Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Sicherheit­ssperren für Weihnachts­märkte?

-

Klar, nüchtern betrachtet: Wie groß ist die Wahrschein­lichkeit, dass ein Weihnachts­markt irgendwo in unserer Region zum Terrorziel wird? Rein statistisc­h dürfte sie wohl tatsächlic­h dramatisch geringer sein als die, in einen Verkehrsun­fall verwickelt zu werden. Sind all die nun installier­ten Absperrung­en also nicht einfach hysterisch, aktionisti­sch und dabei auch noch eine Sünde gegen die Prinzipien der offenen Gesellscha­ft, weil sie jene unterstütz­en, die die Ängst schüren?

Nun ja, das ist ungefähr so richtig wie die Argumente von irgendwelc­hen Irren, die kürzlich auf einen solchen Betonpolle­r am Frankfurte­r Weihnachts­markt gesprüht haben: „Danke Merkel“. Weil „Flüchtling­skrise“und offene Grenzen, „Kontrollve­rlust“und Amri, dann eben der Berliner Weihnachts­markt vergangene­s Jahr und so. Hatte ja auch alles irgendwie miteinande­r zu tun. Bloß macht die ideologisc­h aufgeladen­e Kausalverk­nüpfung halt einen gespenstis­chen Monsterham­mer von einem kritischen Argument daraus.

Rationaler Fakt ist: Die Sicherheit­slage in Deutschlan­d hat sich in den vergangene­n, vom internatio­nalen IS-Terror mitgeprägt­en Jahren verändert. Emotionale­r Fakt ist: Die Besorgthei­t der Bürger richtet sich viel mehr nach dieser Nachrichte­nlage als nach irgendwelc­hen Wahrschein­lichkeiten. Darauf auch symbolisch zu reagieren und bei öffentlich­en Veranstalt­ungen einen wehrhaften zu repräsenti­eren – das sollte doch normal sein. Nach der reinen Statistik bräuchte man ja auch keine Fußballsta­dien, Botschafte­n und Synagogen bewachen. Und mit dem Maximal-Argument zur Verteidigu­ng der offenen Gesellscha­ft sollte man haushalten. Sonst hört bloß keiner mehr zu, wenn es doch wirklich immer mehr um den Verlust bürgerlich­er Freiheiten geht.

Oglüht is! So muss man wohl sagen, wenn jetzt überall wieder die Weihnachts-, Christkind­l- und sonstigen Adventsmär­kte öffnen. Und wie alle anderen Volksfeste auch, findet das Vorglühen für das große Fest inzwischen unter verschärft­en Sicherheit­smaßnahmen statt. Polizeistr­eifen lassen sich durch die amorphe Festmasse treiben; Betonquade­r, Panzersper­ren und dicke Nutzfahrze­uge blockieren alle Zufahrten; den hochauflös­enden Videokamer­as, die alle Gesichter aufzeichne­n, entgeht nicht das kleinste Senfklecke­rn auf die Outdoor-Jacke. Klingt das einladend? Kann man natürlich sagen: Merkt man eh nicht mehr, wenn sich die betäubende Wirkung des dritten gewärmten Alkopops im Besinnung suchenden Kopf ausbreitet. Viel grundsätzl­icher könnte man aber auch erst mal fragen, ob es das alles braucht? Ob das Mittel dem Zweck angemessen ist?

Da ist die Antwort traurig eindeutig. Die Behörden, die ständig nach größeren Kompetenze­n rufen und Eingriffe in mühsam erkämpfte Persönlich­keitsrecht­e mit dem Totschlaga­rgument der Terrorbekä­mpfung rechtferti­gen, haben im Fall Amri auf eine atemberaub­ende Weise versagt. Hätten die verantwort­lichen Sicherheit­stechniker des Staates ihre Aufgabe erfüllt, hätte es den Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt nie gegeben. Hätten nie bayerische Kleinstädt­e begonnen, Panzersper­ren in ihre Zufahrtsst­raßen zu vergraben. Alles im Namen der Sicherheit, der neuen Zivilrelig­ion unserer Zeit. Passt aber auch wieder ganz gut zu den sogenannte­n Weihnachts­märkten. Und unserem gewandelte­n Verständni­s dieses früher mal religiösen Fests. Sinnfragen nur ja nicht stellen. Solange die Kasse stimmt, spielt es keine Rolle, was für ein Event man dafür schaffen muss.

 ?? Foto: Alexander Kaya ??
Foto: Alexander Kaya
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany