Was die Leichenschau so schwierig macht
Rechtsmediziner beklagen zu viele Fehler. Ärzte aus dem Landkreis erläutern dazu ihre Sicht. Dabei geht es auch um Kreuze an der richtigen Stelle auf der Todesbescheinigung – und den Druck der Polizei
„Ich kann mich dieser Pflicht nicht entziehen.“
Dr. Brigitte Hörger
Landkreis In Deutschland werden Tausende Tötungsdelikte jedes Jahr nicht erkannt, auch weil bei der Leichenschau oft Fehler gemacht werden. Das sehen zumindest Rechtsmediziner so
Die Allgemeinmedizinerin Dr. Brigitte Hörger aus Rechbergreuthen, die ihre Praxis in Glött betreibt, hat selbst schon viele Leichenschauen durchgeführt – und sich jetzt an unsere Zeitung gewandt. Denn die Vorwürfe will sie so nicht stehen lassen.
Während die Rechtsmediziner in der Pathologie unter ganz anderen Umständen arbeiten könnten mit gutem Licht und einem gut zugänglichen Tisch, auf dem der tote Mensch liegt, müsse die erste Leichenschau vom diensthabenden Hausarzt oft unter den schwierigsten Bedingungen gemacht werden. Denn sie muss an der vollständig entkleideten Leiche „unter Einbeziehung aller Körperöffnungen“durchgeführt werden. Sie selbst, sagt Hörger, habe schon Fälle gehabt, bei denen ein Toter gut 150 Kilo wog, in einem Bett mit einer sehr weichen Matratze unter einer Dachschräge lag und es kaum Licht gab. „Die korrekte Leichenschau ist in so einem Fall nicht durchführbar, ich kann mich aber dieser Pflicht nicht entziehen“, betont die Ärztin.
Verpflichtet zur Leichenschau ist jeder niedergelassene Mediziner ab der Approbation, also ab der Zulassung, sagt sie. Der Notarzt werde dazu nicht herangezogen, weil auf die sicheren Zeichen des Todes gewartet werden müsse (siehe Infokasten). Zuständig sei der diensthabende Arzt dann innerhalb des kompletten Dienstbezirks. Bei eigenen Patienten gebe es in der Regel keine Probleme, da ihre Vorgeschichte bekannt ist. Bei Fremden sei das anders, „da hat man meistens keinerlei Informationen über die Person“. Sie selbst habe im Schnitt drei bis zehn Leichenschauen im Jahr, für gewöhnlich führt sie die alleine durch. Die tote Person liege meist im Bett, die Angehörigen warten im Wohnzimmer. Die Untersuchung dauere normalerweise eine halbe Stunde.
Dass ein Mensch, den sie bei der Leichenschau angeschaut hat, durch ein Verbrechen gestorben ist, sei bei ihr noch nicht vorgekommen. Niedergelassene Ärztin ist sie seit dem Jahr 2001. Sie geht davon aus, dass Tötungsdelikte „extrem selten übersehen werden“. Hätte sie Anzeichen für ein Verbrechen, müsste sie sofort die Kriminalpolizei hinzuziehen. Das Problem liege bei den Todesbescheinigungen. „Da bräuchte es eine Spalte nach dem Motto: Der Tod ist nicht natürlich, aber es besteht kein Grund zur Sorge wegen eines möglichen Verbrechens.“So sei beispielsweise eine Lungenembolie nach einem Oberschenkelhalsbruch eine unnatürliche Todesursache. Das entsprechende Kreuzchen auf dem Formular bringe Angehörige aber mächtig ins Schwitzen, wenn die Polizei das nicht innerhalb eines Tages erledigen kann. Wenn bei einer unnatürlichen Todesursache die Beamten hinzugezogen werden, könne es auch seine Zeit dauern, bis sie kommen. „Ich habe mal über zwei Stunden mit geschockten Angehörigen auf die Polizei gewartet, während die Mutter im Stadel am Balken baumelte... Welche Zumutung für Angehörige und auch für mich, denn niemand zahlt mir diese Zeit.“
Zudem habe es wohl schon fast jeder Arzt bei der Leichenschau erlebt oder kenne einen Kollegen, dem es passiert ist, dass die Polizei auf eine Änderung des Kreuzchens auf dem Formular drängt. Wenn die Todesursache von einer ungeklärten Todesart oder Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen Tod zu „Natürlicher Tod“geändert wird, spare sich die Polizei Arbeit. Sogar in einem ihr bekannten Fall, bei dem ein vermögender Mann ohne Vorerkrankungen plötzlich tot auf dem Trimm-dich-Pfad zusammengebrochen ist, habe es keine weiteren Ermittlungen gegeben. Sie habe aber auch schon viele Polizisten erlebt, die Respekt vor ihrer Arbeit haben.
Auch wenn nicht bei jedem Toten ein Gewaltverbrechen unterstellt werden könne, sollte ein Anfangsverdacht auf jeden Fall zu einer Obduktion führen, die unbürokratisch und ohne Kosten für die Angehörigen ablaufen soll – auch für den medizinischen Wissenszuwachs sei solch eine Untersuchung wichtig. Außerdem fände sie es sinnvoll, wenn der Amtsarzt die Leichenschau übernehmen würde. Es werde dagegen argumentiert, dass dies in Flächenland wie Bayern nicht möglich sei, aber der Dienstbezirk sei so groß wie der der Hausärzte.
Hörger geht übrigens nicht davon aus, dass es bei niedergelassenen Medizinern bei der Leichenschau Wissensdefizite gebe. „Ärzte müssen immer dazulernen, sich fortbilden. Es wird also wohl keinen geben, der zu einer Leichenschau nicht in der Lage ist. Ein Problem könnte aber sein, dass Ärzten in den Städten mit weniger Fällen die Erfahrung dafür fehlt, das Formular richtig auszufüllen. Denn dort sterben die Leute meist im Heim oder im Krankenhaus.“
Die Obfrau der niedergelassenen Vertragsärzte im Bereich Günzburg, Dr. Mirjam Kiermasz, sagt zu den auf Druck der Polizei zu ändernden Kreuzchen auf der Todesbescheinigung, dass sie sich angewöhnt habe, „mein Kreuz auf dem Schein zu verteidigen. Ich konnte mich immer durchsetzen. Das geht Kollegen auch so.“Auch sie fände es gut, wenn die Leichenschau „von Personen durchgeführt wird, die die Zeit und die Kenntnis dafür haben, wir machen das zwischen zwei Patienten. Wir Ärzte sind für die Lebenden da“. Den Amtsarzt das übernehmen zu lassen hielte sie für eine gute Lösung. Auf die Polizei habe sie aber noch nie lange warten müssen, es genüge meist auch, per Handy erreichbar zu sein.
Kiermasz’ Kollege und für Krumbach zuständige Obmann Dr. Max Drexel kennt das, was seine Kollegin Hörger sagt, vom Hörensagen, hat es aber noch nicht erlebt und kennt keinen, der das Kreuz ändern musste. „Als Arzt muss ich auch meine Position klar vertreten.“Im Gegensatz zu Kiermasz plädiert er dafür, die Leichenschau bei den Hausärzten zu belassen, „sie gehört zu unserem Beruf“. Wer am normalen Notdienst teilnimmt, müsse sie beherrschen. Es könne sein, dass nicht jeder darin „fit ist“, aber das Thema gehöre zur Fortbildung der Allgemeinärzte auf jeden Fall dazu.
Der Leiter des Gesundheitsamts Günzburg, Dr. Patrick Dudler, sagt, die Pflicht zur Leichenschau sei gesetzlich geregelt und sei die Aufgabe der niedergelassenen Mediziner, die dafür auch die nötige Ausbildung und Routine hätten. Nur wenn sich dafür niemand finden lasse oder eine zweite Meinung eingeholt werden muss, werde der Amtsarzt involviert. Dabei gehe es aber nur selten darum, dass die erste Meinung angezweifelt wird. Sein Amt führe zwei bis fünf Leichenschauen im Jahr selbst durch, im vergangenen Jahr sei die Zweitmeinung nicht angefragt worden. Wenn, dann werde damit aber normalerweise auch die Rechtsmedizin beauftragt.
Im offiziellen Bekanntmachungsorgan der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns schreibt eine Rechtseinem medizinerin, dass „sich der Leichenbeschauer nicht von Polizeibeamten hinsichtlich der Auswahl der Todesart beeinflussen lassen darf, auch wenn bekanntermaßen immer wieder versucht wird, Ärzte zur Attestierung einer natürlichen Todesart zu drängen, um den Arbeitsaufwand für die Polizei geringer zu halten. Der Diagnosestellung liegt umfassendes medizinisches Fachwissen zugrunde, über das nur ein Arzt, nicht aber ein Polizeibeamter verfügt“, heißt es weiter.
Das Präsidium Schwaben Süd/ West erklärt dazu auf Anfrage, dass solche Fälle und Vorwürfe dort nicht bekannt seien. Peter Pytlik, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei aus Krumbach, betont zudem, „dass wir als Polizei bei jedem uns bekannten Todesfall professionell und genau arbeiten. Einem Arzt einen natürlichen Tod einzureden oder darauf zu drängen, dass er einen solchen attestiert, steht uns nicht zu und solche Fälle sind mir auch nicht bekannt“.
Die Staatsanwaltschaft Memmingen kennt ebenfalls keine Fälle, in denen Polizeibeamte versucht hätten, auf die Leichenschau Einfluss zu nehmen. Auch wisse man nichts davon, dass die Staatsanwaltschaft trotz unklarer Todesursache Obduktion oder Ermittlungen ablehne. Eine Obduktion werde stets beantragt, wenn ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden kann.
Zutreffend dürfte sein, erklärt ein Sprecher, dass in einer Vielzahl von Fällen Ermittlungen geführt werden, weil die Leichenschau des Arztes „mangels Kenntnis der Gesundheitsgeschichte und der Person des Verstorbenen“zu dem Ergebnis einer unnatürlichen Todesursache komme, durch die Ermittlungen dann aber ein Fremdverschulden ausgeschlossen werden könne.