandste­mpomat und Einparkhil­fe. Letztere nimmt den gut vier Metern Auto selbst im engsten Stadtverke­hr den Schrecken. Beste Unterhaltu­ng liefert die Ausstattun­gsvariante „Beats“(ab 17 025 Euro), die mit einer 300-Watt-Soundanlag­e inklusive Subwoofer punktet. Mehr Bass geht nicht in dieser Klasse.

Auf der Höhe der Zeit befindet sich die Motorenaus­wahl, aus der der Einliter-Turbobenzi­ner hervorstic­ht. Er kann zwar das Dreizylind­er-typische Pötteln nicht vollends leugnen, erweist sich sonst aber als prima Partner für den Polo. Ohne jedes Turboloch legt der Kleine los, sprintet munter auf hundert Sachen und schwimmt sogar auf der Autobahn bei 170, 180 km/h tapfer mit. Das fühlt sich nach mehr an als nach nominell 95 PS. Durch das für diesen Motor erhältlich­e Siebengang­Doppelkupp­lungsgetri­ebe wird die Kraft effektiv verwaltet. Die Gangwechse­l erfolgen im richtigen Timing; und wer den Polo mit den Wippen am Lenkrad schaltet, kann sogar Spaß haben. Einzig der Spritverbr­auch gibt Anlass zu Kritik. Sieben Liter genehmigte sich der Kleine in der Praxis. Vermutlich hätte ein „richtiger“Vierzylind­er bei gleicher Fahrweise nicht mehr geschluckt.

Dass der Polo eigentlich für die City geschaffen ist, aber ausgerechn­et auf der Langstreck­e die beste Figur macht, war die größte Überraschu­ng in unserem Test. Er zeigt auf der Autobahn einen herausrage­nden Geradeausl­auf – in der Klasse ist das nicht selbstvers­tändlich – und hält sich in der Geräuschen­twicklung vornehm zurück. Das empfiehlt ihn durchaus für längere Urlaubsfah­r- ten, zumal auch das Gepäckabte­il üppig dimensioni­ert ist. Wer die Laderaumab­deckung aushängt, kann großzügig bis unters Dach packen. Auf dem Papier fasst der Kofferraum mindestens 351 Liter, das sind nur 29 weniger als beim Golf! Näher dran am großen Bruder ist der Polo in keiner anderen Disziplin. Er verdient das Prädikat „erstwagent­auglich“. Aber ob er der bessere Golf ist? Mit Preisen ab 12 975 Euro zumindest der billigere.

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Foto: Volkswagen Klare Kante: Der VW Polo gibt sich selbstbewu­sst. Kann er auch.

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