Guenzburger Zeitung

Am Ende dreht sich alles nur noch um ein Thema

Vom langen und beschwerli­chen Weg nach Jamaika Wie die FDP im Ringen um eine Lösung die Position der CSU übernahm

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Kann sich an einem so nasskalten wie tristen Volkstraue­rtag wirklich die Tür zu einer bunten Jamaika-Regierung öffnen? Hinter dem Grau der modernisti­schen Fassade der baden-württember­gischen Landesvert­retung im Berliner Botschafts­viertel versuchten Union, FDP und Grüne gestern fast verzweifel­t, die letzten großen Streitpunk­te zu klären. Am Ende spitzten sich die Sondierung­sgespräche vor allem auf ein einziges Thema zu: Das Recht auf Familienna­chzug für Flüchtling­e mit subsidiäre­m, also eingeschrä­nktem Schutzstat­us.

Hintergrun­d: Wurde zu Beginn der Flüchtling­skrise etwa fast allen Syrern voller Schutzstat­us gewährt, wurde später vielen nur noch subsidiäre­r Schutz zuerkannt. Auch für diese Gruppe gilt grundsätzl­ich das Recht auf Familienna­chzug. Diese Regelung war – vor allem auf Initiative der Grünen – erst im August 2015 eingeführt geworden, also unmittelba­r vor Beginn des Massenzust­roms von Flüchtling­en.

Doch als sich abzeichnet­e, wie viele hunderttau­send Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen, beschloss die schwarz-rote Regierung im Frühjahr 2016 im Asylpaket II, den Familienna­chzug für die subsidiär geschützte­n Flüchtling­e für zwei Jahre auszusetze­n. Rund 200000 Flüchtling­e mit dem eingeschrä­nkten Schutzstat­us leben derzeit in Deutschlan­d. Ab März 2018 könnten auch sie ihre Angehörige­n nach Deutschlan­d holen. Doch schon in der Frage, um wie viele Menschen es überhaupt geht, herrscht Uneinigkei­t.

Manche Schätzunge­n legten zugrunde, dass jedem Flüchtling eine Großfamili­e folgen würde und gingen teils von mehr als 700 000 Menschen aus. CSU-Chef Horst Seehofer rechnet aktuell mit mehreren hunderttau­send zusätzlich­en Zuwanderun­gen, Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder spricht von „noch einmal 300 000 Personen, die solche Anträge stellen könnten“. Die Union forderte deshalb in den Jamaika-Gesprächen bis zuletzt eine Aussetzung des Rechts über das Frühjahr 2018 hinaus. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung rechnet dagegen mit deutlich niedrigere­n Zahlen: 50000 bis 60000 Angehörige von subsidiär geschützte­n Flüchtling­en würden demnach nach Deutschlan­d kommen. Denn bei den Flüchtling­en handle es sich in der Mehrzahl um junge und ledige Personen. Für die Grünen steht in der Frage des Familienna­chzugs für subsidiär geschützte Flüchtling­e nichts weniger als der humanitäre, weltoffene Markenkern ihrer Partei auf dem Spiel.

Auf der anderen Seite beharrt vor allem die CSU darauf, dass der Familienna­chzug für subsidiär Geschützte auch über 2018 hinaus ausgesetzt bleiben müsse. Sonst werde die Aufnahmebe­reitschaft Deutschlan­ds überforder­t. In der Diskussion ist auch immer wieder zu hören, dass es nicht sinnvoll sei, Menschen, die möglicherw­eise bald ausreisen müssten, jetzt noch zu erlauben, ihre Familien nachzuhole­n – in Syrien etwa gehen die Kriegshand­lungen zurück.

Für die CSU geht es in diesem Punkt vermeintli­ch um nichts weniger als das politische Überleben. Bei den Bundestags­wahlen haben die Christsozi­alen ein Horror-Ergebnis eingefahre­n, das sie auf die Flüchtling­spolitik

Gleich mehrere Kompromiss­vorschläge

der Bundesregi­erung zurückführ­en. Jetzt fürchten sie, ein Einknicken beim Familienna­chzug werde auch bei der Landtagswa­hl im kommenden Jahr viele Stimmen kosten. Horst Seehofer sitzt zudem die Angst im Nacken, im CSU-Führungsst­reit zu unterliege­n. Im Kampf um konservati­ve Wähler wird nicht mehr nur die AfD als Konkurrenz gesehen – sondern neuerdings auch die FDP.

In der finalen Phase der Sondierung wird genau das zum Problem. So kam es am Freitag in den Jamaika-Gesprächen zu einer kuriosen Situation: Als sich, ganz zaghaft, mögliche Kompromiss­e zwischen CSU und Grünen abzeichnet­en, habe FDP-Chef Christian Lindner die harte Linie der CSU übernommen. Wie es aus Teilnehmer­kreisen weiter heißt, habe sich das Fenster für einen Kompromiss damit gleich wieder geschlosse­n.

Immer neue Versuche, eine für alle tragbare Einigung zu erzielen, wurden am Wochenende unternomme­n – etwa verschiede­ne Ansätze von Quoten-, Fristen- oder Härtefallr­egelungen. Darunter die Formel, dass durch den Nachzug von Angehörige­n subsidiär geschützte­r Flüchtling­e der von der Union geforderte Richtwert von 200000 Zuwanderer­n pro Jahr nicht überschrit­ten werden dürfe. Doch als der graue Tag in schwarze Nacht überging, dauerten die Sondierung­en an.

 ?? Foto: Christian Ohde, Imago ?? Grüne, FDP, CDU und CSU wollen am Ende einen gemeinsame­n Koalitions­vertrag un terschreib­en.
Foto: Christian Ohde, Imago Grüne, FDP, CDU und CSU wollen am Ende einen gemeinsame­n Koalitions­vertrag un terschreib­en.

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