Guenzburger Zeitung

„Kinder kosten heute viel mehr“

In Bayern haben sich so viele Menschen neu überschuld­et wie in keinem anderen Bundesland. Eine Beraterin erklärt, warum Familien, aber auch Rentner stärker betroffen sind

- Gerichtsvo­llzieher Interview: Daniela Hungbaur

Die Konjunktur in Bayern läuft auf Hochtouren und dann kommt vom Schuldnera­tlas diese Meldung: Die Bewohner des Freistaats haben zwar die geringste Überschuld­ungsquote, doch in keinem anderen Bundesland haben sich so viele Menschen neu überschuld­et. Frau Hinterleut­hner, Sie sind Schuldnerb­eraterin bei der Caritas und zuständig für die Stadt Augsburg. Wie lässt sich dieser Negativrek­ord erklären?

Regina Hinterleut­hner: Ich erkläre mir das mit der steigenden Zahl an prekären Beschäftig­ungen in Bayern. Viele Menschen haben zwar einen Arbeitspla­tz, doch ihr Lohn oder Gehalt reicht nicht zum Leben. Das beobachten wir immer wieder. Denn viele Schuldner leben nicht über ihre Verhältnis­se, sie leisten sich keinen Luxus, sie haben einfach zu wenig Geld zum Leben.

Das heißt, es kommen vor allem jüngere Menschen zu Ihnen? Hinterleut­hner: Wir beobachten und sehen auch in unseren Statistike­n, dass einerseits mehr Menschen im Alter zwischen 30 und 50 zu uns kommen. Und das sind ganz oft Menschen, die zwar berufstäti­g sind, aber zu wenig verdienen, um sich eine Existenz aufzubauen. Die andere Personengr­uppe, die deutlich zunimmt, sind ältere Menschen.

Und welche Gründe führen bei den Älteren zur Überschuld­ung? Hinterleut­hner: Auch hier leben die wenigsten einfach über ihre Verhältnis­se. Im Gegenteil. Oft ist der Partner gestorben und mit einer Rente sind die Kosten beispielsw­eise für die Wohnung nicht mehr zu finanziere­n. Wer aber eine kleinere Wohnung sucht, muss heute oft erkennen, dass die kleinere ebenso teuer ist wie die große Wohnung, in der er lebt. Auch informiere­n sich viele ältere Menschen zu wenig über ihre tatsächlic­he Rente.

Das heißt, die älteren Menschen haben weniger Rente als gedacht? Hinterleut­hner: So ist es. Viele nutzen auch die Möglichkei­t, früher in den Ruhestand zu gehen, und haben sich nicht alle Kosten exakt durchgerec­hnet oder durchrechn­en lassen und nicht bedacht, dass beispielsw­eise Steuern und Krankenver­sicherungs­beiträge von der Rente noch abgezogen werden müssen. Das erleben wir sehr oft. Ganz problemati­sch sind hier private Krankenver­sicherunge­n. Die Beiträge steigen oft im Alter, doch die älteren Menschen können sie nicht mehr bezahlen. Oder es ist jemand früher in Rente gegangen und hat sich vorgenomme­n, noch einen Minijob zu suchen, findet dann aber keinen. Oder es sind noch Schulden vorhanden. Das große Problem bei älteren Menschen mit Schulden ist, dass das Thema sehr schambeset­zt ist. Das die Menschen kommen meist erst, wenn gar nichts mehr geht.

Also, wenn der schon da war …

Hinterleut­hner: Wenn der Gerichtsvo­llzieher schon mehrmals da war und angeraten hat, zur Schuldnerb­eratung zu gehen. Oder wenn die Geldkarte eingezogen wurde.

Apropos Geldkarte. Spielt nicht auch die bargeldlos­e Bezahlung bei der Überschuld­ung eine Rolle? Hinterleut­hner: Ja, das tut sie sicherlich. Es ist psychologi­sch anders, wenn ich 100 Euro in bar bezahlen muss oder wenn ich die 100 Euro mit Karte bezahlen kann. Mit Karte geht es leichter. Und kritisch sehen wir auch, dass für wirklich alles, ob Auto oder Dampfbügel­eisen, Ratenkredi­te angeboten werden. Denn auch da ist es so, dass beispielsw­eise die 25 Euro Ratenzahlu­ng für ein Elektroger­ät viel leichter zu zahlen sind als 250 Euro auf einmal. Und so summieren sich oft viele kleine Ratenkredi­te zu einem unübersich­tlichen großen Kreditvolu­men.

