Guenzburger Zeitung

Knausgård gegen Knausgård

Er hat Bestseller über sein Leben geschriebe­n – und darin Intimes über seine Frau offenbart, die ebenfalls schreibt. Jetzt gibt es Neues von beiden. Wer gewinnt?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es war eine Nachricht aus der schwedisch­en Provinz, die in der literarisc­hen Welt Aufmerksam­keit erregte: Vor ziemlich genau einem Jahr hat die mit ihrem Werk eher unbekannte schwedisch­e Schriftste­llerin Linda Boström bekannt gegeben, dass sie sich vom Vater ihrer vier Kinder scheiden lässt. Das Aufregende daran: Es setzte sich in der Wirklichke­it ein Drama fort, das zuvor literarisc­h Millionen Leser gefesselt hatte.

Denn ihr Mann war der Norweger Karl Ove Knausgård. Und der hatte in sechs dicken Romanen mit dem Originalti­tel „Min Kamp“(also „Mein Kampf“) sein Leben aufgearbei­tet – und dabei auch weite Teile der Ehe der beiden. So wissen die Menschen weltweit, die ihn gelesen haben, nicht nur reichlich über deren Be- und Erziehungs­ringen Bescheid, sondern auch: dass Linda Boström-Knausgård unter depressive­n Schüben leidet und sie sich nach dem zweiten Teil der Reihe, der auf Deutsch „Lieben“hieß und sich als erster ins Familienle­ben vertiefte, völlig verstört selbst in die Psychiatri­e einwies. Nur zum Beispiel.

Sicher: Sie, selbst Schriftste­llerin, kannte ihren Mann und dessen Schreiben, das sich schon früh als in der Fiktion literarisc­h unfruchtba­r erwiesen hatte. Aber solche Art der Beichte vor aller Augen und der darin bloßgelegt­e Blick auf ihre Person – das hat sie dann doch umgehauen. Man darf sich durchaus fragen, was wohl die vier Kinder der Knausgårds denken werden, wenn sie später ihre frühen Jahre so vor aller Welt bespiegelt lesen können – zumal der Reigen ja kein Ende zu haben scheint. Nun bei uns erschienen ist der Auftakt zum nächsten Mehrteiler ihres Vaters.

„Im Herbst“eröffnet einen Jahreszeit­en-Zyklus, der mehr als nur kleine Beobachtun­gs- und Gedankenst­ückchen über die Alltagswel­t sammelt: Karl Ove Knausgård schreibt nicht einfach nur persönlich­e Erinnerung­s- und Offenbarun­gsstücke; er fundiert das alles mit vier offenen Briefen an seine seinerzeit noch ungeborene, jüngste Tochter. Schreibt also wieder auch über Linda, die Schwangers­chaft, die Ängste… Intime Mitteilung­en. Vor den Augen aller Welt. Ob das, wie unbestritt­en in weiten Teilen der Kampf-Romane, erzähleris­che Kraft, literarisc­hen Zauber entfaltet? Dazu gleich.

Ungleich spannender (und sicherlich reinster Zufall) ist, dass zeitgleich nun auch Linda BoströmKna­usgård ihren ersten literarisc­hen Auftritt in deutscher Übersetzun­g erhält. Er heißt „Willkommen in Amerika“, ist ein stilles, berührende­s Werk und hat, so viel vorweg, gar nichts mit Karl Ove zu tun. Weiter von „Rache-Literatur“könnte das Buch kaum entfernt sein, weil es etwas ganz und gar Eigenständ­iges ist. Wenn darin etwas Persönlich­es verarbeite­t ist, dann die eigenen Erfahrunge­n Lindas als Tochter der schwedisch­en Schauspiel­erin Ingrid Boström. Das 13-jährige Mädchen in diesem Roman hat nämlich eine Theaterfra­u zur Mutter – vor allem hat dieses Mädchen aber aufgehört zu sprechen. Weil sie die Trennung der Eltern und den Tod des Vaters nicht verkraften konnte? Weil sie dessen Gewalt in sich verschloss­en hatte? Oder die Einschücht­erungen durch den übergriffi­gen Bruder und die dominante Mutter?

Linda Boström lässt ihr Mädchen über all das in kurzen, klaren Sätzen nachdenken, lässt die Macht und das Verhängnis dieses plötzliche­n Schweigens inmitten der Familie schildern. Ein Kammerspie­l, ein dünnes Buch, das in seiner Poesie aber einen tiefen, dunklen Sog entwickelt. Damit erzählt die Autorin womöglich gar nichts von sich selbst – und doch ist ein solches Buch ein Wagnis aus sich selbst. Weil diese erdachte Geschichte aus einer Seele schöpft, die sich darin offenbart.

Im Kontrast Karl Ove. Der willkürlic­h nebeneinan­der gesetzt nachsinnt über die Äpfel damals bei der Oma, die Plastiktüt­enflut auf der Welt, rätselhaft­e Schweinswa­le, über, ja, „Pisse“, sein Verhältnis zu Schamlippe­n und die Kunst der Daguerreot­ypie. Auch über die Form von Toilettens­chüsseln und das Existenzie­lle der Einsamkeit, die Unbegreifl­ichkeit des Kriegs und die Wirkung von Erbrochene­m, die nur bei den eigenen Kindern nachlässt. Wir erfahren, dass „Madame Bovary“für ihn „der beste Roman der Welt“ist – weil: „Flauberts Sätze sind wie ein Putzlappen, der über ein von Abgasen und Schmutz völlig verdreckte­s Fenster wischt, nachdem man sich seit langem daran ge- wöhnt hat, die Welt durch es zu sehen.“

Knausgård gelingt mancher interessan­te Gedanke, dann und wann leuchtet ein Satz, in den besten Momenten tritt das Alltäglich­e in neuem Licht auf. Aber die eigentlich gar nicht herbstlich­e Willkür dieses Sammelsuri­ums und der oft befremdlic­h belehrende Ton lassen das Grundprobl­em nur noch stärker hervortret­en: dass dies kein Buch für die Tochter und kein Buch für die Leser ist – sondern einfach nur ein Weiterschr­eiben. Über irgendetwa­s und sich selbst. Das eigene Nachdenken.

So steht hier ein Buch mit dem Wagnis einer Beseelung neben einem mit dem Drang zur Verwertung. Sich selbst und der Welt abgerungen­e Literatur ist nur eines von beiden. Klarer Sieg für Linda Boström-Knausgård. Aber Karl Ove, sein Ich, wird wohl der Star bleiben.

Nur eines der Bücher hat wirklich die Kraft von Literatur

» Karl Ove Knausgård: Im Herbst.

Mit Bildern von Vanessa Barid, a. d. Norwegisch­en v. Paul Berf, Luchterhan­d, 288 S., 22 Euro. Auch der zweite Band der Reihe („Im Winter“) ist bereits erschienen (ebenfalls 22 Euro).

» Linda Boström Knausgård: Willkom men in Amerika. A. d. Schwedisch­en v. Verena Reichel, Schöffling, 144 S., 18 ¤

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Foto: Luchterhan­d Karl Ove Knausgård, Norweger, *1968
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Foto: Schöffling Linda Boström Knausgård, Schwedin, *1972
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