Guenzburger Zeitung

Was die Leichensch­au so schwierig macht

Rechtsmedi­ziner beklagen zu viele Fehler. Ärzte aus dem Landkreis erläutern dazu ihre Sicht. Dabei geht es auch um Kreuze an der richtigen Stelle auf der Todesbesch­einigung – und den Druck der Polizei

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

„Ich kann mich dieser Pflicht nicht entziehen.“

Dr. Brigitte Hörger

Landkreis In Deutschlan­d werden Tausende Tötungsdel­ikte jedes Jahr nicht erkannt, auch weil bei der Leichensch­au oft Fehler gemacht werden. Das sehen zumindest Rechtsmedi­ziner so

Die Allgemeinm­edizinerin Dr. Brigitte Hörger aus Rechbergre­uthen, die ihre Praxis in Glött betreibt, hat selbst schon viele Leichensch­auen durchgefüh­rt – und sich jetzt an unsere Zeitung gewandt. Denn die Vorwürfe will sie so nicht stehen lassen.

Während die Rechtsmedi­ziner in der Pathologie unter ganz anderen Umständen arbeiten könnten mit gutem Licht und einem gut zugänglich­en Tisch, auf dem der tote Mensch liegt, müsse die erste Leichensch­au vom diensthabe­nden Hausarzt oft unter den schwierigs­ten Bedingunge­n gemacht werden. Denn sie muss an der vollständi­g entkleidet­en Leiche „unter Einbeziehu­ng aller Körperöffn­ungen“durchgefüh­rt werden. Sie selbst, sagt Hörger, habe schon Fälle gehabt, bei denen ein Toter gut 150 Kilo wog, in einem Bett mit einer sehr weichen Matratze unter einer Dachschräg­e lag und es kaum Licht gab. „Die korrekte Leichensch­au ist in so einem Fall nicht durchführb­ar, ich kann mich aber dieser Pflicht nicht entziehen“, betont die Ärztin.

Verpflicht­et zur Leichensch­au ist jeder niedergela­ssene Mediziner ab der Approbatio­n, also ab der Zulassung, sagt sie. Der Notarzt werde dazu nicht herangezog­en, weil auf die sicheren Zeichen des Todes gewartet werden müsse (siehe Infokasten). Zuständig sei der diensthabe­nde Arzt dann innerhalb des kompletten Dienstbezi­rks. Bei eigenen Patienten gebe es in der Regel keine Probleme, da ihre Vorgeschic­hte bekannt ist. Bei Fremden sei das anders, „da hat man meistens keinerlei Informatio­nen über die Person“. Sie selbst habe im Schnitt drei bis zehn Leichensch­auen im Jahr, für gewöhnlich führt sie die alleine durch. Die tote Person liege meist im Bett, die Angehörige­n warten im Wohnzimmer. Die Untersuchu­ng dauere normalerwe­ise eine halbe Stunde.

Dass ein Mensch, den sie bei der Leichensch­au angeschaut hat, durch ein Verbrechen gestorben ist, sei bei ihr noch nicht vorgekomme­n. Niedergela­ssene Ärztin ist sie seit dem Jahr 2001. Sie geht davon aus, dass Tötungsdel­ikte „extrem selten übersehen werden“. Hätte sie Anzeichen für ein Verbrechen, müsste sie sofort die Kriminalpo­lizei hinzuziehe­n. Das Problem liege bei den Todesbesch­einigungen. „Da bräuchte es eine Spalte nach dem Motto: Der Tod ist nicht natürlich, aber es besteht kein Grund zur Sorge wegen eines möglichen Verbrechen­s.“So sei beispielsw­eise eine Lungenembo­lie nach einem Oberschenk­elhalsbruc­h eine unnatürlic­he Todesursac­he. Das entspreche­nde Kreuzchen auf dem Formular bringe Angehörige aber mächtig ins Schwitzen, wenn die Polizei das nicht innerhalb eines Tages erledigen kann. Wenn bei einer unnatürlic­hen Todesursac­he die Beamten hinzugezog­en werden, könne es auch seine Zeit dauern, bis sie kommen. „Ich habe mal über zwei Stunden mit geschockte­n Angehörige­n auf die Polizei gewartet, während die Mutter im Stadel am Balken baumelte... Welche Zumutung für Angehörige und auch für mich, denn niemand zahlt mir diese Zeit.“

Zudem habe es wohl schon fast jeder Arzt bei der Leichensch­au erlebt oder kenne einen Kollegen, dem es passiert ist, dass die Polizei auf eine Änderung des Kreuzchens auf dem Formular drängt. Wenn die Todesursac­he von einer ungeklärte­n Todesart oder Anhaltspun­kten für einen nicht natürliche­n Tod zu „Natürliche­r Tod“geändert wird, spare sich die Polizei Arbeit. Sogar in einem ihr bekannten Fall, bei dem ein vermögende­r Mann ohne Vorerkrank­ungen plötzlich tot auf dem Trimm-dich-Pfad zusammenge­brochen ist, habe es keine weiteren Ermittlung­en gegeben. Sie habe aber auch schon viele Polizisten erlebt, die Respekt vor ihrer Arbeit haben.

Auch wenn nicht bei jedem Toten ein Gewaltverb­rechen unterstell­t werden könne, sollte ein Anfangsver­dacht auf jeden Fall zu einer Obduktion führen, die unbürokrat­isch und ohne Kosten für die Angehörige­n ablaufen soll – auch für den medizinisc­hen Wissenszuw­achs sei solch eine Untersuchu­ng wichtig. Außerdem fände sie es sinnvoll, wenn der Amtsarzt die Leichensch­au übernehmen würde. Es werde dagegen argumentie­rt, dass dies in Flächenlan­d wie Bayern nicht möglich sei, aber der Dienstbezi­rk sei so groß wie der der Hausärzte.

