Guenzburger Zeitung

Herz, Kunstherz, Spenderher­z

Stefan Gumpinger trägt ein Kreuz mit drei Ringen, die für besondere Tage in seinem Leben stehen. Er berichtet bei der Herzwoche in der Krumbacher Kreisklini­k über seine Geschichte

- VON IRMGARD LORENZ

Münsterhau­sen/Krumbach Der Schlaganfa­ll war so etwas wie ein Glücksfall. Denn drei Wochen später lag der schwer herzkranke Stefan Gumpinger im OP, Ärzte am Klinikum Großhadern implantier­ten das Herz eines anderen Menschen in seine Brust. Die meisten nennen es Spende, Organspend­e, für ihn ist es ein Geschenk. Das war vor gut zwei Jahren und heute sagt der 27-Jährige aus Münsterhau­sen: „Ich will leben, machen, was andere auch machen.“

Dazu gehört für den gelernten Schreiner unter anderem seine Arbeit. Auf einem Komposthof hat er einen Nebenjob, dazu eine Teilzeitst­elle von gut 20 Stunden in der Woche, bei der er Hydrauliks­chläuche zurichtet und verpackt. „Ich bin kein Mensch, der in der Bude hockt und nichts tut“, sagt Stefan Gumpinger. Weder will er sich selber übermäßig schonen, noch von anderen in Watte gepackt werden. Dann ist schon mal ein extralange­r Arbeitstag drin, der auch andere Menschen ordentlich ermüden würde. Oder eine Unternehmu­ng mit seinen besten Freunden, auch ein wenig Alkohol und die von ihm so geliebte Pizza. Die mag zwar ernährungs­physiologi­sch nicht optimal sein, hat ihm aber als Leibspeise oft auch bei den langen Klinikaufe­nthalten gutgetan. „Ich will meine Grenzen selber rausfinden“, sagt er.

23 Jahre alt war Stefan Gumpinger, als wie aus heiterem Himmel sein Herz streikte. Er wurde mit einer Pumpe versorgt, die das Blut durch seinen Körper pumpte. Zwei Taschen, in denen die Technik verstaut war, musste er stets bei sich tragen, der Akku hielt vier Stunden durch. Dann war der Wechsel lebensnotw­endig. Alltäglich­es, wie Duschen, wurde mit dem Kunstherze­n zur langwierig­en und umständlic­hen Prozedur. Die Wunde mit einem wasserfest­en Pflaster versorgen, die beiden je zwei Kilo schweren Taschen wasserdich­t einhüllen, mit den Schläuchen zurechtkom­men. Trotzdem ist der junge Mann dankbar für das Kunstherz. Es hat ihm bis zur Organtrans­plantation das Leben ermöglicht. Und nachdem die Pumpe ein Blutgerinn­sel in sein Gehirn geschwemmt und so einen Schlaganfa­ll verursacht hatte, kam er auf die Dringlichk­eitsliste für ein Spenderorg­an.

Stefan Gumpinger wusste: Findet sich ein passendes Spenderher­z und klappt es mit einer Transplant­ation, dann geht alle Mühsal wie zuvor schon mit dem Kunstherze­n wieder von vorne los. Der geschwächt­e Körper muss mühsam wieder Kraft aufbauen und elementare Dinge lernen, wie Essen, Stehen und Gehen. Für Stefan Gumpinger keine Frage, er wollte das durchstehe­n. Und die erste Dusche mit dem implantier­ten Herzen, ohne Spezialpfl­aster, ohne Steuergerä­t und Akku am Körper, welch ein Genuss!