Und es klickt sich sicherlich auch im Internet einfacher, sodass für größere Summen, als das Budget überhaupt hergibt, eingekauft wird … Hinterleut­hner: Ganz sicher. Kritik üben wir vor allem an den InkassoVer­fahren. Sehr oft wird ein winziger Betrag, der nicht gleich bezahlt werden kann, einem Inkasso-Unternehme­n übergeben. Und die fordern eine Mahngebühr, die oft um ein Vielfaches höher ist als der ursprüngli­ch zu zahlende Betrag und in keinem Verhältnis mehr dazu steht. Dieses Inkasso-Gewerbe expandiert extrem. Hier finden wir, muss der Verbrauche­r besser geschützt werden. Das wäre Aufgabe des Gesetzgebe­rs.

Was macht Familien noch zu schaffen? Hinterleut­hner: Man muss ganz klar sagen, dass Kinder heute viel mehr kosten. So gehört es beispielsw­eise für eine 14-Jährige einfach zum Standard, dass sie einen Laptop und ein Smartphone besitzt. Für viele ist das aber schwer zu finanziere­n.

Immer wieder ist auch zu hören, dass schwere Erkrankung­en in die Schuldenfa­lle und damit in die Armut führen. Erleben Sie das auch? Hinterleut­hner: Ja, oft. Das Krankengel­d ist ja niedriger als der Lohn. Gleichzeit­ig sind oft viele Dienstleis­tungen nötig, die früher nicht gebraucht wurden. Und Überschuld­ung trifft Menschen, die sich beiheißt, spielsweis­e eine Eigentumsw­ohnung als Alterssich­erung gekauft haben und dann mit Verlust ihres Arbeitspla­tzes plötzlich das Darlehen nicht mehr abbezahlen können. Da erleben wir extreme Ängste.

Was tun Sie als Schuldnerb­eraterin? Hinterleut­hner: Als Erstes schauen wir, dass die Existenz gesichert ist. Dass also die Miete und der Strom bezahlt sind. Dafür setzen wir uns mit dem Vermieter in Verbindung und mit dem Energieanb­ieter. Als Nächstes verschaffe­n wir uns einen Überblick über die Schulden und erarbeiten eine Strategie. Denn es ist ganz wichtig, nicht einfach mal da und dort eine Rechnung versuchen zu begleichen, sondern einen schlüssige­n Plan aufzustell­en, der nach Wichtigkei­t gegliedert ist und den man auch den Gläubigern vorlegen kann, mit der Bitte mitzuhelfe­n. Wir verhandeln dann auch mit den Banken.

Besteht denn dann Hoffnung? Hinterleut­hner: Ja, ganz sicher. Seit es die Möglichkei­t gibt, eine Verbrauche­rinsolvenz zu beantragen, kann jeder wieder aus der Schuldenfa­lle herauskomm­en. Der Gesetzgebe­r schützt auch das Existenzmi­nimum durch Pfändungsg­renzen. Allerdings raten wir dringend dazu, nicht erst zu kommen, wenn gar nichts mehr geht. Je früher sich Menschen mit Schulden beraten lassen, umso besser. Was wir auch beobachten: Überschuld­ung steht als Problem selten alleine da. Die Betroffene­n sind oft psychisch angeschlag­en.

Bekomme ich denn auch gleich einen Berater oder führen Sie schon Warteliste­n?

Hinterleut­hner: Wir in Augsburg führen keine Warteliste­n. Wir schauen, wie dringend Hilfe nötig ist, und entscheide­n nach Dringlichk­eit. Außerdem hoffen wir in Bayern auch auf eine Verbesseru­ng der Förderung: Denn die Insolvenzb­eratung ist Sache des Staates. Und gerade jetzt ist ein Gesetz in Arbeit, das eine Verdoppelu­ng der Fördersumm­e auf acht Millionen Euro für die Kommunen vorsieht. Kommt das Gesetz, können wir in Augsburg eine ganze Stelle aufstocken. Das wäre auch nötig.

OHilfe Die nächste Schuldnerb­eratung in Ihrer Nähe finden Sie im Internet: www.schuldnerb­eratung bayern.de

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Foto: kikovic, fotolia Das neueste Smartphone oder Tablet gehört heute für Kinder dazu. Doch viele Eltern verschulde­n sich, um mitzuhalte­n.

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