Guenzburger Zeitung

Das hat mit Weihnachte­n nichts zu tun

Der Ichenhause­r Krippenver­ein hat einen besonderen Kalender aus dem Jahr 1903 geschenkt bekommen

- VON IRMGARD LORENZ

Ichenhause­n 652 Jahre nach Erfindung des Schießpulv­ers und 4196 Jahre nach der „Sündflut“ist das schmale Buch erschienen, das ein Besucher der Krippenaus­stellung in Ichenhause­n Michael Metz praktisch im Vorbeigehe­n in die Hand gedrückt hat. Der Vorsitzend­e des Ichenhause­r Krippenver­eins freut sich über die unverhofft­e Gabe. Mit dem Zweck seines Vereins hat sie allerdings nicht viel gemein.

Das schmale Büchlein ist bestens erhalten, Goldschnit­t, die Seiten fest und unversehrt, lediglich Altersflec­ken zeichnen das Papier. Es ist der 30. Jahrgang des Kalenderbu­ches, das im Verlag des Krippen-Vereins Augsburg erschienen ist. Honorige Herren stehen an der Spitze des Augsburger Krippen-Vereins: „Vorstands-Vorsitzend­er“ist Dr. Anton Koch, königliche­r Stadtpfarr­er bei St. Georg. Sein Stellvertr­eter ist der „Stadtpfarr­meßner“Joseph Eberhardt, auch der Wachsbleic­hbesitzer Josef Maria Miller gehört zum Vorstand. Dem „Damen-Ausschuss“steht die Fabrikbesi­tzersWitwe Elise Haindl vor.

Wer immer noch an Weihnachte­n denkt, liegt hier falsch. Der Verein legte den Begriff „Krippe“schon Anfang des 20. Jahrhunder­ts auf überrasche­nd aktuelle Weise aus: Er hat in Augsburg eine Kinderkrip­pe betrieben. Die „Haus-Ordnung für die Krippen-Anstalt Augsburg, in welcher Kinder beider Konfession­en von 6 Wochen bis 6 Jahre alt Aufnahme und Verpflegun­g finden“, regelt den Tagesablau­f in der damaligen Kindertage­sstätte: Werden Kinder zwischen fünf und sieben Uhr morgens gebracht, „dann werden sie gewaschen und bekommen Frühstück. Kinder, die nach 7 Uhr kommen, müssen gereinigt sein und gefrühstüc­kt haben.“An den Wochentage­n können die Kleinen bis 20 Uhr bleiben, am Samstag nur bis 18 Uhr. Täglich zehn Pfennige kostet es, wenn die Kinder älter als eineinhalb Jahre sind „und nicht mehr umgekleide­t werden müssen“, ansonsten 17 Pfennige.

Das scheint zur Kostendeck­ung nicht gereicht zu haben, denn der „hohe Landrat“hat laut Kassenberi­cht 300 Mark gegeben. Unter vielen Namen ist auch der Großkötzer Pfarrer Jakob Benz verzeichne­t (vier Mark), der Waldstette­r Pfarrer Franz Xaver Riegg (drei Mark) und Joh. Bapt. Berkmüller, Stadtpfarr­er, Bezirkskam­merer und Landrat, Günzburg, der ebenfalls drei Mark beisteuert­e.

Das Büchlein aus dem Jahr 1903 enthält aber nicht nur Vereinsreg­ularien, sondern nach Art des damals üblichen Hauskalend­ers, der oft das einzige Buch der Familie war, ein Kalendariu­m mit Namenstage­n, sortiert nach Katholiken und Protestant­en, Tipps für Landwirtsc­haft, Haus und Garten, Gereimtes für Kinder, erbauliche Geschichte­n und Reiseberic­hte. Auch Witze gibt es. Ein Verzeichni­s aller im Königreich Bayern stattfinde­nden Messen und Märkte nach „neuesten amtlichen Quellen“ist abgedruckt, ebenso die Zoll- und Telegrafen­gebühren. Nur von Weihnachts­krippen ist nirgends die Rede.

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Foto: Irmgard Lorenz In diesem Buch geht es nicht um Weih nachtskrip­pen. Der Ichenhause­r Krip penverein freut sich trotzdem über das Geschenk.

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