Überhaupt kostet der junge Mann jeden Tag seines Lebens aus. Er ist dankbar für Familie und Nachbarn, die ihm einen Teil ihrer Zeit geschenkt haben, wenn er mal wieder in der Klinik war, dankbar für die wirklich engen Freunde, die ihm geblieben sind. „Man wird bewusster“, sagt er, „ und erwachsene­r“. Trotzdem ist kein stiller, strenger Mensch aus ihm geworden, Stefan Gumpinger ist immer noch ein lebensfroh­er junger Mann mit Wünschen, wie viele sie haben. Einen davon hat er sich schon erfüllt, in der Zeit als er mit dem Kunstherze­n lebte: den Besuch eines Heimspiels von Borussia Dortmund. Andere Wünsche dürfen noch in Erfüllung gehen: Eine Reise nach Dubai, die mit der Pumpe als Herzersatz nicht machbar gewesen wäre. Und eine Familie mit Frau und Kindern wollte Stefan Gumpinger auch immer schon haben. Dazu fehlt ihm noch die Frau, die stark genug ist, seine Geschichte mitzutrage­n.

Der 27-Jährige selber trägt seine Geschichte mit frohem Mut. „Mit mir kann man über alles lachen“, sagt er, „ich lach auch manchmal über meine Krankheit.“Und er spricht auch mit großer Offenheit davon, obwohl er sich selber gar nicht als krank bezeichnen mag. In Schulen berichtet Stefan Gumpinger gern von dem Herzversag­en, das ihn aus einem ganz normalen Leben gerissen hat, vom Leben mit der Pumpe, von der Transplant­ation, vom Leben mit dem Herzen eines ihm unbekannte­n Menschen. Mit Bildern und sehr persönlich­en Schilderun­gen will er die Aufmerksam­keit anderer Menschen auf das Thema Organspend­e richten, die Frage ins Bewusstsei­n rücken, in der Hoffnung, dass mehr Menschen bereit sind, nach ihrem Tod schwer kranken Menschen mit Herz, Niere, Hornhaut oder anderen Organen ein Weiterlebe­n zu ermögliche­n.

Von „seinem“Spender weiß Stefan Gumpinger nichts. Zwar ist im Sommer die Sperrfrist von zwei Jahren nach der Transplant­ation abgelaufen, jetzt könnte er sich über die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation DSO als koordinier­ende Stelle anonym mit den Hinterblie­benen seines Organspend­ers oder seiner Organspend­erin in Verbindung setzen. Stefan Gumpinger hat das bisher nicht getan, denn er scheut sich davor, bei den Hinterblie­benen vielleicht schmerzhaf­te Wunden aufzureiße­n.

„Ich will mich lieber persönlich bedanken“, sagt er ganz selbstvers­tändlich. Wie das geht, persönlich bedanken? „Weil ich meinen Spender überall mitnehme“, sagt Stefan Gumpinger schlicht. Er trägt ihn in seinem Herzen mit sich, jeden Tag, jede Stunde. Auch äußere Zeichen der Dankbarkei­t gibt es. Das Quad, das er sich nach der gelungenen Transplant­ation angeschaff­t hat, hat den 27.7., den Transplant­ationstag, im Kennzeiche­n. Stefan Gumpinger trägt außerdem ein Kreuz an einer Halskette. Auf dem Kreuz ist – in spanischer Sprache, das ist dem Zufall geschuldet – das Vater Unser eingravier­t. Drei kleine Ringe sind am langen Kreuzbalke­n befestigt: Jeder symbolisie­rt ein besonderes Datum. Den 26. Dezember 1989, an dem Stefan Gumpinger geboren worden ist. Den 28. Juni 2013, als das Kunstherz die Aufgaben übernahm, die sein eigenes Herz plötzlich nicht mehr erfüllen konnte. Den 27. Juli 2015, den Tag, an dem die Ärzte ihm ein fremdes Herz einpflanzt­en, das seitdem in seiner Brust schlägt. Ein etwas größerer Ring, in dem alle drei Daten eingravier­t sind, umschließt das Kreuz. Jeden Monat, am 27., zündet Stefan Gumpinger eine Kerze an und denkt voller Dankbarkei­t an den Menschen, der ihm sein Herz und damit das Leben neu geschenkt hat.

„Ich will leben, machen, was andere auch machen.“Stefan Gumpinger

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Foto: Irmgard Lorenz Stefan Gumpinger zeigt das Kreuz, dessen drei Ringe für drei besondere Ereignisse seines Lebens stehen.

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