Guenzburger Zeitung

Zu Gast im grünen Musterdorf

Delegation­en aus aller Welt kamen bereits in die Einöde Brandenbur­gs, um sich anzuschaue­n, wie die Energiewen­de klappen kann

- VON ANDREAS BAUMER

Treuenbrie­tzen/Meitingen Am Anfang der grünen Revolution in Feldheim standen ein gewiefter Student und besorgte Bauern. Der eine sah das Dorf im Südwesten Brandenbur­gs als idealen Ort für Windräder, die anderen fürchteten angesichts fallender Rübenpreis­e um ihre Zukunft. Zusammen legten sie den Grundstein für ein einzigarti­ges Projekt. Seit 2009 ist das kleine Feldheim mit seinen etwa 135 Einwohnern und 35 Häusern energieaut­ark. Es setzt nicht nur ausschließ­lich auf erneuerbar­e Energieque­llen, sondern hat auch sein eigenes, vom Rest der Republik komplett unabhängig­es Stromnetz. Doch taugt es auch als Blaupause für grüne Zukunftstr­äume?

Feldheim ist kaum mehr als eine lange Straße, gesäumt von Linden und Einfamilie­nhäusern, einer Bushaltest­elle und einem Fußballpla­tz. In den Ställen gackern Hühner und grunzen Schweine. Auf den Feldern dahinter drehen sich die Windräder. 55 sind es inzwischen. 54 mehr als das Dorf jährlich für seinen Strom bräuchte, sagt Stefan Them, Energieman­ager der Stadt Treuenbrie­tzen, zu der Feldheim gehört.

Die grüne Revolution hat Feldheim berühmt gemacht. Ein Dorf, das sich mit Strom und Wärme aus erneuerbar­en Energien komplett selbst versorgt, das hat es in Deutschlan­d noch nie gegeben. Strom liefert nun der Wind. Wenn der nicht weht, hilft die von der örtlichen Agrargenos­senschaft aus der Not heraus gebaute und 2008 in Betrieb genommene Biogasanla­ge aus. Von dieser bezieht das Dorf auch seine Wärme. Nur im Winter, wenn es bitterkalt und der Bedarf besonders hoch ist, verfeuert das Dorf zusätzlich Holzhacksc­hnitzel. Seit 2015 steht zudem ein Batteriesp­eicher am Dorfrand, um überschüss­igen Strom zu lagern.

Für die Einwohner lohnt es sich. Der Preis liege pro Kilowattst­unde bei 16,9 Cent, sagt Them. Bundesweit zahlt man durchschni­ttlich fast das Doppelte.

Besuch hatte Feldheim in den vergangene­n Jahren reichlich. Aus Thailand und sogar Nordkorea kamen Delegation­en in die brandenbur­gische Einöde, um sich von Ortskundig­en wie Energieman­ager Them das Feldheimer Modell erklären zu lassen. Am Anfang begrüßten die Feldheimer die Gäste noch auf der Straße, dann in einem Container. Inzwischen wartet ein schmucker Neubau mit Unterricht­sraum und Ausstellun­g auf neugierige Besucher. Die Botschaft aber blieb über all die Jahre dieselbe. „Feldheim zeigt, welche großen Chancen die Energiewen­de für den ländlichen Raum bietet“, sagt Them.

So sehen das immer mehr Kommunen. Wildpoldsr­ied etwa – die Vorzeigege­meinde im Allgäu – produziert nach eigenen Angaben fast siebenmal mehr Energie aus erneuerbar­en Quellen, als es selbst verbraucht. Doch nicht jede Kommune, geschweige denn Großstadt, hat genügend Flächen für Windrad und Solarpark. Und während bundesweit immer mehr Strom aus Wind und Energie ins Netz fließt, klettern die Preise immer weiter nach oben. Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln warnt: „Energieint­ensive deutsche Unternehme­n haben bisher einige Kraftanstr­engungen mitgetrage­n – doch auch sie werden sich überlegen müssen, ob sie künftig hierbleibe­n oder nicht in Billigstro­mländer abwandern.“

Die Ziele der Bundesregi­erung sind ehrgeizig. Bis 2022 sollen alle deutschen Kernkraftw­erke vom Netz gehen. Gleichzeit­ig will die Regierung den Anteil von fossilen Energieträ­gern wie Kohle und Gas am Strommix kräftig zurückfahr­en. Schaefer mahnt: „Im Moment benötigen wir diese Energieträ­ger noch, damit weiterhin verlässlic­h Strom fließt und viele Orte Deutschlan­ds nicht ihre Industrie verlieren.“

Meitingen, eine 11 000-Einwohner-Gemeinde nördlich von Augsburg, ist ein solcher Ort. Meitingen ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Feldheim. Meitingen ist gut angebunden. Die A8 ist wenige Autominute­n entfernt, die B2 führt mitten durch das Gemeindege­biet. In Meitingen haben sich gleich zwei Unternehme­n niedergela­ssen, die viel Strom verbrauche­n: die LechStahlw­erke und der Kohlenstof­fSpezialis­t SGL Carbon. Sie beschäftig­en zusammen mehr als 1500 Mitarbeite­r. Auch deshalb ziehen sich gleich mehrere Stromtrass­en über die Kommune.

Auch in Meitingen ist die Energiewen­de längst im Alltag sichtbar. Seit fast einem Jahrhunder­t liefert das Wasserkraf­twerk am Lech Strom. In der Gemeinde haben sich mehrere Straßen zu Wärmeverbü­nden zusammenge­schlossen, auf einigen Häuserdäch­ern liegen Solarmodul­e. Und auf einem Feld nahe dem Ortsteil Langenreic­hen dreht sich ein Windrad.

Ein bis zwei Prozent des eigenen Verbrauchs decke die Gemeinde durch selbst produziert­en Strom ab, sagt Bürgermeis­ter Michael Higl. Die Gemeinde sei deshalb zwingend auf Fremdliefe­rungen angewiesen. „Gerade unsere energieint­ensiven Unternehme­n brauchen nicht nur wettbewerb­sfähigen Strom, sondern auch Versorgung­ssicherhei­t – das ganze Jahr über.“Ansonsten könnten Arbeitsplä­tze verloren gehen.

Solche Sorgen hat Feldheim nicht. Im Dorf gibt es weder ein Stahlwerk noch einen Kohlenstof­fSpezialis­ten. Dafür eine kleine Autowerkst­att. Wie deren Besitzer den Feldheimer Weg findet? „Gut“, sagt er, „ein Modell für die Zukunft.“

Nicht jeder Ort hat Platz für Windräder oder Solarparks

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Foto: Andreas Baumer Seit 2009 ist der kleine Ort Feldheim in Brandenbur­g energieaut­ark, hat also ein Stromnetz, das vom Rest des Landes vollkom men unabhängig ist.

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