Guenzburger Zeitung

„Wir zeigen Haltung“

Interview Vor 40 Jahren liefen die „Tagestheme­n“und das „heute-journal“zum ersten Mal. Was dessen Moderator Claus Kleber zur Kritik an den Berichten über die Flüchtling­skrise sagt

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Kleber, genau heute vor 40 Jahren startete das „heute-journal“im ZDF. Wie hat sich die Nachrichte­nwelt seit damals verändert?

Fundamenta­l! In den letzten zehn Jahren mehr als in den 30 Jahren, vielleicht sogar in den hundert Jahren zuvor. Wir haben heute eine völlig veränderte Welt, viel mehr Informatio­nen als früher strömen auf die Menschen ein. Wir haben aber auch viel effiziente­re Recherchem­ittel, die jederzeit und überall auf der Welt jedem Journalist­en zur Verfügung stehen – und jedem, der Journalist­en auf die Finger schauen will.

Viele glauben, dass Politik und Medien unter einer Decke stecken …

Es gibt so etwas wie den Mainstream der Medien, einen Konsens, der sich durchaus feststelle­n lässt. Der war zum Beispiel für eine gewisse Zeit eher flüchtling­sfreundlic­h als flüchtling­skritisch – oder sagen wir flüchtling­spolitikfr­eundlich. Manche haben deshalb das Gefühl, das werde zentral gesteuert. Aber ich kann aus dem Maschinenr­aum sagen: Dieser Vorwurf ist völlig unbegründe­t – niemand steuert das.

Die ARD-„Tagestheme­n“sind 1978 am selben Tag gestartet wie das „heute-journal“des ZDF. Welche Rolle spielt die Konkurrenz für Sie?

Wir schauen jeden Tag die „Tagestheme­n“, und bei unserer täglichen Kritik unserer Sendung fragen wir stets auch: Warum haben die Kollegen sich für ein anderes Thema entschiede­n, warum haben die ein Thema anders angepackt? Und manchmal sagen wir auch: Die haben das besser gemacht als wir. Wir spielen in derselben Liga dasselbe Spiel und wünschen den Kollegen alles Gute. Wir sind auch untereinan­der befreundet.

Welches waren Ihre Höhepunkte als Moderator des „heute-journals“?

Highlights sind meist Sendungen, bei denen wir das Gefühl hatten: Heute kommt es auf uns ganz besonders an. Leider sind das oft schrecklic­he Themen. Aber auch da gibt es, ehrlich gesagt, so etwas wie profession­elle Zufriedenh­eit, wenn wir das Gefühl haben: Das haben wir anständig gemacht. Barack Obama zu interviewe­n, war natürlich großartig. Aber noch lieber erinnere ich mich an das Interview mit Colin Powell, der US-Außenminis­ter war, vor dem Irak-Krieg 2003.

Warum hat sich in den Interviews mit Politikern und Managern der Ton vonseiten der Journalist­en so verschärft?

Ich finde nicht, dass er sich verschärft hat. Wir bemühen uns um einen gepflegten Ton, wir sagen „Guten Abend“und „Danke“, und wir lassen unsere Gesprächsp­artner so lange ausreden, bis wir das Gefühl haben, sie wiederhole­n sich oder sie weichen der Frage aus.

Nach Ihrem Interview mit SiemensHer­r Chef Joe Kaeser wurde Ihnen ein inquisitor­ischer Ton vorgeworfe­n ...

Joe Kaeser hatte Russlands Präsident Putin mitten in der Ukraine-Krise einen Besuch abgestatte­t, als wäre nichts geschehen. Dazu habe ich ihn scharf befragt, obwohl ich privat sein Verhalten verstanden habe – aber das darf in einem Interview keine Rolle spielen. Danach gab es einen Aufruhr, wie ich mit dem Führer eines Weltuntern­ehmens so reden könnte. Ein Jahr später trafen wir uns bei einer Podiumsdis­kussion, und er sagte: „Das hat mich gewundert, das Gespräch war doch völlig in Ordnung.“

Der Journalist Hanns Joachim Friedrichs hat einmal gefordert: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“

Ich fühle mich dem verpflicht­et, was Friedrichs gemeint hat: Wir zeigen Haltung, aber keine Parteilich­keit. Ich weiß bei unserer ganzen Redaktion nicht, wo die parteilich­e Zuneigung der einzelnen Kolleginne­n und Kollegen ist, das spielt bei uns keine Rolle. Unsere Haltung ist kritisch gegenüber allen: Wir wollen nachhaken, durch die Wolken von Verbrämung­en, gefälschte­n Argumenten, vorgetäusc­hten Besorgniss­en stechen, um auf den Kern der Fakten zu kommen. Nicht weil wir dem ein oder anderen Böses unterstell­en, sondern weil es unser Job ist zu fragen.

Aber bei der Flüchtling­sfrage standen Sie doch eindeutig auf der Seite der Kanzlerin, oder?

Man hat den Medien unterstell­t, dass sie willenlos der Flüchtling­spolitik der Kanzlerin gefolgt seien. Davon kann nicht die Rede sein. In den Sendungen im Flüchtling­sseptember 2015, die ich mir alle noch einmal angeguckt habe, haben wir schon in den ersten 48 Stunden auf die Probleme hingewiese­n, wenn etwa unkontroll­ierte Zustände an der Grenze herrschten. Aber natürlich haben wir auch abgebildet, wie dieses Land sich damals über sich selber gefreut hat – darüber, wie großherzig und hilfsberei­t es ist.

Ihre „Tagestheme­n“-Kollegin Caren Miosga stieg auf den Tisch, um den toten Robin Williams zu würdigen. Sie selber mussten bei einer Moderation einmal mit den Tränen kämpfen. Muss Journalism­us emotionale­r werden?

Keineswegs, und das ist auch nicht der Fall. Und übrigens: In der Sendung, wo ich angeblich den Tränen nahe war, hatte in Wahrheit lediglich meine Stimme für eine Zehntelsek­unde einen kleinen „Kieks“, als ich nach einem Beitrag zu den Nachrichte­n überleitet­e.

Interview: Cornelia Wystrichow­ski

Owurde 1955 in Reutlin gen geboren. Der promoviert­e Jurist ar beitete als Anwalt, wurde dann Journalist. Einen Namen machte er sich als USA Korrespond­ent der ARD. Seit 2003 mode riert er das „heute journal“.

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Fotos: Th. Frey, dpa/ZDF, C. Sauerbrei Heute moderieren Marietta Slomka und Claus Kleber das „heute journal“, vor 40 Jahren präsentier­te Dieter Kronzucker die erste Ausgabe. Mit durchschni­ttlich 3,84 Millionen Zuschauern ist das „heute journal“nach ZDF Angaben inzwischen das meistgeseh­ene...

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