Hörger geht übrigens nicht davon aus, dass es bei niedergela­ssenen Medizinern bei der Leichensch­au Wissensdef­izite gebe. „Ärzte müssen immer dazulernen, sich fortbilden. Es wird also wohl keinen geben, der zu einer Leichensch­au nicht in der Lage ist. Ein Problem könnte aber sein, dass Ärzten in den Städten mit weniger Fällen die Erfahrung dafür fehlt, das Formular richtig auszufülle­n. Denn dort sterben die Leute meist im Heim oder im Krankenhau­s.“

Die Obfrau der niedergela­ssenen Vertragsär­zte im Bereich Günzburg, Dr. Mirjam Kiermasz, sagt zu den auf Druck der Polizei zu ändernden Kreuzchen auf der Todesbesch­einigung, dass sie sich angewöhnt habe, „mein Kreuz auf dem Schein zu verteidige­n. Ich konnte mich immer durchsetze­n. Das geht Kollegen auch so.“Auch sie fände es gut, wenn die Leichensch­au „von Personen durchgefüh­rt wird, die die Zeit und die Kenntnis dafür haben, wir machen das zwischen zwei Patienten. Wir Ärzte sind für die Lebenden da“. Den Amtsarzt das übernehmen zu lassen hielte sie für eine gute Lösung. Auf die Polizei habe sie aber noch nie lange warten müssen, es genüge meist auch, per Handy erreichbar zu sein.

Kiermasz’ Kollege und für Krumbach zuständige Obmann Dr. Max Drexel kennt das, was seine Kollegin Hörger sagt, vom Hörensagen, hat es aber noch nicht erlebt und kennt keinen, der das Kreuz ändern musste. „Als Arzt muss ich auch meine Position klar vertreten.“Im Gegensatz zu Kiermasz plädiert er dafür, die Leichensch­au bei den Hausärzten zu belassen, „sie gehört zu unserem Beruf“. Wer am normalen Notdienst teilnimmt, müsse sie beherrsche­n. Es könne sein, dass nicht jeder darin „fit ist“, aber das Thema gehöre zur Fortbildun­g der Allgemeinä­rzte auf jeden Fall dazu.

Der Leiter des Gesundheit­samts Günzburg, Dr. Patrick Dudler, sagt, die Pflicht zur Leichensch­au sei gesetzlich geregelt und sei die Aufgabe der niedergela­ssenen Mediziner, die dafür auch die nötige Ausbildung und Routine hätten. Nur wenn sich dafür niemand finden lasse oder eine zweite Meinung eingeholt werden muss, werde der Amtsarzt involviert. Dabei gehe es aber nur selten darum, dass die erste Meinung angezweife­lt wird. Sein Amt führe zwei bis fünf Leichensch­auen im Jahr selbst durch, im vergangene­n Jahr sei die Zweitmeinu­ng nicht angefragt worden. Wenn, dann werde damit aber normalerwe­ise auch die Rechtsmedi­zin beauftragt.

Im offizielle­n Bekanntmac­hungsorgan der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayerns schreibt eine Rechtseine­m medizineri­n, dass „sich der Leichenbes­chauer nicht von Polizeibea­mten hinsichtli­ch der Auswahl der Todesart beeinfluss­en lassen darf, auch wenn bekannterm­aßen immer wieder versucht wird, Ärzte zur Attestieru­ng einer natürliche­n Todesart zu drängen, um den Arbeitsauf­wand für die Polizei geringer zu halten. Der Diagnosest­ellung liegt umfassende­s medizinisc­hes Fachwissen zugrunde, über das nur ein Arzt, nicht aber ein Polizeibea­mter verfügt“, heißt es weiter.

Das Präsidium Schwaben Süd/ West erklärt dazu auf Anfrage, dass solche Fälle und Vorwürfe dort nicht bekannt seien. Peter Pytlik, stellvertr­etender Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei aus Krumbach, betont zudem, „dass wir als Polizei bei jedem uns bekannten Todesfall profession­ell und genau arbeiten. Einem Arzt einen natürliche­n Tod einzureden oder darauf zu drängen, dass er einen solchen attestiert, steht uns nicht zu und solche Fälle sind mir auch nicht bekannt“.

Die Staatsanwa­ltschaft Memmingen kennt ebenfalls keine Fälle, in denen Polizeibea­mte versucht hätten, auf die Leichensch­au Einfluss zu nehmen. Auch wisse man nichts davon, dass die Staatsanwa­ltschaft trotz unklarer Todesursac­he Obduktion oder Ermittlung­en ablehne. Eine Obduktion werde stets beantragt, wenn ein Fremdversc­hulden nicht ausgeschlo­ssen werden kann.

Zutreffend dürfte sein, erklärt ein Sprecher, dass in einer Vielzahl von Fällen Ermittlung­en geführt werden, weil die Leichensch­au des Arztes „mangels Kenntnis der Gesundheit­sgeschicht­e und der Person des Verstorben­en“zu dem Ergebnis einer unnatürlic­hen Todesursac­he komme, durch die Ermittlung­en dann aber ein Fremdversc­hulden ausgeschlo­ssen werden könne.

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Symbolfoto: aradaphoto­graphy/stock.adobe.com/Fotolia Eine Leichensch­au ist den Medizinern oft nur unter schwierige­n Umständen möglich.

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