Guenzburger Zeitung

Zahl der missbrauch­ten Buben steigt

Die Staatsanwa­ltschaften Memmingen und Augsburg prüfen weitere Vorwürfe gegen den früheren Nördlinger Stadtpfarr­er. Warum das Bistum Kritik an seinem Umgang mit ihm zurückweis­t

- VON VERENA MÖRZL UND JOHANN STOLL

Nördlingen/Mindelheim Der Missbrauch­sskandal um den früheren Nördlinger Stadtpfarr­er und Dekan Paul Erber weitet sich aus: Der katholisch­e Geistliche hatte Anfang November zugegeben, sich an einem Minderjähr­igen vergangen zu haben. Inzwischen ist die Zahl seiner mutmaßlich­en Opfer auf insgesamt fünf gestiegen. Die Staatsanwa­ltschaften Memmingen und Augsburg prüfen die Fälle. Nachdem sich ein Opfer Erbers sowohl beim Augsburger Bischof Konrad Zdarsa als auch bei der unabhängig­en Missbrauch­sbeauftrag­ten des Bistums gemeldet hatte, wurde Erber am 20. November in den Ruhestand versetzt.

Diese Maßnahme des Bischofs sowie die Tatsache, dass das Bistum Augsburg die Nachricht schnell öffentlich gemacht hatte, stößt bei vielen Nördlinger­n allerdings auf Kritik. Eine Kritik, die Generalvik­ar Harald Heinrich am Donnerstag während eines Gesprächsa­bends mit Kirchenmit­gliedern in Nördlingen deutlich zurückwies. Die Vorfälle sollten nicht unter den Tisch gekehrt werden, sagte er. „Nur durch die Wahrheit geschieht Gerechtigk­eit.“Medienvert­retern sagte Heinrich zudem: „Kein Kind, kein Jugendlich­er will es, dass ein Erwachsene­r, egal, wer das ist, ihn im Intimberei­ch berührt.“

Auch die Rechtsanwä­ltin und Missbrauch­sbeauftrag­te Brigitte Ketterle-Faber machte unmissvers­tändlich klar, dass die Verjährung derartiger Fälle die Straftat an sich nicht aufhebe. Bei der Veranstal- tung konnten rund 80 Anwesende unter Ausschluss der Öffentlich­keit Fragen an den Generalvik­ar, die Missbrauch­sbeauftrag­te und die Psychologi­n Helga Kramer-Niederhaus­er stellen. Anschließe­nd wurde die Presse informiert.

Dabei bestätigte Generalvik­ar Heinrich, dass sich weitere Opfer Erbers an die Missbrauch­sbeauftrag­te gewandt haben. Darunter befindet sich ein ehemaliger Nördlinger, der sich zuvor bereits der Redaktion unserer Zeitung anvertraut hatte. Er ist nach eigenen Aussagen von Erber nach einer Klassenfei­er im Jahr 1979 im Intimberei­ch berührt worden. Erber, der damals Kaplan in Nördlingen war, bestritt das bislang. Zu seiner Zeit als Kaplan – Ende der 70er, Anfang der 80er – soll es auch zu einem zweiten Missbrauch­sfall gekommen sein. Beide Fälle werden von der Staatsanwa­ltschaft Augsburg geprüft.

Die Staatsanwa­ltschaft Memmingen ermittelt, ob sich Erber am Maristenko­lleg in Mindelheim an zwei weiteren Jugendlich­en vergangen hat. Namen der mutmaßlich Betroffene­n sind nach Bistumsang­aben im Gespräch zwischen Erber und der Missbrauch­sbeauftrag­en gefallen. Erber arbeitete von 1983 bis 1996 am Maristenko­lleg und dessen inzwischen geschlosse­nem Internat. Er hatte eingeräumt, dort einen Minderjähr­igen sexuell missbrauch­t zu haben. Der Leiter des Maristengy­mnasiums, Gottfried Wesseli, wies gestern auf Anfrage darauf hin, dass unmittelba­r nach Bekanntwer­den dieser von Erber eingeräumt­en Vorwürfe die Schulleitu­ng alle Eltern schriftlic­h informiert habe. Niemand habe sich seither bei der Schule gemeldet. „Wir würden in diesem Fall alle Opfer bitten, sich mit der Missbrauch­sbeauftrag­ten der Diözese oder der Staatsanwa­ltschaft in Verbindung zu setzen.“

Der Gesprächsa­bend im katholisch­en Pfarrzentr­um St. Salvator in Nördlingen am Donnerstag­abend verlief aus Sicht des Generalvik­ars sehr emotional. Dass ein beliebter Pfarrer einen Jugendlich­en sexuell missbrauch­t habe, habe die Bürger „erschlagen“. Die Psychologi­n Helga Kramer-Niederhaus­er versuchte, den Anwesenden die Situation der Opfer näherzubri­ngen. Grundsätzl­ich würden gerade Kinder denken, dass sie selbst schuld seien, wenn sie sexuell missbrauch­t werden. Die nun demonstrie­rte Loyalität gegenüber dem Pfarrer führe dazu, dass sich weitere Opfer nicht überwinden könnten, ihren Fall zu melden. Die Schamgrenz­e steige weiter.

Noch ist nicht bekannt, mit welchen weiteren kirchenrec­htlichen Konsequenz­en Erber, der sich derzeit nicht in Nördlingen aufhält, zu rechnen hat. Generalvik­ar Heinrich sagte, die Glaubensko­ngregation im Vatikan entscheide, wie es weitergehe. Dieser Prozess dauere an.

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Foto: Philipp Wehrmann Paul Erber wirkte lange als Kaplan, zuletzt als Stadtpfarr­er in der Nördlinger Kirche St. Salvator.

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