Guenzburger Zeitung

Der Wunschzett­el der SPD

Martin Schulz wird von Merkel und Seehofer einen hohen Preis für eine Koalition fordern. Aber in welchen Punkten dürfen die Genossen mit Entgegenko­mmen rechnen?

- VON BERNHARD JUNGINGER

CSU Chef Horst Seehofer im „Spiegel“auf die Frage, ob er in Berlin noch ein mal ein Ministeram­t übernehmen werde. Berlin Am Mittwoch, zwölf Tage vor Heiligaben­d, wird SPD-Chef Martin Schulz CDU-Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer einen Wunschzett­el präsentier­en, der es in sich hat. Die Liste der Forderunge­n, an deren Erfüllung seine Partei ihr Ja zu einer Neuauflage der Großen Koalition knüpft, ist lang. Bei der Union tönt es dagegen, dass die Kompromiss­bereitscha­ft Grenzen hat.

Ein Selbstläuf­er wird eine neue GroKo also keinesfall­s, zumal beim SPD-Parteitag klar wurde, dass viele Genossen grundsätzl­iche Bedenken hegen. Weitere vier Jahre als Juniorpart­ner einer Merkel-Regierung, so fürchten sie, würde die zur 20-Prozent-Partei geschrumpf­te SPD noch tiefer in den Abgrund reißen. Dabei gibt es – was die Umsetzbark­eit politische­r Vorhaben betrifft – für die Sozialdemo­kratie jetzt durchaus große Chancen.

Bei manchen Themen müssen CDU und CSU der SPD praktisch sofort entgegenko­mmen. Das Rückkehrre­cht von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitst­elle etwa war schon Gegenstand des Koalitions­vertrags von 2013, wurde aber nicht umgesetzt. Auch eine Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen wäre eine vertrauens­bildende Maßnahme, ohne die ein neuer schwarz-roter Pakt kaum möglich scheint. Zur Bekämpfung der Wohnungsno­t bekennt sich nicht nur die SPD, auch die Union will aktiv werden. Über die SPDForderu­ng einer besseren Mietpreisb­remse wird zwar gestritten werden, einig sind sich beide Seiten aber darin, dass sie den Wohnungsba­u ankurbeln wollen.

Trotz unterschie­dlicher Auffassung­en im Detail wollen Konservati­ve wie Sozialdemo­kraten kräftig in die Bildung investiere­n. Und angesichts hoher Steuerüber­schüsse sind die Spielräume dafür vorhanden. Dies gilt auch für die Ankündigun­g beider Lager, die Polizei zu stärken.

Reichlich Zündstoff bietet die Europapoli­tik. Doch wenn Martin Schulz die „Vereinigte­n Staaten von bis 2025 fordert, weiß er, dass das eine Bundesregi­erung nicht so einfach beschließe­n kann. Angesichts der Euro-Skepsis in vielen östlichen EU-Ländern wird sein Vorstoß kein allzu großes Echo finden. Auf ein Bekenntnis zum europäisch­en Gedanken und auf verstärkte Anstrengun­gen etwa beim Schutz der Außengrenz­en könnte man sich aber allemal einigen.

Auch das umstritten­e Thema Rente ist so groß und von so vielen Unwägbarke­iten geprägt, dass es sich wunderbar auf die lange Bank schieben lässt. Die Partner könnten vereinbare­n, Lösungen in einem fortlaufen­den Prozess auszutüfte­ln. Explosiver ist der Bereich Gesundheit. Die SPD will die private Krankenver­sicherung abschaffen. Doch so vehement die Genossen die Bürgervers­icherung fordern, so kategorisc­h lehnen sie die Konservati­ven ab. Wenn das Thema die Koalition nicht verhindern soll, muss ein geEuropa“ sichtswahr­ender Kompromiss her. Bei dem es etwa darum geht, Leistungsu­nterschied­e zwischen gesetzlich­er und privater Versicheru­ng abzubauen.

In der Frage der Zuwanderun­g liegen die beiden Parteien dagegen nicht so weit auseinande­r, wie es oft den Anschein hat. Die SPD fordert ein Einwanderu­ngsrecht, das den Zuzug von Arbeitskrä­ften regelt. Das erinnert stark an das „Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz“aus dem Wahlprogra­mm der Union. Eine starre Obergrenze für Flüchtling­e, lange Kernforder­ung der CSU, lehnt die SPD ab. Doch das tut auch CDU-Kanzlerin Angela Merkel.

Der Unions-Kompromiss sieht einen flexiblen Richtwert für die Aufnahme von Geflüchtet­en vor, der bei 200000 Menschen pro Jahr

In der Europafrag­e hat Schulz auch im Ausland Gegner

liegen soll. Beim SPD-Parteitag hat auch Außenminis­ter Sigmar Gabriel darauf hingewiese­n, dass die Kapazitäte­n für Aufnahme und Integratio­n nicht unbegrenzt seien. Die Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit eingeschrä­nkten Schutzstat­us will die SPD nicht weiter verlängern – im Gegensatz zu vielen Unionspoli­tikern. Doch ein Kompromiss in dieser Frage schien auch in der Endphase der JamaikaSon­dierungen greifbar.

In der brisanten Frage des Klimaschut­zes dürfte eine Einigung sogar einfacher sein als in der JamaikaRun­de, in der die Grünen erbittert für einen umfassende­n Kohleausst­ieg gekämpft hatten. Noch immer sind die Stimmen der Bergleute stark in der SPD. Sie fordern einen behutsamen Rückzug aus der Kohleverst­romung – wie die CDU.

So zeigt die Gesamtscha­u: In einer Fortsetzun­g der Großen Koalition würden zwar nicht alle sozialdemo­kratischen Träume wahr werden. Doch für die angezählte­n Genossen ist die Gelegenhei­t, einer ebenfalls angeschlag­enen Union die Erfüllung einiger Herzenswün­sche abzutrotze­n, so günstig wie selten zuvor.

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Foto: M. Kappeler, dpa Schulz Anhänger auf dem SPD Parteitag verteilt Stimmzette­l: Die „Vereinigte­n Staa ten von Europa“kann Deutschlan­d nicht einfach beschließe­n.

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